𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟙𝟘𝟛

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»Sollen wir uns etwas zu Essen bestellen?« , fragte Dag, als Isabelle mit einem langen Schlafshirt in die Küche trottete.

»Wo ist Nia?« , stellte sie als Gegenfrage und sah auf die Uhr.

»Sie schläft bei Robin.«

»Oh. Okay.«

Isabelle sah in den Kühlschrank und schloss diesen wieder, ohne sich etwas rausgenommen zu haben. Dag sah über die Lehne der Couch hinweg. »Hast du Hunger?« Sie zuckte mit den Schultern. »Wenn du nichts bestellen willst, wir zwei können auch etwas Essen gehen ... oder ich koche für uns?! Wie du möchtest.«

Sie sah zu ihm rüber und blickte ihn genau an, ehe sie um die Couch herumging und sich ans andere Ende setzte. »Ich möchte nicht raus, aber ... wir können uns gerne etwas bestellen.«

Er lächelte sie an. »Hast du einen Wunsch, wo du bestellen willst?«

Sie schüttelte den Kopf. Sofort wurde ihr noch mal bewusst, was der Therapeut gesagt hatte. Er hatte Recht. Nicht jeder Mann würde wie Dag handeln und sich weiterhin so um sie kümmern. »Ich liebe dich.« , sagte sie und registrierte ohne zeitliche Verzögerung das Aufleuchten in seinen Augen sowie das dezente Lächeln auf seinen Lippen.

»Ich liebe dich auch.« , gab er leise von sich. Er wartete darauf, dass sie näher rutschen würde, aber sie blieb dort sitzen. Dag nahm es so hin. Auch wenn es kleine Schritte waren, dennoch ging es voran. »Chinesisch?«

»Wenn du möchtest?!«

»Ich hätte schon Hunger drauf.«

»Okay.«

»Wie immer?«

Sie nickte, während er aufstand und draußen auf der Terrasse das Telefonat führte. Ihr Blick fiel währenddessen auf die Gitarre, die er gelehnt an die Couch abgestellt hatte. Isabelle stand auf und setzte sich auf seinen Platz.

Langsam berührte sie die Saiten des Zupfinstrumentes, ehe sie tief einatmete und sie in die Hand nahm.

Seit dem Vorfall hatte sie keine Musik mehr gemacht, geschweige denn gesungen. Immer unter der Dusche kam ihr der Song Rewrite the Stars ins Gedächtnis. Ein Lied, das sie mal so sehr gemocht hatte ... doch auch jetzt waren es genau diese Textzeilen, die in ihrem Kopf herumgeisterten.

Isabelle schloss die Augen und ließ ihre Finger an den Saiten eine Melodie erklingen. »You know I want you ...« , kam erst zögerlich über ihre Lippen, bevor ihre Stimme ihren eigentlichen Klang wiederfand. »It's not a secret I try to hide. I know you want me, so don't keep sayin' our Hands are tied. You claim it's not in the Cards and fate is pullin' you Miles away and out of reach from me, but you're here in my Heart so who can stop me if I decide, that you're my destiny?«

Sie hörte schlagartig auf, als sie Dag hinter sich vernahm. »Mach ruhig weiter.« , meinte er und kletterte über die Couch. Er saß nahe bei ihr und lächelte sie an. »Ich höre dir gerne zu.«

Isabelle schüttelte den Kopf und stellte die Gitarre dorthin, wo sie diese hergenommen hatte. »Das war nur ...«

»Soll ich dich solange alleine lassen, damit du ... für dich Musik machen kannst?« Dag wusste, wie wichtig ihr schon immer die Musik war, und sie endlich wieder dabei zu hören, stimmte ihn froh.

»Nein.« Sie blieb neben ihm sitzen, aber sie wirkte eher wie ein verschüchtertes Schulmädchen, das bei dem beliebtesten Jungen der Klasse saß und nicht wusste, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Dabei kannte sie diesen Mann in- und auswendig.

