101. Die Fremden kommen

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Eilig rannte ich mit den beiden Frauen den Flur entlang.
„Wo ist Kuchel?" fragte ich Rico, während wir die Treppe herunterstürmten.
„Soweit ich weiß, hat der Hauptgefreite sie an Connie gegeben."
„Gut, Carolin. Suche Kuchel und nimm sie dem Soldaten ab! Es... Es tut mir leid...."stotterte ich und hielt kurz inne. „Dass das alles so schnell geht."
„Alles gut, ich suche sie." Gab Carolin nur von sich. Sie war bereits jetzt vollkommen aus der Puste und zog panisch ihren Sohn hinter sich her.
„Richtung Gasthaus!" rief ich ihr noch zu. Nickend verließ sie uns, sodass ich meine Aufmerksamkeit der Umgebung widmen konnte. Ich sah zu Rico, die mit ihrem Finger nach vorn zeigte und folgte diesem mit meinen Augen.

Dort – direkt an der Meerenge - stand Eren in seiner Titanform und schob ein kleines Kriegsschiff zur Seite. Er brüllte seine ganze Wut heraus, sodass meine Ohren schmerzten. Wahrscheinlich war er bereits von dem Schiff angegriffen worden und hatte einige Wunden davongetragen. Alles war zu weit weg, um es erkennen zu können, doch ich vermutete das Schlimmste.

Ich rannte los und hoffte, dass er unseren Plan noch im Kopf hatte. Den Plan, den wir für den Fall eines Angriffes von einzelnen Schiffen ausgearbeitet hatten. Er sah vor, dass Eren das Schiff möglichst bis zum Ende des Steges schob und dabei die Schussanlagen des Dampfers zerstörte. Wir als Truppeneinheiten wollten dann möglichst Gefangene festnehmen, um Befragungen durchzuführen. Dieser Angriff – er war also unsere Chance auf wertvolle Informationen.

Ich blickte den Strand entlang und stürmte nach vorn. Vor mir erblickte ich Mikasa und Jean, die bald schon den vereinbarten Punkt erreichten.
„Verdammt!" schrie ich schon fast und beschleunigte meine Schritte. Jeder Fehler konnte nun einen unserer Leute das Leben kosten, denn keiner von ihnen kannte die Waffen, die diese Angreifer bei sich trugen. Keiner kannte die Gefahren. Keiner außer mit.

Mit schweren Schritten trampelte ich auf den Steg und erreichte Levi, der bereits mit einem Jagdgewehr bereitstand. Eren schob das Schiff langsam auf uns zu und wirkte dabei fast schon gemächlich. Ich blickte diesem unbekannten Dampfer entgegen. Es schien nicht das modernste Gefährt der Flotte zu sein, denn immerhin konnte ich keine mir unbekannte Ausstattung erkennen. Doch im Gegensatz zu irgendwelchen Geschützen oder anderen Waffen stach mir etwas anderes ins Auge: Eine weiße Flagge.

„Nicht schießen oder angreifen! Sie geben das Zeichen für Waffenstillstand!" erklärte ich japsend.
„Kann man sich darauf verlassen?" fragte mich Levi. Er trat an mich heran und blickte mir verwundert ins Gesicht. Nach Luft schnappend versuchte ich ihm zu antworten:
„Nicht unbedingt... Wachsam... bleiben...." Die Luft blieb mir fast weg. Ich hatte es definitiv mit diesem Sprint übertrieben. Etwas grob fasste ich an Levis Schulter, um mich abzustützen und beobachtete, wie die ersten Insassen das Schiff langsam verließen. Sie hoben ihre Hände in die Höhe.
„Vertrau....mir..." flüsterte ich fast. Doch meine Stimme war immer noch stockend.
„Bekomm erstmal wieder Luft!" zischte Levi, doch sein Blick war entspannt wenn auch ernst. Ich konnte es sehen. Ich brauchte ihn nicht um sein Vertrauen in dieser Sache zu beten. Er tat es bereits ohne zu zweifeln.

Ich musterte die Fremden und entdeckte jemanden, der aus der Menge herausstach. Er war farbig und recht groß, jedoch nicht so riesig wie einige andere Personen der Gruppe. Mehr als noch seine Hautfarbe fiel mir sein Gang und sein Lächeln auf. Ich kannte es. Es gehörte zu Onyankopon, einem mir bekannten Informanten, mit dem ich selbst bereits zusammengearbeitet hatte. Ein Grinsen breitete sich in meinem Gesicht aus.
„Levi, ich kenne einen von ihnen."
Die Augen des Gefreiten weiteten sich. Er starrte mich unglaubwürdig an, doch ich legte bereits meine Hand auf den Lauf seiner Waffe und drückte sie herunter.
„Begleite mich zu ihnen!" sagte ich und ging los. Levi fragte nicht. Er überlegte nicht. Er tat es einfach. So wie von selbst ging er neben mir den Steg entlang. Fast schon unvorsichtig stellten wir uns den Fremden gegenüber. Wir blickten kurz in ihre Reihen, so wie sie uns musterten und schwiegen gemeinsam.

Das Rauschen des Meeres – es unterbrach die Stille. Ich nahm das Plätschern von Erens Schritten wahr. Er begab sich langsam neben uns, um ein nötiges Eingreifen vorzubereiten.
„Ein kluger Zug, Eren." dachte ich, als ich kurz zu ihm herüberschielte, doch Onyankopons Schrei riss mich bereits aus meinen Gedanken.
„-dN-, du lebst! Bei Gott, wir dachten, du seist tot..." rief er aus und drückte sich an einem seiner Kameraden vorbei, um mich zu umarmen. Ich starrte überrascht vor mich hin und erwiderte nach kurzer Überlegung diese Geste. Wahrscheinlich hatte er um mich getrauert und war nun mehr als überrascht, mich wiederzusehen. Ich konnte ihn verstehen. Egal, wie wenig ich mich mit einem Kameraden verstand. Egal, wie wenig ich ihn kannte. Der Verlust eines mir bekannten Soldaten schmerzte immer auf eine gewisse Weise, selbst wenn es nur diese bestimmte Art war, die einem zuflüsterte, dass man die Nächste sein konnte.
„Schön dich zu sehen, Onyankopon." meinte ich, wobei ich seinen Körper leicht wegdrückte, um zu Levi zu sehen. Er starrte den Fremden genervt an. Sein Blickt war scharf.

„Oh Gott, ich weiß, wer sich freuen wird.... Lina, Liiinaaa! Komm her, -dN- lebt! Sie ist noch da!"
Langsam öffnete sich mein Mund. Ein Zucken glitt durch meinen Körper. Hatte er grade Lina gesagt? Hatte er soeben nach der Frau gerufen, die ich das letzte Mal bei der Mission gegen den Weiblichen Titan gesehen hatte? Ich schluckte schwerfällig, als ich ihr schwarzes Haar im Wind wehend entdeckte. Es war zu einem Bob geschnitten – der Pony ein wenig fransig. Unsicher presste ich meine Lippen zusammen. Auch wenn Lina anscheint ihren Stil geändert hatte. Ihre grünen Augen verrieten mir, dass sie es war.

„Lina..." flüsterte ich schon fast. Ich war mir sicher, dass sie es nicht gehört hatte. Doch wie sie ihre Hände vor ihrem Körper zu einer Raute faltete und dabei mich zurückhaltend ansah, sagte mir, dass auch sie meinen Namen nur zu flüstern wagte.
„Schön dich zu sehen..." brach ich nun das Schweigen und fragte mich gleichzeitig, ob es das Richtige war, was ich da von mir gab. Doch sehr wahrscheinlich würde ich es niemals erfahren.
Lina korrigierte mit einer Hand ihren Bob und musterte mich.
„Ich sehe, dass du einige Wunden davongetragen hast. Es muss hart gewesen sein, hier zu überleben..." äußerte sie. Ich nickte.
„Ja, aber ich bereue es nicht." sagte ich lächelnd. Ein kurzer Blick zu Levi verriet mir, dass er mir alle Zeit der Welt geben würde, Dinge zwischen mir und ihr zu klären. Doch sie war nicht allein und wir somit immer noch in einer bedrohlichen Situation. Also sah ich vorbei an den Menschen, die eigentlich meiner Vergangenheit angehörten und wandte mich an die weitere Besatzung des Schiffes:
„Wir heißen euch auf Paradies willkommen! Legt eure Waffen nieder, dann sind wir bereit mit euch zu sprechen."

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt