29. Kennys Angriff

731 34 0
                                    

Auruo, Bastian, Jens und ich hielten auf dem Dach des Hauses seit einer halben Stunde Wache, um dem Gefreiten und den zwei Jugendlichen die nötige Zeit zur Sortierung zu geben. Sie hatten es sicherlich bitter nötig, denn besonders Eren schien immer noch unsicher. Was konnte man auch erwarten? Er war ein junger Mann und hatte bereits jetzt so viel Verantwortung auf seinen Schultern liegen. An solch einer Last zu zerbrechen, war keine Seltenheit. Ich seufzte. Ich wollte in diesem Moment nicht unbedingt mit Levi tauschen. Er musste den Titanenwandler immer wieder aufs Neue an seine Grenzen bringen, ohne ihn dabei zu überfordern. Es war fast so, als würde er auf einem Seil balancieren, welches bereits zu reißen drohte. Jeder Schritt könnte das Seil weiter belasten und die Entscheidung über das Ende sein, doch ein Stehenbleiben kam nicht in Frage. Am Ende standen wir doch alle bereits gemeinsam auf diesem Seil - Eren war unsere einzige Hoffnung. Ich fasste mir an den Kopf. Es war kaum zu ertragen, in was für einer Lage wir uns befanden und trotzdem schritten wir alle gemeinsam weiter. Wir waren getrieben durch die Angst vor dem Ende. Ich blickte hinunter. Einige verdächtige Gestalten gingen seelenruhig die Straße entlang.
"Aufpassen!" flüsterte ich meinem Trupp zu. Sie nickten. Plötzlich sah ein Mann zu uns herauf.
"Da sind sie!" rief er aus und ließ seinen Umhang fallen. Unsere Feinde trugen Pistolenläufe an ihren Handgelenken. Eine solche Konstruktion hatte ich noch nie gesehen, doch sie schien gefährlich. Ich sprang auf und rutschte das Dach hinunter, um mich vor meinen Gegner fallen zu lassen. Er zielte auf mich.
"Scheiße!" fluchte ich und schoss meinen Haken in seine Stirn. Blut spritzte aus den Kopf des Mannes, der nun wie ein Sack umfiel. Sein Kamerad sah geschockt zu mir, doch es war zu spät. Vier Schritte und ein Sprung - mehr war nicht nötig, um die Klinge meines Dolches in seinen Hals zu rammen. Ein Schwall an Flüssigkeit kam mir entgegen. Ich drehte mein Gesicht weg und dennoch färbte sich mein Sichtfeld im nächsten Moment rot. Entnervt riss ich den Dolch aus seiner Kehle, sodass sein Kopf sich beinah löste. Ich wischte mir mit dem Ärmel durch mein Gesicht, um mir zumindest die Augen vom Blut meiner Opfer zu befreien. Die Tür des Hauses schlug auf. Levi sah mich geschockt an. "Räumt das Haus! Hier sind Leute, die uns tot sehen wollen!" rief ich zu ihm. Er nickte und gab die Information weiter. Ausgerüstet kam er zu mir. Einige Leute, sie waren ebenfalls bewaffnet, rannten uns entgegen. "Los! Geht! Unsere Gegner sind mit Schusswaffen ausgerüstet. Ihr solltet schauen, dass ihr hier wegkommt!" sagte ich zu ihm. Er biss seine Zähne zusammen.
"Beeilt euch!" befahl er Eren und Historia, die sich in ihre Umhänge gehüllt hatten. Die Jugendlichen liefen los.
"Offensivtrupp, keiner soll an uns vorbeikommen!" schrie ich zum Dach hinauf. Auruo, Jens und Bastian nickten und liefen los.
"Sterbt nicht!" zischte Levi noch und folgte den Zwei. Ich nickte und dachte an Erwins Worte. Wir seien der Schild des Elitetrupps, hatte er vor einigen Wochen gesagt. Er hatte Unrecht. Mein Ziel war es nicht, den Elitetrupp zu schützen. Mein Ziel war es, die Feinde von ihnen fernzuhalten und gleichzeitig auszulöschen - wie ein Speer, der seinen Herren schützt und gleichzeitig zusticht.

Unsere Gegner schwangen sich in die Lüfte. Auch sie verfügten über 3D-Manöver-Geräte. Ich rannte los. Dem Ersten, der über mich hinwegfliegen wollte, schoss ich meinen Haken in den Bauch und zog ihn mit Schwung hinunter. Er prallte auf den Boden auf und blieb regungslos liegen. Ich trat gegen ihn, um ihn von meinem Haken zu befreien. Dann blickte ich hinauf. Jens und Bastian kämpften gegen zwei andere Angreifer. Auruo auf der anderen Seite verfolgte jemanden. Ich seufzte. Es waren einfach zu viele, um sie alle vom Elitetrupp abzuhalten. Ich schwang mich hinauf auf die Dächer und sah mich um. Eine Gruppe unserer Feinde war durchgedrungen.
"Verdammt." fluchte ich und schoss meinen Haken in eine Häuserwand, um mich quer über die Stadt zu katapultieren.
"Kenny!" hörte ich einen Schrei. Ich bekam Gänsehaut. Es war Levis Stimme. Noch nie hatte ich ihn so schreien gehört. Was war passiert? Mein Puls raste. Mein Herz klopfte wie wild. Egal wo er jetzt war, ich wollte bei ihm sein. Ihn unterstützen. Ihm helfen. Ich entdeckte zwei Soldaten auf einem Dach und landete neben ihnen. Erschrocken sahen sie auf und zielten auf mich. Mit einem Satz sprang ich einem der Männer direkt vor dem Lauf der Waffe, um im Moment des Schusses auszuweichen. In meiner Drehung positionierte ich mich hinter ihm und drückte ihm die Klinge ins Genick. Er schrie auf. Ich trat ihm in den Rücken, sodass er nach vorn fiel. Sein Kameraden sah ihn verwirrt an und fing die Leiche aus Reflex auf. Dies war sein Fehler. Ich zog mein Schwert mit der linken Hand und schwang es kraftvoll an ihm entlang. Der starre Blick verweilte auf mir, während sein Kopf durch die Luft flog. Sein Blut tropfte mir wie ein warmer Sommerregen ins Gesicht und ließ mich kurz inne halten, um in die Stadt hineinzulauschen. Wo war Levi? Wo konnte ich seine schnellen und präzisen Bewegungen erahnen? Wo vielleicht sogar sein Stöhnen hören, was er bei Anstrengung von sich gab? Ich öffnete die Augen. Etwas Schnelles bewegte sich durch die Stadt. Das musste er sein, doch er war nicht allein. Ich flog über eine weitere Häuserreihe und blickte eine Straße entlang. Ich hatte ihn gefunden. Er flog mit einer unglaublichen Geschwindigkeit knapp über den Boden entlang und wich dabei Kisten aus. Seine Bewegungen waren hastig aber genau, um seinen Verfolger abzuhängen. Dieser war ihm jedoch dicht auf dem Fersen und schien nur leicht beeindruckt.
"Was für ein komischer Typ..." dachte ich. Es war ein sehr großer Mann, der einen Hut und einen langen Mantel trug - ein relativ ungewöhnlicher Kleidungsstil hier auf Paradies, welcher mich an die Bewohner eines westlichen Staates erinnerte. Auch er hatte Pistolenläufe an den Händen und schoss auf den Gefreiten. Die Beiden kamen mir immer näher und ich wartete den richtigen Moment ab. Mein Sprung musste präzise sein, um diesen Mann aufzuhalten. Ich zog meinen Dolch. Er sollte nicht lebend davonkommen.

In dem Moment als Levi an mir vorbeiflog, verließ ich die Deckung und sah zu meinem nächsten Opfer. Ich machte einen Schritt und ließ mich vom Dach fallen. Levi entdeckte mich - sein Blick war geschockt. Warum sah er mich so an? In keinem Kampf hatte er mich jemals so angeblickt. Doch dann kam mir eine noch viel wichtigere Frage in den Kopf: Warum floh er? Ich sah geschockt zu dem Fremden, der sich mir näherte. Wer war er, dass der Gefreite vor ihm wegrennen musste? Es war zu spät. Es gab für mich kein Zurück mehr. Mein Gegner sah unter seinem Hut hervor. Ein unglaublich scharfer Blick traf auf mich. Doch ich wich diesem Blick nicht aus.
"Du kannst mich mal..." dachte ich und schoss meinen Haken an ihm vorbei. Er lachte und ahnte nicht, dass es gewollt war. Ich zog mich an ihn heran. Seine Augen weiteten sich, doch dann machte er eine leichte Bewegung nach rechts und wich mir aus - fast. Meine Klinge bohrte sich in seine rechte Schulter und ich klemmte mich mit meinen Beinen an ihn.
"Ah..." Er stöhnte auf und sah mich angewidert an. "Miststück." sagte er und stieß mit seinem Ellenbogen in meinen Bauch. Es war ein kraftvoller Stoß und ich hustete auf, doch weder meine Beine noch meine Hand lösten sich. So einfach gab ich mich nicht geschlagen.
"Du wirst Levi nicht bekommen, du Arsch!" fluchte ich und spuckte ihm ins Gesicht. Mit einem starken Ruck riss ich meinen Dolch aus seine Schulter und setzte zum nächsten Zustechen an. Sein Blick verriet es - es ging um Leben und Tod - um ihn oder mich. Mit einer schnellen Bewegung drückte er den Lauf seiner linken Waffe an sich vorbei und schoss. Der Knall hallte in meinen Ohren und ein stechender Schmerz brannte sich in meine Hüfte. Meine Augen weiteten sich. Alles in mir verlor seine Kraft. Alles in mir empfand nur diesen Schmerz. Er hatte gewonnen. Meine Gedanken kreisten. "Irgendwann kommt für jeden der Moment, nicht wahr?" dachte ich und wurde durch den Druck des Schusses weggeschleudert. Alles um mich drehte sich. Ich wusste nicht, wo oben und unten, wo vorn und wo hinten war. Doch dann klärte mich der Aufprall auf und zeigte mir, wie hart der Boden sein konnte. Verzweifelt schaffte ich es, meinen Körper hinter eine Kiste zu positionieren, um mich zu verstecken. Mehr konnte ich nicht tun. Zögerlich sah ich an mir hinunter. Meine weiße Bluse war rot. Das Blut meiner Opfer und mein eigenes mischten sich auf ihr und gaben ihr ein Muster des Todes. Ich stöhnte und schloss meine Augen. Ein kalter Schauer überkam mich. War er das nun - der Moment meines Todes? Wahrscheinlich.... Ich grinste in mich hinein. Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht - es hatte sich wirklich etwas angebahnt. Nun langsam verdunkelte sich mein Sichtfeld, bis auch der Schmerz sich von mir entfernt hatte. In mir brach die Nacht herein.


Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now