37. Verbindung

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Einige Momente stand ich einfach nur da und beobachtete Levi dabei, wie er überlegte. Immernoch sagte er nichts, sodass ich nervös an meinem Verband fummelte. Hatte ich die falschen Worte gewählt? Hätte ich ihm etwas verschweigen sollen? Etwas, was ihm die Last hätte nehmen können. Ich war mir unsicher. Levi stand auf. Er sah hoch zum Himmel. Das Licht ließ seine blauen Augen fast weiß erscheinen und zeichnete seine Augenringe nach. Nachdenklich sagte er:
"Damals als meine Freunde starben, hatte ich diesen einen Moment erlebt. In mir stieg die Wut auf und mit ihr ein neues Können. Ich zerteilte den Titan innerhalb von Sekunden. Ich wusste einfach genau, was ich tun musste."
"Eine Art Eingebung?"
"Ja, es scheint wohl diese Ackerman-Sache zu sein.... Vielleicht hatte Mikasa sie ebenfalls....." Ich nickte. Das konnte ich mir durchaus vorstellen, denn auch ich hatte bei Kennys Geschichte an die junge Frau denken müssen. Schon immer wirkte sie wie eine erfahrene Kämpferin, was für ihr Alter untypisch war.
"Ach, fast hätte ich es vergessen...." sagte ich nun und griff in meine Hosentasche. "Das hat Kenny zurückgelassen. Es scheint einer dieser Spritzen zu sein." Ich reichte ihm die Schatulle. Der Gefreite griff danach und sah sie kurz an. "Wir können damit jemanden zum Titanen machen. Vielleicht haben wir die Möglichkeit einer der Titanenwandlerfähigkeiten so zu stehlen."
"Ich werde es mit Erwin besprechen." antwortete Levi nur. Ich seufzte. Ihn so zu sehen, belastete mich. Ihm keine Stütze sein zu können, zerbrach mich. Unsicher nahm ich seine Hand und schimpfte.
"Wenn du so weiter schaust, kann ich nicht anders, als dich einfach zu umarmen. Egal wer es sieht."
"Ist das so." flüsterte er und zog mich mit einem Ruck an sich heran. Er drückte mich an sich, grub seinen Kopf in meinen Hals und schwieg. Meine Hände glitten über seinen Rücken und verharrten an seinen Schultern. So kräftig sie auch waren, in diesem Moment war Levi nichts als ein gebrochener Mann.

Zwei Tage waren nach dem Angriff des Titans, welcher laut Erwins Erklärung König Reiss gewesen war, vergangen. Wir hatten unsere Kaserne in Stohess bezogen und hatten einige freie Tage zur Verfügung bekommen, um uns zu erholen. Ich verbrachte diese vor allem mit Schlafen und ließ immer wieder meine Verbände wechseln, sodass meine Wunden langsam aber gut heilten. Weder Erwin noch Hanji oder Levi hatte ich in den letzten beiden Tagen gesehen. Wahrscheinlich war jeder von ihnen mit Nachbereitungen der Mission beschäftigt und auch wenn ich Levi vermisste, freute ich mich über die Ruhe, die nun endlich eingekehrt war. Ich hatte sie bitter nötig.
Doch plötzlich am dritten Morgen klopfte es an meiner Zimmertür. Noch in meinem Bett liegend rief ich ein genervtes "Herein" und setzet mich auf. Hanji sprang förmlich in mein Zimmer. Diese gute Laune am frühen Morgen war kaum ertragbar.
"-dN-, da bist du ja. Wir haben gleich eine Besprechung." sagte sie und kam an mein Bett herangetreten.
"Na toll." erwiderte ich und stand langsam auf. Genervt blickte ich sie an und nahm einen schwarzen Pullover, den ich schnell überzog.
"Wie geht es deinen Wunden?" fagte Hanji nun.
"Alles in Ordnung."
"Und deine Hand?"
"Die wird mich extrem schwächen." Ich nahm die linke Hand in meine Rechte und betrachtete den Verlust. Ein Schwert damit zu halten, war gut möglich, doch dieses kraftvoll zu schwingen, würde sich als schwierig herausstellen. Immerhin war der kleine Finger der Einzige, der dem Griff noch Halt gab. Die drei Anderen konnten nur noch halbwegs belastet werden.
"Es war Levis Onkel, oder?" Ich nickte.
"Er hat dir davon erzählt?"
"Nicht direkt. Er hat es Erwin und mir berichtet. Erwin war nicht grade begeistert, dass du ihn nicht vorher informiert hast." Ich zuckte mit den Schultern und zog meine Hose an. Hastig schlüpfte ich in meine Stiefel und kämte mein Haar.
"Um ehrlich zu sein, ist mir das egal." Wir verließen meinem Zimmer und gingen den Flur entlang.
"Ich weiß....." sagte sie und blieb vor Erwins Büro stehen. Langsam öffnete sie die Tür. Levi und Erwin standen am Tisch und betrachteten die Spritze. Auch Kommandant Pixis und General Zackly waren answesend.
"Diesen Kasten sollten wir unserem besten Soldaten anvertrauen. Würdest du das übernehmen, Levi?" fragte Erwin während Hanji und ich den Raum betraten. Ich schloss die Tür und stellte mich an ein Bücherregal, um das Gespräch nicht zu stören. Hier waren nur die wichtigsten Personen aus dem Militär vertreten. Es war eine für mich unangenehme Runde.
"Wenn das meine Pflicht ist." sagte Levi nun und sah auf den Kasten. Er schien nicht begeistert von der Idee zu sein, doch wie immer sprach seine Loyalität aus ihm heraus. Ich seufzte innerlich. Diese Entscheidung konnte über Leben und Tod bestimmen, über das Schicksal eines Menschen. Auch wenn ich Levi diese Entscheidungsmacht zutraute, sah ich sie als Belastung und nicht als Privileg.
"Ja, du solltest entscheiden, wann der richtige Moment gekommen ist und wem du die Spritze verabreichst. Ich vertraue sie dir an." Levi nickte und nahm das Holzkästchen. Er steckte es in seinen langen Militärmantel und ergriff dann das Wort:
"Ich denke, dass Kenny noch mehr Wissen über die Titanen oder wichtige Ereignisse hat. Daher habe ich einige Leute Informationen sammeln lassen. Es scheint, dass er sich in der Unterwelt hier unter Stohess aufhält." Ich blickte Levi interessiert an. Ich hatte mir bereits gedacht, dass sein Onkel noch lebte, doch das wir ihn so schnell ausfindig machen könnten, dran hatte ich gezweifelt. "Ich werde morgen früh mit -dN- aufbrechen, um ihn festzunehmen." Erschrocken sah ich in die Runde. Erwins Blick wurde finster, doch er schwieg. Pixis fasste sich an den Kinn und ergriff das Wort:
"Soweit ich es verstanden habe, ist er ein starker Gegner. Meint ihr, zwei Leute reichen zur Festnahme?"
"Wir müssen unauffällig vorgehen. Wenn ich mit einem ganzen Trupp dort Unten auftauche, können wir es gleich vergessen. -dN- ist die Einzige, die wie ich bereits gegen ihn gekämpft hat. Das heißt, wir wissen, worauf wir uns einstellen müssen." erklärte Levi.
"Nun, ihr seid Beide fähige Kämpfer. Daher wäre euer Verlust problematisch." Pixis griff in seinen Mantel und holte seinen Flachmann raus. Er nahm einen großen Schluck, stöhnte kurz auf und wandte sich dann an mich: "Wie schätzt ihr die Lage ein?"
"Ich vertraue auf die Einschätzung des Gefreiten." sagte ich ohne eine weitere Erklärung. Ich sah zu Levi. Er wusste, dass ich alles für ihn tun würde. Ob in die Unterwelt oder direkt in die Hölle - ich würde ihm folgen und ich war mir sicher, dass er das Gleiche auch für mich tun würde. Es war nicht nur Vertrauen, was uns dazu bewegte. In uns erblühte eine Verbindung durch die Verzahnung einzelner Momente. Jeder gemeinsamer Kampf, jedes Gespräch und jede Zärtlichkeit, die zwischen uns war, stellte in dieser Bindung eine einzelne Faser dar. Zusammengepflochten wurde so das Band zwischen uns sträker und stellte mittlerweile selbst für Erwin ein Problem dar. Er konnte es nicht einfach lösen.
"Historia wird in drei Tagen gekrönt. Es wäre gut, wenn ihr bis dahin zurück seid. -dN-, du stehst bei der Mission unter dem Befehl von Levi. Ich will keine weiteren Alleingänge von dir!" forderte Erwin.
"Jawohl." antwortete ich kalt. Seine Zustimmung war mehr als untypisch. Was hatte Levi zu ihm gesagt, dass er diese Mission als notwendig erachtete?
"Mein Angebot steht übrigens immer noch, -dNN-. Die Mauergarnisione würde euch jeder Zeit willkommen heißen." warf Pixis ein. Er hob seinen Flachmann, als würde er mit mir anstoßen und nahm einen weiteren Schluck. Ich lächelte. Diesen alten Trinker mochte ich von mal zu mal mehr.
"An meiner damaligen Aussage hat sich nichts geändert." erklärte ich.
"So, so." Pixis blickte zu Levi und wieder zu mir. "Dann entschuldigt meinen Hinweis."
"Gut. Ich gebe das weitere Vorgehen so frei. Wir werden die Krönung der Königin abwarten und dann die nächste Mission, so wie von euch vorgeschlagen, Smith, vorbereiten. In drei Wochen sollte diese dann starten. Ich möchte betonen, dass nur ein Erfolg geduldet wird!" meinte Zackley und stand auf. Mit seinem Satz hatte er die Runde aufgelöst. Gemeinsam mit Hanji verließ ich das Büro als erstes und stellte mich ans Fenster.
"Jetzt haben wir die Hälfte verpasst." beschwerte sie sich. Ich zuckte mit den Schultern. Meine Gedanken kreisten um meine nächste Mission.
"Kenny, wo genau steckst du?" fragte ich mich und blickte auf meine Verletzung. Zwei Mal hatte ich mich diesem Typen gestellt und zwei Mal hatte er mich besiegt. Unser drittes Treffen würde anders verlaufen, da war ich mir sicher.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt