57. Freiheit und Konflikt

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Ein lautes Seufzen entglitt mir. Ein starker Atemzug folgte. Ich pustete die Nervosität heraus und versuchte mich zu konzentrieren. Dann begann ich meine Gedanken in Worte zu fassen:

„Da wo ich geboren bin – wo ich herkomme – gibt es keine Mauern. Die Menschen leben dort in Freiheit nebeneinander, gehen einer Arbeit nach und müssen sich nicht darum sorgen, ob sie den nächsten Tag erleben oder nicht. Natürlich hat diese Freiheit ihren Preis – Menschen konkurrieren miteinander auf eine andere Art und Weise, aber keiner muss die Strapazen erleben, die viele von euch durch die Titanen erleben mussten. Keiner sieht wie sein Kind, seine Mutter oder seine Freunde von Monstern weggefressen werden....."
Ich blickte in die Gesichter meiner Kameraden. Sie alle hörten gespannt zu. Keiner von ihnen wollte mich durch ein Geräusch oder ein Wort unterbrechen. Es war eine bedrückende Stille im Raum.
„Ich hoffe, dass ihr alle diese Welt hinter den Mauern erleben könnt. Dass ihr die Menschen dahinter kennenlernt, dass Essen dort schmecken könnt, die neuen Dinge erleben könnt. Und ich glaube, dass viele Menschen, die jetzt noch nichts von euch wissen, euch akzeptieren und willkommen heißen werden. Bestimmt wird es auch einige geben, die sich euch in den Weg stellen werden. Aber ich bin mir sicher, dass ihr – nein, dass wir gemeinsam – sie von euch überzeugen können. Ich bin wohl keine von euch, aber ich stehe auf eurer Seite. Solange ihr...."

Ein starker Hieb auf meinen Rücken unterbrach mich. Hanji stand neben mir und lächelte zufrieden.
„Auf die Freiheit, -dN-!" schrie sie aus und hob ihr Glas. Die Soldaten um uns herum taten es ihr gleich. Sie riefen nach der Freiheit, breiteten ihre Flügel danach aus. Denn irgendwo hinter den Mauern wartete diese auf sie. Doch nicht auf mich. Ich fühlte mich an den Rand gedrängt - fort von all meinen Kameraden. Ich war nun etwas Anderes für sie als zuvor und es schmerzte mich.

Unsicher ging ich zu unserem Tisch zurück und setzte mich. Erwin und Hanji folgten mir. Sie besprachen etwas und nahmen dabei ihre Plätze ein. Ihre Stimmung war gut - anscheint waren sie mit der Reaktion des Trupps zufrieden.
"Das war eine gute Rede, -dN-." schwärmte Hanji schon beinah. Sie hielt mir ein Stückchen Brot entgegen und lächelte. Doch ich konnte nur mit dem Kopf schütteln. Meine Hände waren immer noch feucht und mein Magen nervös. Essen war grade einer dieser Dinge, auf die ich überhaupt keine Lust hatte.
"Du solltest hin und wieder mal etwas zu dir nehmen!" warf Levi ein. Auch er hielt eine Scheibe Brot in der Hand und zerriss sie langsam.
"Schon klar...." seufzte ich und stand auf. Die Drei sahen mich verwundert an, doch ich drehte mich bereits weg und ging schnellen Schrittes Richtung Ausgang. Mir wurde übel. Die ganze Situation - sie tat mir nicht gut. Ich wollte einfach nur noch aus diesem Saal, um der Art und Weise, wie mit mir umgegangen wurde, zu entkommen. Es war nicht gerecht gewesen - einfach nicht gerecht. Wütend schlug ich die pompöse Saaltür hinter mir zu. Der Knall glich einem Donnerschlag. Er halte durch das gesamte Gebäude und brachte die Erde zum Beben. "Verdammt." Mein Körper zitterte vor Wut und Nervosität. Ich hatte Angst, denn ab heute war ich nicht mehr zwischen ihnen, sondern abseits. Was, wenn sie mich ab nun anders behandeln würden - mich nicht mehr akzeptieren würden? Ich wollte meine Kameraden - meine Freunde - nicht verlieren. Ein weiteres Seufzen entglitt mir. Ganz leise und dennoch hob sich meine Brust schwerfällig an. Unruhig schritt ich in Richtung der Schlafgemächer. Ein Bett und eine kuschelige Decke - das war das Einzige, was ich mir wünschte. Meine Motivation, zu trainieren, war fort. Für so etwas war ich zu müde und zu träge geworden.
"-dN-!" Levis Stimme - er rief nach mir. In meiner Brust brannte es. Warum war er mir gefolgt? Hätte er nicht bei Erwin bleiben können? Wäre es mir lieber gewesen? Ich wusste es nicht. Und dennoch - ich blickte zurück, sah ihm entgegen und erkannte die Unsicherheit in seinen Augen.
"Was ist?" zischte ich abweisend. Mein Blick wanderte zum Fenster - ihn ignorierend. Die Sonne war von einigen Wolken verdeckt. Schwere Schatten lagen sich auf die Welt ab und zeigten uns, wie dunkel die kommende Jahreszeit sein konnte. Der Anblick ließ mich erschaudern.
"Sag, hasst du mich jetzt?"
"Das fragst du noch? Vielleicht hättet ihr nicht alles über meinen Kopf hinwegentscheiden müssen? Ach, ich vergaß: Du entscheidest ja nichts! Du machst ja nur das, was dir der feine Kommandant sagt! Wahrscheinlich würdest du mich sogar direkt in den Tod rennen lassen, wenn es dir dein lieber Erwin befehlen würde, oder?"
Ich schrie Levi an. Ganz bewusst verletzte ich ihn. Ich wollte ihm wehtun - ihn mit meinen Worten zerreißen. Er sollte spüren, wie ich mich fühlte. Meine aufgestaute Wut, meinen brodelnden Hass und meine stechende Angst - alles versuchte ich auf ihn zu projizieren. Wie viel Unrecht ich ihm damit tat, war mir in diesem Moment kaum bewusst. Doch Levi, er reagierte nicht. Sein Blick senkte sich, sodass der Schatten seiner Haare seine Augen verdeckte. Er ballte eine Faust, doch er wandte sich nicht ab. Er wartete nur, als sei meine Wut ein Traum, der irgendwann vorbeigehen würde.
"Denkst du das alles wirklich?" fragte er, nachdem ich mit schmerzenden Stimmbändern nach Luft schnappte. Auch sein Tonfall war nun scharf, doch trotzdem blieb er ruhig.
"Verdammt....." stöhnte ich. Meine Worte führten zu nichts als Leid. Ich verrannte mich in ein Labyrinth aus Schuldzuweisungen und verlor die Orientierung. Ein Kribbeln breitete sich in meiner Nase aus. Ich schniefte. Es war alles zu viel - mein innerer Druck, meine Wut und die Erkenntnis über mein Handeln. Sie brachen über mich herein und quetschten mich aus. Tränen liefen über mein Gesicht. Ich versuchte sie aufzuhalten. Atmete tief ein. Doch es war zu spät - ich weinte bereits.
Unsicher dreht ich mich von Levi weg. Diesen emotionalen Selbstverlust wollte ich ihm nicht auch noch zeigen, doch ich hörte bereits seine Schritte und spürte seine Hand auf meiner Schulter. Er drehte mich zu ihm, sah mir direkt ins Gesicht - unsicher, aber nicht erbost - und reichte mir schweigend ein Taschentuch. Vorsichtig ergriff ich es, berührte dabei seine Hand und drückte es mir ins Gesicht. Es roch nach ihm - nach Sandelholz und seinem Körper. Eine leichte Röte stieg in mir auf und löste meine Spannung. Dieser Duft beruhigte mich und holte mein Bewusstsein zurück, welches weit hinter meinem Hass versteckt gewesen war. Mein innerer Druck fiel ab. Die Tränen spülten ihn hinfort. Levi seufzte leise. Sein Blick lag immer noch auf mir. Er schien mit meinen Gefühlen überfordert, so wie ich es selbst mit mir war. Wir standen einfach da, starrten ineinander hinein und schwiegen. Weder ich noch er wollten die Stille brechen - diese Ruhe, die uns langsam wieder zueinander führte.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt