51.Einsamkeit

408 24 3
                                    

Nach einer kurzen Verschnaufpause ging auch ich weiter durch die Straßen und suchte nach Waisen oder anderen hilfsbedürftigen Kindern. Olaf kam mir entgegen und blickte mich stolz an. Er hatte zwei kleine, blonde Mädchen bei sich. Ich lächelte. Wir kamen gut voran. Nur wenige Menschen der Stadt brachten uns Skepzis entgegen. Viele von ihnen hatten selbst in ihrer jetzigen Situation nicht das Vertrauen in die Mitmenschen verloren und freuten sich über das Engagement ihrer Königin. Ich konnte es nicht nachvollziehen, doch trotzdem war ich dankbar, dass sie uns diese Chance gaben.
"Liebstes!" schrie plötzlich eine raue Frauenstimme krätzend. Ich grinste und folgte dem Ruf. Mona lehnte an einer Häuserwand und aß einen Apfel. Sie lächelte mir zu.
"Mona, schön dich zu sehen." begrüßte ich die alte Frau.
"Unglaublich.... Ihr habt die Königin wirklich davon überzeugt, diesen Ort zu räumen?" fragte sie und biss kräftig in das Obst. Ich nickte.
"Einige Umstände waren günstig..... Aber ja, wir konnten sie davon überzeugen, dass das Ganze zeitnah geschehen musste und setzen bereits die ersten Schritte um."
"Wo ist Levi?"
"Er kümmert sich um einen anderen Bereich." erklärte ich.
"Ach, und ich hätte euch Süßen so gern wieder bei mir willkommen gehießen.... Wie schade." Mona sah mich enttäuscht an. Sie musterte mich und danach die Umgebung. "Aber mal ehrlich, Liebstes. Wie geht es denn bei euch voran?"
"Was?"
"Na ja, alles mögliche: Heirat, Kinder, ein Haus - oder was hat man da oben bei euch?" Ich lachte laut auf, doch in meinen Wangen spürte ich die Hitze, die in mir hochstieg. Unsicher fummelte ich an meinem Verband und starrte auf meine fehlenden Fingerteile.
"Wir sind Soldaten, Mona. Für so etwas haben wir keine Zeit."
"Dabei blühst du doch bereits......" Meine Augen weiteten sich. Ich starrte dem Lächeln dieser alten Frau entgegen. In meinem Mund herrschte plötzlich Trockenheit. Blühen - was meinte sie damit? "Na ja, eine alte Frau wie ich kann sich ja auch mal täuschen.... Kommt mich auf jeden Fall bald mal wieder besuchen!" verabschiedete sich Mona. Verwirrt blickte ich ihr nach. Sie humpelte eilig fort und warf dabei den Stummel ihres Apfels in eine Ecke. Das Klacken ihres Holzbeines hallte durch die Gassen. 
"Was für eine komische, alte Dame...." dachte ich. Doch mein Herz klopfte aufgeregt. Ihre Äußerungen hatten mir etwas bedeutet - das konnte ich nicht leugnen. "Ich blühe..."" flüsterte ich und dachte an Pixis Bemerkung. Er hatte mich als strahlend bezeichnet und vielleicht tat ich genau dies in der letzten Zeit. Immerhin war ich verliebt - glücklich verliebt. Dieses Gefühl umwob mich wie eine Aura und ließ mich all die Sorgen und all die bedrückenden Gedanken ertragen. Wie die Wut kann auch die Liebe einen Menschen erblinden lassen - so sagte man sich in meiner Heimat. Ich jedoch empfand sie eher wie eine Lupe, durch die ich jede Hoffnung und jeden noch so kleinen Trost entdeckte und ihm die Gelegenheit gab, mich zu erfreuen. Es waren diese vielen kleinen Momente und Hoffnungsschimmer, die mich ermutigten weiterzumachen. Ohne diesen geschärften Blick auf das jetzige Glück, hätte ich mich selbst schon längst nicht mehr ertragen können.
"-dN-, wir haben nun die gesamte Stadt einmal durchforstet und insgesamt 63 Kinder nach oben gebracht." meldete Auruo salutierend.
"Gut, dann werden wir für heute unser Vorgehen beenden. Morgen werden wir nochmals alles durchsuchen, um sicher zu gehen, dass wir niemanden vergessen haben!" erklärte ich und schloss mich dem Mann in Richtung Ausgang an. Er blickte stur nach vorn und schwieg. "Alles in Ordnung bei dir, Auruo?"
"Nun, bei mir schon, aber wie sieht es bei dir aus? Hast du von dem Schicksal des Vizekommandanten erfahren? Wirklich tragisch...." Ich nickte. "Es gingen einige Gerüchte um, dass er ein gewisses Interesse an dir zu haben schien.... Es muss sicherlich bedrückend gewesen sein, von seinem Tod zu erfahren." Ich sah Auruo skeptisch an und seufzte. Sein Tonfall wirkte mal wieder aufgesetzt. Ich dachte an Pertra. Sie hätte ihn sicherlich ermahnt und zurechtgestutzt - so wie sie es immer getan hatte.
"Es war für mich genauso bedrückend wie für jeden Anderen..... Die Tatsache, dass wir mit ständigen Verlusten leben müssen, ist grausam....."
"Wohl wahr..... " flüsterte Auruo benah und trat einen kleinen Stein weg. "Ich denke immer noch oft an die Anderen. Wäre ich an jenem Tag gestorben, hätte der Gefreite Levi vielleicht einen Anderen gerettet...." Auruo blieb stehen. Er sah mich zweifelnd an.
"So darfst du nicht denken, Auruo." Ich versuchte ihm Trost zu spenden, doch gleichzeitig empfand ich genauso wie er. Er war der Einzige, der von ihnen zurückgekommen war. Er musste machtlos zuschauen, wie seine Kameraden getötet wurden. Ich seufzte. Wäre ich an jenem Tag in Levis Trupp gewesen, hätte es wahrscheinlich auch mich erwischt. "Auch ich habe den Angriff des Weiblichen Titans überlebt. Ich hatte genauso viel Glück wie du." erklärte ich und lag meine Hand auf seine Schulter. "Lass uns zur Unterkunft gehen! Für heute haben wir genug getan."

