114. Ein normales Leben

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Es waren Tage der Vorbereitung. Hanji und Levi ließen die erbeuteten Waffen sortieren und erste Übungen durchführen, während ich mich immer wieder mit Lina traf, um unsere Reise zu besprechen. Ich kündigte an, dass auch die Kommandantin des Aufklärungstrupps uns begleiten würde. Eine Tatsache, die meiner früheren Freundin widerwillig akzeptierte. Ihr war durchaus bewusst, dass sie auf dieser Insel nur wenig zu sagen hatte.

„Du benötigst noch vernünftige Kleidung" ,erklärte Lina am Tag unserer Abreise. Sie gab mir einige Kleidungsstücke in die Hand und wies dann auf meine Uniform. „Zivil ist was anderes..." stöhnte sie noch.
„Du hast nicht zufällig eine Hose dabei?" ,fragte ich, nachdem ich das Wäschebündel grob durchgeschaut hatte.
„Nein, jetzt geh dich umziehen und mach dich fertig! Hier, eure Familienfarben!"

Ich starrte Lina ungläubig an.
„Du hast sogar die passende Schminke mit? Was wird das? Werde ich direkt am Hafen vermählt?"
Lina lachte laut auf.
„Dein Vater soll dir doch wohlgesonnen sein, oder nicht?" ,zischte sie. Ihre Augen kniff sie dabei zusammen, sodass sich einige feine Fältchen offenbarten. Wir waren beide wohl nicht mehr die Jüngsten.

Obwohl ich meinen Kopf schüttelte, nahm ich das Kästchen an mich und blickte es an. Schon jetzt fühlte es sich so an, als würde ich mich auf meine Rückkehr vorbereiten. Eine Rückkehr, die ich so nicht geplant hatte, jedoch von vielen erwartet wurde. Was hatte mein Vater zu Lina gesagt? Was glaubte das Militär über meine Abwesenheit? Dachten sie, dass ich in Gefangenschaft gelebt hatte? Das ich befreit wurde und nun als gebrochene Frau zurückkommen würde?

Ich seufzte schwerfällig und verdrängte diese Fragen aus meinem Kopf. Mir blieb am Ende nichts anderes übrig, als es selbst herauszufinden. Also versprach ich Lina, in zwei Stunden aufbrechen zu können, um dann in mein Zimmer zu verschwinden.

Carolin saß dort auf einen Stuhl und beobachtete die Kinder dabei, wie sie mit Holztieren spielten. Sie schienen ausnahmsweise mal friedlich die Zeit zu verbringen, statt sich ständig in die Haare zu kriegen.

„Ah, -dN-. Ihr seid zurück. Kann ich euch etwas Gutes tun? Vielleicht einen Tee kochen?" fragte mich mein Kindermädchen. Manchmal hatte ich bereits das Gefühl, dass sie sich als mein Dienstmädchen sah. Ich schüttelte nur den Kopf.
„Wenn es dir nichts ausmacht, hole bitte den Gefreiten her und sage der Kommandantin, dass wir in zwei Stunden aufbrechen wollen! Das würde mir sehr helfen..."

Carolin nickte und eilte geschwind mit Lukas aus dem Zimmer. Nachdem die Tür zugefallen war, atmete ich einmal tief ein, um daraufhin mich zu entkleiden. Sorgfältig wählte ich Stücke aus dem Wäschebündel Linas aus und zog mich um.

Derhalblange Rock, der Hüftgürtel und die lockerfallende Bluse – das alles wirktefür mich wie Dinge aus einer längst vergessenen Zeit. Einer Zeit, die Paradiesnoch bevorstand, obwohl sie bereits hinter mir lag. Ein Schauer glitt übermeinen Rücken. Dieser Gedanke – er machte mir bewusst, wie wenig ich hierhergehörte.

Ich begann die wirkliche Arbeit: Vorsichtig öffnete ich das Kästchen mit demPulver, um meine Bemalung zu beginnen. In meiner Heimat trugen wir die Zeichenund Farben unserer Familie auf den Gesichtern, wenn besondere Anlässestattfanden. Als Kinder taten wir dies noch aus Spaß, doch irgendwann war eseine lästige Pflicht oder der Versuch, sich hervorzuheben.

Sorgfältig zeichnete ich die Tribale, welche über meine Nase und meinen Wangenführten, in einem leichten Rotton auf. Diese Formen, die ich schon seitKindheitstagen geübt hatte, um den Forderungen meines Vaters gerecht zu werden,gingen mir noch immer leicht von der Hand, auch wenn mein Gesicht im Spiegelverriet, wie ungern ich dieser Forderung gerecht wurde.

„Mama!" ,rief Kuchel plötzlich. Sie hatte mich bei der Bemalung beobachtet undzeigte mit dem Finger auf das Kästchen. „Kuchel auch."

Ein Grinsen ergriff mein Gesicht. Diese unbeschwerliche Art, die sie mir undmeiner Pflicht entgegenbrachte, ließ mein Herz kribbeln.
„Dann setz dich aufs Bett, Kuchel!" sagte ich und prüfte nochmals mein Gesicht,bevor ich mich meiner Tochter widmete.

Ich hockte mich vor ihr und begann den Pinsel auf den zarten Wangen desMädchens tanzen zu lassen. Sie lächelte und blickte in meine Augen – aufmerksamund neugierig. Die Farben strahlten auf ihrer Haut. Warum nur hatte ich dasGefühl, dass sie wie für sie gemacht waren? Warum nur dachte ich plötzlichdaran, dass sie auch meinen Namen hätte tragen können?

Ich schluckte schwerfällig. Dieses Gefühl, was sich in meiner Brustausbreitete, war ein jenes, welches ich nicht fühlen wollte. Es war nicht fair.Nicht fair gegenüber demjenigen, der auf einmal eintrat und mich unglaubwürdigmit seinen weit geöffneten Augen ansah.

„Was soll das werden?" ,fragte Levi, ohne wirklich abzuwarten, ob ich dieSituation selbst erklären würde. Seine Augen wanderten an mir entlang,musterten mich und glänzten dabei. In meinen Kopf stieg die Hitze auf.Wahrscheinlich färbte sie meine Wangen rot, um die Tribale auf meiner Haut zuverschlucken.

„Ich bemale uns."
„Das sehe ich." Levi trat an mich heran. Er griff mein Handgelenk und zog michhoch. Sein direkter Blick zwang sich mir auf. Ich wich ihm aus.
„In meiner Heimat ist es üblich, sich so zu bemalen... Es sind die Zeichen meinerFamilie." erklärte ich, während ich zu Kuchel hinunterstarrte. Sie ließ dieBeine baumeln und wartete gespannt.

„Ist das so..." Levi ging in die Hocke und strich seiner Tochter über den Kopf.Die Beiden lächelten. „Und du wolltest wahrscheinlich wie deine Mutteraussehen?" ,fragte er. Kuchel nickte energisch, während Levi wieder aufstand,ohne aufzusehen. „Du solltest sie öfters tragen, sie stehen dir, -dN-" ,sagteer beinah beiläufig und ging zu seinem Schrank, um einen Anzug hervorzuholen.

Auch wenn sich in diesem Moment meine Lippen zusammenpressten und ich schwieg.Auch wenn ich mich wieder dem Schminken meiner Tochter widmete, um nur hin und wiederzu ihm herüberzuschauen und ihn dabei zu beobachten, wie er sich umzog. MeinHerz schlug, als wollte es mich schwindelig machen und mein Körper schriedanach, ihn in diesem Moment an mich zu drücken – in mich zu drücken - ,nur umihm zu zeigen, wie viel mir diese Worte bedeutet hatten.

„So, du bist fertig" ,meinte ich zu meiner Tochter. Sie rannte eilig zu Levi,zeigte ihm das vollendete Ergebnis und hüpfte dann freudig durch das Zimmer.Ihren Kopf schwingend.
„So schön..." ,sang sie. Ich lächelte und sah zu ihm herüber. Wie er Kuchelansah, verriet mir, wie viel sie ihm bedeutete.

Doch mein Starren wurde entdeckt. Es zauberte ihm ein Grinsen auf das feineGesicht, während er den letzten Knopf seines Hemdes schloss. Dann kam er zu mirund berührte mich an meiner Hüfte.
„Was wäre, wenn wir..." Er brach die Frage ab, doch ich erkannte bereits, was erdachte. Mit weitgeöffneten Augen sah ich ihn an.
„Ich weiß nicht... Ich habe noch nicht drüber nachgedacht, ein weiteres Kind zubekommen..." stotterte ich fast, während Levi mir eine Strähne konzentriert zurSeite strich. Sein Blick wirkte unsicher.
„Vergiss es einfach. Es ist eh nicht die richtige Zeit dafür" ,fügte er dabeihinzu. Seine Hände glitten in seine Hosentaschen.

Ich nickte.

So sehr mich diese Frage auch überrascht hatte, offenbarte sie mir, dass Levisich genauso nach dem Leben danach sehnte, wie ich es tat. Irgendwann gemeinsamirgendwo zu sein, unseren Kindern den Weg zu weisen und das Leben einfach nuran uns vorbeirauschen zu sehen – das war eine Idee, die so länger diese ganzenKämpfe und Probleme andauerten, immer einladender schien. Unsere müden Augenund diese tiefen Schatten, die mittlerweile so oft in unseren Gesichternhingen, verrieten mir, dass es schon längst Zeit dafür war. Aber das Schicksalhatte anders entschieden und verlangte unsere Aufmerksamkeit, bis der Tag derEntscheidung gekommen wäre.

Ich nahm Levis Hand, rief nach meiner Tochter und verließ gemeinsam mit ihnendas Zimmer. Im jetzigen Moment blieb nur die Hoffnung, die uns daran hinderte,zu brechen. Die Hoffnung auf dieses eine Leben, welches wir gemeinsam führenwürden, wenn alles vorbei wäre. Doch, ob wir es wirklich gemeinsam erlebenwürden – ob, wir dann noch zusammen waren, dass konnten wir Beide nur erahnen.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now