»Willst du ... wieder arbeiten? Ich meine, du musst nicht, wenn du das nicht willst, aber ... ich merke, dass die Musik dir fehlt.«

»Ja mir fehlt die Musik ... sogar sehr, aber ich kann da nicht mehr hin.« Sie atmete erneut tief ein, um auszusprechen, wieso dem so war. »Ich war vor ein paar Wochen da. Ich dachte, ich schaffe es, aber ich traf dort eine Frau, die nebenan wohnt. Sie sah auf meinen Bauch und ... gratulierte mir. Ich ... ich habe ihr dann erzählt, nur kurz und knapp, das ...« Er legte seine Hand auf ihren Oberschenkel, um ihr zu signalisieren, dass sie nicht weiterreden müsste.  Sie zuckte jedoch weg. »... sie meinte dann ... ich wäre noch jung. Ich soll es einfach nochmal versuchen. Ich ... ich will da nicht mehr hin, weil mich da zu viele kennen und ich mich schlichtweg nicht mehr ... erklären will.«

»Okay. Dann ... sollen wir dir etwas Neues suchen? Vielleicht etwas mehr in der Nähe und ein wenig größer, dann könntest du mehr ...«

»Nein.« , sagte sie. »Ich hätte unter dem Umstand dieselben Schüler und ... nein, ich will das nicht.«

»Okay. Ich dachte nur.« , sprach er und räusperte sich dann. »Aber jetzt wo du es selbst nochmal angesprochen hast ... ich ... ich hatte in meiner Therapiestunde auch schon darüber gesprochen und er meinte, ich soll es nur ansprechen, wenn du es machst ...«

»Was?« Isabelle sah ihn fragend an.

»Ich dachte halt ... ich fänd's gut ... wenn ... wir es nochmal probieren ...«

»Was?« Sie sprang auf.

»Ich meine, wir wollten noch ein Kind und ...«

»Ja. Ich wollte dieses Kind und es ist nicht mehr da.«

»Ich weiß, aber wenn wir es nochmal versuchen dann ...«

»Versuchen? Nochmal versuchen?« Sie schrie ihn an. »Es gibt keinen Ersatz für ein totes Kind, Dag.«

»Ich rede nicht von einem Ersatz, Isy.«

»Doch. Doch das tust du.«

»Nein, da verstehst du mich falsch. Wir wollten noch ein Kind. Wir haben uns darauf geeinigt gehabt und es würde auch helfen, damit du ...« Er stand nun ebenfalls auf und versuchte, sie zu berühren, doch sie zuckte sofort zusammen und ging einen Schritt zurück. »Ich habe einen Artikel gelesen. Ein neues Leben kann dabei helfen, den Verlust besser zu verarbeiten.«

Sie schüttelte mehrmals den Kopf. »Nein. Ich werde das nicht nochmal mitmachen. Nein.«

»Okay. Es ist okay.« Wieder näherte er sich ihr, doch sie flüchtete Richtung Küche.

»Nein. Es ist nicht okay.« , schrie sie und riss mit Wucht eine Schublade auf, in der sich Briefe befanden. Diese packte sie und schmiss sie Dag, der ihr gefolgt war, vor die Füße. »Ich kann nicht mal Babybilder anderer Kinder ansehen. Wie kannst du da von mir verlangen, einen Ersatz für unser Kind zu bekommen?«

»Ich sagte, es ist okay.« , sprach er ruhig.

»Nein. Ist es nicht. Du willst noch ein Kind. Du willst einen Ersatz und ich kann dir das beim besten Willen nicht geben. Nichts ist okay.« Sie kreischte so laut, dass es selbst in ihren Ohren wehtat.

Dag versuchte, sie zu berühren doch sie schubste ihn wie so oft weg. »Lass mich.«

Er hob beide Hände an. »Ist okay Isy. Ich fasse dich nicht an und ich bin still.« Er ging rückwärts in den Flur. »Ich bin still.«

Weinend sank Isabelle zu Boden und fegte mit ihrer Hand wie wild über die Briefe, während sie abermals schrie. Einer der Zuschriften blieb an ihrer schwitzigen Handinnenfläche kleben und sie wedelte diese herum, bis die Post abfiel und in ihrem Schoss landete. Schluchzend hob sie ihn auf und sah auf den Absender der Musikschule Friedrichshain.

Ich bin der falsche Mann für die richtige Frau (Band 2)Where stories live. Discover now