Unser Trupp hatte in der Nähe des Treppenaufgangs einige Zweier- und Einzelzimmer einer Herberge angemietet. Es war eine gemütliche Unterkunft mit großem Speisesaal und netter Bedienung. Die SoladtInnen fühlten sich sichtlich wohl und tranken genüsslich ihr Bier. Ich ließ sie - sie hatten es sich verdient. Mit einem "Macht nicht zu lange!" verabschiedete ich mich von meinem Trupp. Für mich war der Abend gelaufen. Meine Gedanken waren nur noch bei ihm. Seufzend zog ich mich in mein Zimmer zurück und ließ mich auf mein Bett fallen. Ich starrte die Decke an, beobachtete das Flackern des Lichtes auf dem weißen Grund und sah ihn vor mir. Levi - was tat er wohl grade? Ob er genauso wie ich diese Einsamkeit und Sehnsucht spürte? Seit unserer gemeinsamen Zeit in der Unterwelt fühlte ich mich benah an ihn angekettet. Es verging keine Sekunde, in der ich nicht an ihn dachte, doch gleichzeitig zählte ich ohne ihn die Stunden. Ich biss mir auf die Unterlippe. Ohne ihn konnte ich nicht mehr sein - das musste ich mir eingestehen. Seine Präsenz fehlte mir. Ich schloss meine Augen und stellte mir vor, wie er bei mir sein würde. Seine Haut. Sein Duft. Sein Körper. Diese Lippen, die mich immer wieder erhitzen ließen. Meinen Arm lag ich über meine Augen und spürte meine Stirn. Sie war unglaublich heiß. Mona hatte unrecht: Ich blühte nicht - ich brannte. Die Gedanken kreisten um unsere letzte Nacht. Dieser Moment, in welchem er mich auf seinen Schoss führte. Sein Stöhnen dabei. Seine Finger auf meiner Haut. Ich seufzte kläglich und ließ meine Hand in meine Hose rutschen. Diese Hitze und dieser Druck in mir - ich wollte sie verschlucken. Stöhnend lag ich in der Einsamkeit, die mich umhüllte. Mir war kalt und heiß zugleich. Ich biss meine Zähne zusammen, bis ein entspannender Schauer mich erlöste. Erschöpft starrte ich zum Fenster. Die Hitze war fort, doch die Einsamkeit blieb.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt