𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟡𝟝

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2020

»Mama, du musst den Elternbrief noch unterschreiben.« Nia lief ihrer Mutter mit einem Zettel hinterher, als diese in die Küche ging. Ohne draufzusehen unterschrieb sie ihn.

Dag, der gerade vorbeikam, nahm den Brief aus Nias Händen. »Was is'n das?«

»Die wollen die Schule früher schließen. Die Ferien vorziehen, wegen dieser Grippe da. Steht doch da. Die wollen, dass ihr schonmal in Kenntnis gesetzt werdet, daher die Unterschrift.«

Dag sah abermals drauf. »Das Datum ist von letzter Woche Nia. Wie lang trägst du den schon mit dir rum.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hab's halt vergessen.«

»Jaja vergessen. So wie du auch täglich vergisst, auf die Uhr zuschauen?!« Er gab ihr den Zettel wieder. »Denk dran. Falls das so kommen sollte, heißt es nicht, dass du den ganzen Tag draußen hängst.«

»Boah.« Seine Tochter verdrehte die Augen und nahm dann ihre Schultasche. »Ich bin weg.«

Dag sah zu Isabelle. »Ich fahr' jetzt auch ins Studio. Was machst du noch?«

Sie zuckte mit den Schultern. Nach etwa über einem halben Jahr Therapie hatte sich noch immer nicht viel verändert. Dag versuchte alles, damit ein bisschen Normalität im Hause Kopplin anzutreffen war und auch wenn seine Frau teils normal agierte, fehlte so einiges.

»Du hast den Brief von Hannah noch gar nicht aufgemacht.« , stellte er fest, als er die Post ansah.

»Ich weiß.«

»Gibt's auch einen Grund?«

»Ja.« Sie nickte und schüttete sich einen Kaffee ein. »Sie hat Bilder geschickt. Von ihrem ... Kind.«

»Und die willst du nicht ...«

»Nein will ich nicht.« , antwortete sie rasch.

Dag war ein wenig froh darüber, dass Hannah es so handhabte, statt Isabelle die Bilder über WhatsApp zu schicken. Ein Baby zu sehen, war für seine Frau derzeit noch immer eine Höllenqual. Er nahm den Brief und legte diesen in eine Schublade, ehe er näher an sie trat.

Erschrocken fuhr sie um, als sie seine Hände an ihrer Taille spürte. »Was machst du?«

»Ich wollte dir nur einen Kuss geben.«

Sie streifte seine Hände von ihren Körper und ließ einen dezenten Kuss zu. Mehr nicht. »Isy, ich ...« Wie so oft wollte er ihr sagen, das er ihre Nähe vermisste, aber er wollte auch nicht, dass sie sich in die Ecke gedrängt fühlte. Seit dem schlimmen Vorfall gab es zwischen den beiden keine körperliche Liebe mehr. Die letzten Umarmungen waren im Krankenhaus geschehen, sowie auf der Beerdigung. Doch diese waren eher mehr mit Trauer als mit Zuneigung verbunden gewesen.

Wenn er ihr nun zu nahe kam, schreckte sie sofort erschrocken zurück. Selbst im Schlaf musste er aufpassen, sie nicht zufällig zu berühren. Er kam sich langsam vor, als wäre er Gift für sie.

Dass sie mittlerweile mal einen Kuss zuließ, war jedoch für ihn wieder ein Schritt nach vorne. Er lächelte kurz und verabschiedete sich dann bei ihr, ehe er ins Freie trat.

Vincent stand bereits mit laufendem Motor auf der Straße.

Dag öffnete die Autotüre. »Ey wusstest du, dass eventuell die Schulen geschlossen werden?«, fragte er, als er einstieg.

»Das wurde doch auch schon in den Nachrichten gesagt. Guckst du keine?«

»Nicht immer.« Er griff in seine Hosentasche, als ihm auffiel, dass er sein iPhone gar nicht mit hatte. »Warte. Mein Handy ist noch zu Hause.« Er stieg wieder aus und lief zurück.

Er öffnete die Türe und sah sofort, dass die fast gegenüberliegende Zimmertüre nur halb geschlossen war. Er sah auf seinen Schlüsselbund.

Besagter Schlüssel fehlte.

Ohne Verzögerung trat er in das Zimmer und fand Isabelle auf dem Boden sitzend vor. »Isy, was machst du?« Sie sah nicht erschrocken aus, dass er sie erwischt hatte. Eher pikiert, weil sie ahnte, was er nun vorhaben würde. »Komm, steh' auf.«

Sie schüttelte ihren Kopf. »Ich bleibe hier.«

»Seit wann hast du den Schlüssel?« , fragte er in einem ruhigen Ton.

»Du kannst mich nicht zwingen, diesen Raum zu verlassen.« Er wusste, dass sie Recht hatte.

Der Therapeut hatte vorgeschlagen, dass Isabelle dieses Zimmer meiden sollte. Es zog sie auf irgendeine Weise nur tiefer hinab. Eigentlich hatte Dag vorgehabt, ihn wieder zu seinem Musikraum um zu fungieren, aber irgendwie fehlte ihn bisher ebenso der Mut dazu, weshalb er diesen einfach nur unzugänglich für seine Frau machte, indem er ihn abgeschlossen hielt.

»Bitte, Isy. Tu's auch für dich.«

»Ich entscheide selber, was mir guttut und was nicht.« , meinte sie daraufhin und hielt den Strampler in den Händen, den er ebenso hier versteckt hatte.

Dag wusste, dass es jetzt nichts nützen würde, mit ihr darüber zu diskutieren, weshalb er auch aufstand und die Türe anlehnte, als er in den Flur trat.

Mit gesenktem Haupt ging er in die Küche, holte sein Handy und verließ dann die Wohnung. »Isy hat den Schlüssel geklaut.« , sagte er, während er wieder zu Vincent ins Auto stieg.

Sein Freund wusste direkt, wovon er sprach. »Hast du sie jetzt dadrin gelassen?«

»Natürlich. Was hätte ich sonst tun sollen?«

»Du musst das nochmal in der Therapie ansprechen.«

»Ehrlich?! Die nützt nichts bei ihr. Egal, was der Therapeut vorschlägt, sie setzt nichts um.« Er lehnte sich mehr zurück. »Er hatte sogar vorgeschlagen, das sie und ich einfach wegsollen. Ein paar Tage Urlaub. Aber sie hat sofort gegengelenkt.«

»Weil?«

»Sie sagt, weil sie Nia nicht alleine lassen will, aber ich glaube, sie will einfach nicht alleine mit mir sein.«

»Quatsch. Du redest dir das ein.« , meinte Vincent aufbauend.

»Nein. Ich darf sie nicht anfassen. Ich darf sie nicht mal im Schlaf umarmen. Sie schreckt sofort zurück, als würde ich ... ja, als würde ich sie verbrennen, oder so.«

»Was sagt der Arzt dazu?«

»Ich hab da in meiner Einzelstunde mit ihm drüber gesprochen und er meinte, das es für sie ein Schutzmechanismus ist. Ihre Bindung zu Rio war stärker, weil es ihr Körper war und ihr Körper war es, der ... sie hat wohl selber in ihrer Stunde erzählt, dass sie sich fühlt, als hätte sie versagt.«

Vincent atmete hörbar laut aus. »Das ist ... aber sie redet mittlerweile mit ihm scheinbar darüber.«

»Nicht komplett. Nur teilweise.«

»Aber es ist ein Fortschritt Dag. Es war klar, dass dies nicht über Nacht geschieht. Aber ...«

»Der Arzt meinte auch, ich solle ihr Zeit lassen und das tu ich ja. Er sagte, auch ihre ... Lust würde wiederkommen. Auch das verstehe ich, aber das ich so komplett von ihr verstoßen werde, das killt mich. Es geht mir nicht um den Sex, es geht mir einfach ... ich will ihre Liebe spüren. Verstehst du?«

»Natürlich.« , sprach Vincent. »Sie liebt dich Dag. Das darfst du nicht vergessen, egal was momentan ist, aber Isabelle liebt dich wirklich. Auch wenn sie es im Augenblick nicht so zeigt.«

»Ich muss mir etwas anderes einfallen lassen, wegen des Zimmers. Allein das Rios Name an der Wand steht ... ich will nicht, dass sie nur diese Wand anstarrt. Sie soll ... leben.«

Vincent nickte.

Dag sah aus dem Fenster. Er schwieg die weitere Fahrt über.

Ich bin der falsche Mann für die richtige Frau (Band 2)Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz