34. Geschlagen

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Da stand ich nun mit gezogenem Dolch. Meine Hände auf dem Rücken gelegt sah ich ihm entgegen und wartete auf seine Reaktion.
"Ach was, da hat wohl jemand Glück gehabt." sagte Kenny grinsend und blieb stehen, "ein Jammer, dass du so blöd bist, hier wieder aufzutauchen." Er nahm seinen Hut ab und ließ ihn fallen. Langsam schwebte dieser zu Boden.
"Lass dich gefangen nehmen, Kenny. Du schuldest uns einige Informationen!" meinte ich. Er lachte laut los. Dieser Mann war selbstsicher und skrupellos. In mir stieg die Hitze auf. Wie ich solche Menschen hasste.
"Wem schulde ich Informationen? Dir? Oder meinst du etwa Levi? Der Knirps scheint ja einen eigenartigen Geschmack zu haben - so wie seine Mutter." Ich sah auf. Nervös ging ich einige Schritte auf meinen Feind zu. Krampfhaft hielt ich meinen Dolch fest, als gebe er mir Halt. Meine Hände schwitzten. "Ah, du willst also mehr wissen...." sagte Kenny nun. Sein Grinsen wurde breiter.
"Nicht ich....." flüsterte ich. Doch er sprang mir bereits entgegen und zog dabei ein Messer. Wollte er mich damit erledigen? Warum nutzte er nicht seine Waffen? War ich für ihn ein Spielzeug?  Ich parierte seinen Angriff. Ein Schmerz durchzog mein Handgelenk. Seine Kraft war unglaublich. Selbst meine Technik konnte sie kaum ausgleichen. Mit zwei Sprüngen zur Seite versuchte ich Distanz zwischen uns aufzubauen, doch er war schnell und folgte meinen Bewegungen problemlos. Er setzte zum nächsten Angriff an. Sein Ziel war mein Gesicht. Instinktiv hob ich meine Hände, um mich zu schützen und sah daraufhin zu, wie sich die Finger meiner linken Hand lösten. Langsam schwebten sie hinfort und zogen ein Netz aus roten Fäden hinter sich her. Ich schrie auf, machte einen weiteren Satz nach hinten und kontollierte meine Verletzung. Nur noch mein kleiner Finger war unverletzt. Die anderen drei Finger waren halbiert worden, wobei an meinem Ringfinger die Hälfte noch locker an ein paar Sehnen hing. Ich bekam Gänsehaut.  "Verdammt...." fluchte ich und packte ihn. Der Finger war verloren. Mit zusammengebissenen Zähnen riss ich an dem toten Fleisch. Eine Sehne nach der anderen gab nach. Ich schrie in mich hinein.
"Meine Güte, wo hat dich der Knirps aufgegabelt? In der Klapse? Dein Wunsch zu Sterben scheint wohl immer noch nicht gebrochen...." meinte Kenny und kam langsam auf mich zu. Ich schüttelte den Kopf und warf das Glied meines Fingers auf den Boden.
"Nein, aber wenn es sein muss, bin ich dazu bereit." sagte ich resigniert. Ich wusste es. Er war mir von Anfang an überlegen gewesen und nun stand ich hier mit einer verwundeten Hand. Mein Schicksal war besiegelt. So würde ich ihn niemals besiegen können. Ich seufzte.
"Nun schau nicht so, Schnecke. Komm, ich erzähle dir eine Sache, die du wissen möchtest." Kenny zwinkerte mir zu. In mir stieg der Eckel auf. Doch so sehr er meinen Stolz verletzte, ich musste diese Chance nutzen.
"Bist du Levis Vater?" fragte ich fast schon schüchtern.
"Von allen Fragen fragst du mich das?" warf Kenny ein und kratzte sich am Kopf. Ich nickte stumm. "Oh Mann, was für eine Frau......" stöhnte er und fügte dann hinzu: "Nein, ich bin der Bruder seiner Mutter. Wie er bin ich ein Ackerman, ein Nachkomme einer Familie, die dem König dienen sollte. Unser Blut macht uns zu starken Kämpfern. So stark, dass du keine Chance gegen mich hast, egal wie sehr du dich auch anstrengst." Ich blickte ihn erschrocken an. Ackerman - diesen Namen hatte ich schon einmal gehört. Mikasa trug den Namen ebenfalls. Auch sie war eine talentierte Kämpferin - ihr Kampfgeschick fast virtuos. Es war also die Abstammung, die sie, Levi und Kenny zu mächtigen Gegnern machte.
"Und?" fragte ich nun. Kenny sah mich verwundert an.
"Was?" zischte er.
"Warum hast du Levi dann einfach in der Unterwelt zurückgelassen? Du bist immerhin sein Onkel!" schimpfte ich. Er sah in die Ferne, als würde er sich erinnern und hielt kurz inne. Dann sagte er diesen einen Satz voller Bedauern:
"Ich konnte ihm kein Vater sein...." Ich starrte ihn an - diesen komischen Typen. Da war etwas anderes als Selbstsicherheit oder Skrupellosigkeit in ihm. Es war ehrliche Reue, vielleicht sogar Verzweiflung. Ein Gefühl, welches ich bei solch einem Mann niemals erwartet hätte. Aber es war da und zeigte, dass auch er am Ende menschlich war. Wenn auch nur tief in ihm selbst. 
"Das hättest du ihm sagen müssen...." flüsterte ich und nahm meinen Dolch in meine rechte Hand, um meinen letzten Angriff zu starten.
Ich rannte los. Meine Schritte wurden schneller. Meine Muskeln zogen sich zusammen. Ich war bereit. Auch wenn er mir überlegen war - so leicht würde ich ihm seinen Sieg nicht geben. Doch plötzlich bebte die Erde. Unsicher begann ich zu taumeln und sah seinem Sprung entgegen. Mit einem Schlag entwaffnete er mich. Ich blickte ihn erschrocken an und wünschte mir das Ertönen seiner Waffe herbei. Ein schneller Tod - das war das Einzige, was ich jetzt noch verlangen konnte. Doch Kenny bewegte sich blitzschnell hinter mich und schlug zu. Es war ein dumpfes Geräusch, was meinen Körper durchlief und in mir hallte. Ein leichter Schmerz im Nacken, welcher die Dunkelheit mit sich brachte und mich in einen tiefen Schlaf wog.

Auf einem Feld irgendwo im Nichts traf ich sie: Lina. Sie blickte dem Sonnenaufgang entgegen und trug ein langes, weißes Kleid kombiniert mit einem gleichfarbigen Hut, der ihr schwarzes Haar noch mehr zur Geltung brachte.
"Eine wahre Schönheit war sie schon immer." dachte ich und ging langsam zu ihr. Meine Schritte stampften schwerfällig durch das hohe Gras. Lina drehte sich um. Der Wind wehte durch unser Haar und sang eine leise Melodie. Ich war recht angetan von ihrem Anblick. So in diesem Licht könnte ich sie stundenlang ansehen. Auch als Frau musste ich mir eingestehen, dass sie mit ihrem glanzvollen Haar unglaublich anziehend war. "Was machst du hier?" fragte ich unsicher. Wie lange hatte ich sie nicht mehr gesehen? Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Lina grinste mich an und kam mir nun ebenfalls entgegen. Ihre Schritte waren gleichmäßig und mühelos. Sie schien fast zu schweben. Konzentriert streckte sie mir ihre Hand entgegen und zeigte mir ein kleines Gänseblümchen, welches sie in ihr hielt. Mit ihren zarten Fingern strich sie über die feinen Blüten. Ich blickte sie unglaubwürdig an. "Lina?" sagte ich leise. Sie hob ihr Gesicht an. Immernoch lächelnd erklärte sie:
"Mach dir keine Sorgen, -dN-. Ich werde auf dein Blümchen aufpassen. Immerhin hatten wir uns doch ein Versprechen gegeben." Ich nickte zurückhaltend. Mit meiner rechten Hand fasste ich an meine Verletztung und rieb unsicher über die Wunden. Ich spürte keinen Schmerz.
"Ein Versprechen....." flüsterte ich. Die Schwarzhaarige breitete ihre Arme aus.
"Egal, was uns trennt, wir sind immer füreinander da!" meinte sie und ergriff mich. Ich umarmte sie zurück. Mein Körper, mein Herz und mein Geist - sie alle empfanden Erleichterung. Ich atmete tief ein. Sie roch nach Vanille. Doch ihr Geruch veränderte sich. Rosen - dieser erotische Duft, den sie in unserer Ausbildung trug. Schwarzpulver - der Gestank der in unserer Jugend nach einer erfolgreichen Jagt an uns klebte. Gras - der frische Duft unserer Kindheit. Ganz leise hörte ich sie fast schon - diese Zeit, in der wir lachend auf den Feldern herumrannten. Wie glücklich war ich damals gewesen? Ich blickte meine Freundin an. Ihr Gesicht war verschwommen, doch ihr Lächeln immer noch erkennbar.
"Immer....." flüsterte ich und nahm ihren Duft in mich auf. Die Sonne strahlte immer heller. Das Licht breitete sich aus und blendete mich. Bis zur Blindheit sah ich sie an. Mit einem weiteren Atemzug beförderte ich mich zurück in meine Wirklichkeit.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now