1. Paradies - die Insel der Titanen

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Ich saß am Ende einer Bank auf dem kleinen, schaukelnden Schiff, welches uns zur Insel Paradies bringen sollte. Die See war wild und stürmisch, was die Fahrt zu einem unangenehmen Prozedere gestaltete. Viele der Passagiere wirkten nervös, einige übergaben sich in Eimern.

Mit klopfenden Herzen sah ich zu meiner Freundin Lina. Ihr schwarzes Haar wehte im Wind und schien förmlich zu tanzen. Sie blickte zu mir auf. Die Augen voller Angst und Eckel.
"Ich halte das nicht mehr aus" ,sagte sie leise und seufzte dabei. Ich berührte mit meinen gefesselten Händen ihr Bein.

Was wir uns bloß dabei gedacht hatten, fragte ich mich. Es war doch von Anfang an klar gewesen, dass man als Spionin in Marley nur bei dem kleinsten Fehler entdeckt werden würde und dennoch hatten wir Beide uns damals auf diesen Auftrag gestürzt.
„Endlich etwas erleben" ,hatten wir Beide gejubelt. Ein anderes Land und andere Menschen erkunden - das hatten wir schon immer gewollt. Doch am Ende wurden wir nach einigen Monaten entlarvt und waren auf der Klagebank gelandet. Als Strafe hatte ich mir die Kugel erhofft: Schnell und fast schmerzlos, doch der Militärrichter lachte laut auf und sagte nur ein Wort: "Paradies."

Ich hatte mich geschockt im Gerichtssaal umgeschaut und die grinsenden Fratzen unserer Feinde ertragen. Ich hatte meine Freundin getröstet, als wir abgeführt wurden und trotzdem tief in mir hatte ich Angst bekommen, denn Paradies war nichts anderes als die Insel der Titanen. Diese Insel, auf der Menschen von Monstern verschlungen wurden. Die Insel, die einen grauenhaften Tod versprach.

Mit diesem Wissen saßen wir nun hier auf diesem Schiff und wussten im Gegensatz zu all den anderen Gefangenen genau, was uns erwartet.
"Beruhig dich, Lina. Noch sind wir nicht an Land" ,sagte ich leise. Ein Aufseher sah zu uns herüber. Er beobachtete uns schon eine Weile. "Siehst du den Typen da? Der schaut uns ständig an. Vielleicht hat er Gefallen an uns" ,flüsterte ich. Lina nickte. Sie wie ich waren ausgebildet, um zu täuschen und zu manipulieren. Irgendein Soldat sollte hier kein Problem darstellen.

"Ah, mir ist so schwindelig" ,rief die Schwarzhaarige aus. Sie ließ sich auf den Boden fallen und imitierte ein starkes Würgen. Ich tat besorgt, rief um Hilfe und sah mich dabei um uns herum um. Außer der besagte Soldat war kein anderer Aufseher auf unserer Schiffshälfte.
"Was ist los, Gefangene?" ,fragte der recht junge Mann und winkte dabei die anderen Sträflinge, welche nun interessiert schauten, weg.
"Es dreht sich alles, mir ist so schlecht." Lina griff mit ihren gefesselten Händen an die schwarzen Stiefel des Mannes. Traurig sah sie zu ihm auf. Ihre grünen Augen glänzten.

"Ah, ihr Hundeblick" ,dachte ich und bekam trotz meines Wissens, dass dies ein reines Schauspiel war, selbst Mitleid. Sie war einfach zu süß mit ihrem kleinen Schmollmund und der spitzen Nase. Der Mann kniete nieder. Wahrscheinlich wollte er seine starken Arme um sie legen, ihr langsam aufhelfen und sie behutsam auf die Bank zurücksetzen. Eben ein wenig den Helden spielen, auch wenn er wusste, dass wir am Ende Feinde waren. Doch dazu kam es nicht. Mit einem gekonnten, kräftigen Tritt gegen sein Gesicht trat ich ihn bewusstlos. Sein Blut spritze auf den Boden, färbte meine Schuhe an einigen Stellen rot und hinterließ auch am Deck seine Spuren.

Uns ließ das kalt, denn nun musste alles schnell gehen. Die anderen Gefangenen schauten uns geschockt an. Sie schienen unsicher zu sein, was sie tun sollten. Lina und ich hingegen agierten gezielt und geübt. Ich entnahm dem Soldaten sein Messer, während Lina aufstand und ihre Hände hinhielt. Vorsichtig schnitt ich die Seile an ihren Gelenken ab. Sie tat das Gleiche für mich und gab mir das Messer zurück. Kampftechnisch war ich immer die Bessere von uns gewesen, was sie mit ihrem Schauspielertalent jedoch mehr als Wett machte.

"Was ist hier los?" ,schrie ein Soldat. Er kam soeben um die Ecke gerannt und entdeckte seinen Kameraden am Boden.
"Ins Wasser!" ,rief ich Lina noch zu und rannte der Freiheit entgegen. Sie folgte mir und gemeinsam sprangen wir ins kalte Nass. Ein Schauer durchglitt meinen Körper. Das Wasser war eisig. Ich tauchte soweit ich konnte, strampelte dabei wie wild mit meinen Beinen, um Abstand zum Schiff zu gewinnen, und tauchte nach Luft schnappend auf. Gute 20 Meter hatte ich zwischen mir und dem Schiff gebracht. Ein ausreichender Abstand, um bei dem wilden Wellengang geschützt fliehen zu können. Auch Lina kam an die Wasseroberfläche und schwamm mir hinterher. Wir hörten die Rufe der Soldaten und einige Gefangene, die sich ebenfalls zu wehren schienen. Wahrscheinlich ohne Erfolg, aber uns würde es die nötige Zeit verschaffen, diese Flucht erfolgreich hinter uns zu bringen. Und das war alles, was in diesem Moment zählte.

"Da, die Insel" ,rief Lina und zeigte nach vorn.
"Dann mal los" ,sagte ich leise, fast flüsternd, und schwamm mit ihr bis zu dem kleinen Strand, der sich vor uns befand.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt