123. Willkommen in Marley

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Gemeinsam mit Onyancopon planten Hanji und ich unsere nächste Reise. Im Gegensatz zu der kleinen Gruppe, die beim letzten Mal in meine Heimat gereist war, sollten diesmal einige Soldaten die Möglichkeit erhalten, das Ausland zu besuchen. Allen voran der Elitetrupp sowie der Offensivtrupp, wobei auch Verbündete wie Onyancopon selbst oder Lina uns begleiten wollten.

Wir ließen unsere Kameraden einkleiden, erzählten ihnen, wie sie sich möglichst unauffällig verhalten konnten, nur um letztendlich bereits bei unserer Ankunft auf Marley zu scheitern. Es war ein reines Durcheinander.

„Was ist das da? Ein Pferd?" ,rief Conny aus, nachdem wir das Schiff verlassen hatten und nun in der Hauptstadt Marleys eingetroffen waren.
„Es sieht eher wie eine Kuh aus" ,meinte Sasha daraufhin. Die Zwei zeigten auf das Automobil, welches an uns vorbeifuhr, während ich mit Levi, Kuchel und Onyancopon die Situation beobachtete.
„Wenn wir sie nicht aufhalten, versuchen sie noch das Fahrzeug aus Eisen mit Karotten zu füttern..." ,zischte Levi sichtlich genervt. Er hielt seinen Hut, um ihm am Fortwehen zu hindern, wobei er sich an Onyancopon wandte. Dieser lachte kurz auf. Er war sichtlich amüsiert, bis er erschrocken zu Sasha sah.
„Oh nein, sie kaufen wohl wirklich Karotten..." ,rief er nun.

Eilig drückte ich Kuchel in Levis Arme, um hinterherzulaufen und die doch sehr motivierten Entdecker an möglichen Fehlern zu hindern. Ich fühlte mich schon fast wie ihre Mutter, obwohl sie beim Militär doch eigentlich gelernt haben sollten, wie sich wahre Soldaten zu verhalten haben. Doch auch meine Ablenkung war nicht wirklich das, was man eine Maßregel nennen konnte. Ich lud die zwei Deppen zum Eiswagen ein, der glücklicherweise in der Nähe stand, um so ihre Aufmerksamkeit von dem Automobil abzulenken und anstrengende Erklärungen zu vermeiden. Denn wie konnte man eine Sasha besser von Dummheiten abhalten, als mit etwas Leckerem zu essen? Grinsend zeigte ich ihr und ihren Freunden das Angebot und brachte damit die Meute zur Ruhe.

„Oh, dass ist wundervoll..." ,stöhnte die junge Frau, als sie das erste Mal ihre Zunge in die kalte Creme tauchte. Ich lächelte. Wie leicht man sie glücklich machen konnte, wurde mir erst jetzt wirklich bewusst. Doch auch die anderen wurden plötzlich entspannt. Sie alle beschäftigten sich mit ihrem Eis, quatschten darüber oder ließen es sich einfach nur schmecken. Sie waren auf einmal in diesem fremden Land angekommen, ohne wirklich diese Welt verstehen zu können.

„Na, wollt ihr etwas Süßes?"
Ich blickte in die Richtung, aus welcher ich eine tiefe Stimme vernahm und entdeckte dabei einen recht stämmigen Clown mit unpassender Schminke. Er stand hinter Levi und Kuchel. Trotz seines eher gruseligen Aussehens, sah er freudig zu ihnen herunter. In jeder seiner Hände hielt er einen Lolli bereit zum Verteilen. Meine Augen weiteten sich. Levis sah geschockt aus, während er kurz innehielt, um dann dem bunt bemalten Typen entgegenzuschauen.

Eilig schritt ich zu ihnen herüber, mit dem Ziel den Fremden ein wenig zur Seite zu schieben. Es war nicht gerade der passende Zeitpunkt für so einen Mist, wenn der Mann es wohl auch eher nett meinte. Levi starrte immer noch überfordert herauf. Wahrscheinlich wusste er einfach nicht, was dieser Mann überhaupt wollte, noch zu was dieser gut war.
„Wir brauchen nichts!" ,schimpfte ich.
„Das ist ja abgefahren. Ist das ein Kinder-Gangster-Outfit?" ,fragte der Clown nun. Mein Herz stach. So gern ich es verhindern wollte, dass Levi es erfuhr, denn ich selbst hatte mir schon gedacht, dass dieser Riese Levi für ein Kind hielt, es war doch passiert. Ich presste meine Lippen zusammen, drückte den Typen ein weiteres Stück weg, während Levi einfach nur genervt seufzte.

„Ach Mann..." ,rief ich noch aus.
„Tja, der Knirps bleibt eben ein Knirps. Egal, an welchem Ort" ,meinte Kenny nun. Er trat mit Rico und Phil an mich heran und musterte die Umgebung. „Sieht ja alles schnieke hier aus. Aus so einem Reichtum stammst du also..." ,wandte er sich nun an mich. Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich bin selbst auch nur auf dem Land aufgewachsen" ,warf ich ein, ohne wirklich das Ziel einer Rechtfertigung zu verfolgen. Doch ein neues Problem riss mich aus dem Gespräch.

„... gehört dir nicht!" ,hörte ich Levi sagen. Ich blickte zu ihm. Er stand mit Sasha am Eiswagen und versuchte etwas zu klären. Die Leute um uns herum – sie alle begannen meine Kameraden einzukreisen, sodass ich selbst kaum erkennen konnte, was gerade vor sich ging. Es waren Schaulustige oder jene, die eine Möglichkeit sahen, ihre Ansichten kundzutun.
„Was für ein Rotzbengel!"
„Er ist ein Dieb!"
„Er gehört verhaftet!"

Diese Rufe schallten plötzlich durch das Hafengebiet. Ich sah fragend zu Kenny, der womöglich durch seine Größe die Situation überblicken konnte, doch auch er zuckte nur mit den Schultern. So wirklich wusste keiner von uns, was geschah.
Doch dann erblickte ich Hanji, Levi und die anderen aus der Menge herausrennen. Ich zuckte zusammen, gab jedoch meinem Trupp das Zeichen zu folgen, um daraufhin selbst loszurennen. Was blieb uns auch anderes übrig?

Ein wenige außerhalb des Gebietes – wir schienen bereits am Rand der Stadt angelangt zu sein – holten wir sie endlich ein. Ich trat japsend an Levi heran, meine Hand auf seine Schulter gelegt, um mich abzustützen.
„Was war das eben?" ,fragte ich, während ich noch immer versuchte, meinen Atem zu beruhigen.
„Der Kleine hat versucht, uns zu beklauen. Ich habe ihn weggetragen und er hat selbst mir das Geld aus der Tasche gezogen. Was für ein Rotzlöffel..." ,erklärte Levi. Er blickte hoch zu dem Kind, was nun auf einer Anhöhe uns zuwinkte, und lächelte. Auch ich musste grinsen.
„Tja, du wirst echt alt, Levi..." neckte ich ihn, während ich ihm nun Kuchel abnahm.
„Sehr witzig, -dN-."
„Euer Süßholzgeraspel ist nicht zu ertragen" ,schmipfte Kenny, während er mich und Levi musterte. „Wie lautet denn der weitere Plan?"

Mein Blick wanderte zu Hanji, die nun einige Schritte auf uns zukam, nachdem auch sie sich ausgeruht hatte. Sie richtete ihren Hut, um daraufhin zu erklären:
„Nun ja, die Azumabito wollten uns in ihrer Botschaft empfangen. Ich denke, wir werden mit ihnen alles weitere besprechen."
„Wann müssen wir denn zu ihnen?" ,fragte Connie nun, der mit Jean und Sasha auf dem Boden saß.
„In ein paar Wochen wird Hizuru persönlich hierherkommen. Bis dahin werden wir eine Unterkunft beziehen, die uns die Anti-Marley-Bewegung zur Verfügung stellt" ,erläuterte Hanji der Gruppe, während sie Onyancopon ansah. Dieser nickte.

„Ich werde euch dort hinführen."


Unser Verbündete zeigte uns ein wenig die Stadt, wobei er vor allem Orientierungspunkte nannte oder gar betonte, welche uns das Finden unseres neuen Zuhauses auf Zeit erleichtern sollte. Dies war ein überraschend großes Haus mit genügend Zimmern, welche wir bereits bei der Ankunft effektiv aufteilten, sodass sich diejenigen, die von der Reise erschöpft waren, bereits zurückziehen konnten. Dazu zählte auch Lina, die mit einem kurzen „Euch noch einen schönen Abend" sich für den Tag verabschiedete. Ich seufzte. Nach unserem Gespräch auf Paradies und der Überfahrt hatten wir nicht wirklich die Zeit gefunden, uns weiter auszutauschen. Dabei war ich immer noch an ihre Kontakte interessiert.

Doch am späten Abend, als ich mit Levi und Kuchel den Flur entlangschritt, lauerte sie uns auf.
„-dN-, ich muss mit dir reden!" ,sagte sie, als sie uns entdeckte.
„Ich bringe Kuchel schon mal ins Bett" ,schlug Levi vor. Sein Blick blieb kurz an mir hängen – ein wenig bedauernd, jedoch vertrauend. Er wusste, dass Lina mir vielleicht gewisse Möglichkeiten eröffnen konnte, die wir nutzen mussten. Er wusste, dass ich mit ihr das Gespräch für Paradies suchte und dennoch zeigten seine Augen einen Hauch von Unsicherheit. Ich ließ meine Hand an seinem Rücken entlanggleiten, als er ging.

„Manchmal wirkt ihr ja beinah unzertrennlich..." warf Lina ein, als Levi in unserem Zimmer verschwunden war. Ich zuckte mit den Schultern. „Na ja... warum ich eigentlich mit dir sprechen wollte... Ich habe dir etwas mitgebracht."

Meine frühere Freundin hielt mir ein Stoffbündel hin. Ich nahm es an mich, musterte es kurz, um es daraufhin eilig auszupacken. Es war eine Art Minigewehr mit kurzem Lauf und langem Magazin. Der Griff war aus edlem Holz gefertigt. Ich sah Lina verdutzt an.
„Was ist das?" ,fragte ich dabei.

„Eine Maschinenpistole. Es ist einer der ersten Modelle. Sie schieß so schnell wie ein schweres Maschinengewehr ist aber fast so klein wie ein Revolver. Eine wahre Revolution, meint Till immer" ,erklärte sie, während sie mir zudem einen Beutel mit Munition reichte.

„Ich gebe dir gern mehr modernes Zeug, aber es ist nur für dich persönlich bestimmt, -dN-. Ich unterstütze dich als meine Landsfrau und frühere Kameradin. Mehr nicht" ,erklärte sie mir.
„Das heißt?"
„Eine große Waffenlieferung wird es von Tills Seite aus nicht geben."
„In Ordnung. Ich habe verstanden..." ,meinte ich nur und lehnte mich an die Wand. Mein Haar fiel mir ins Gesicht.

„Ich habe übrigens von deinem Vater gehört, dass du seine Unterstützung forderst... Nicht das es mich wundert, aber wann wirst du endlich erwachsen?" ,stachelte Lina plötzlich. Ich seufzte.
„Lina... Ich bin schon längst keine mehr von euch."
„Du wirst es immer bleiben, ob du willst oder nicht, -dN-. Werner wird auf dich zuhause warten. Ich werde es ebenfalls tun und immer für dich da sein, auch wenn ich dich nicht in allem unterstützen kann..."

Linas Blick wanderte zum Boden. Ihre Hände packten einander. Zärtlich drehte sie den Ring an ihrem Finger.
„Ich hätte unglaublich gern mit dir in einer Nachbarschaft gewohnt, -dN-. So wie früher. Hin und wieder hätte ich dich besucht und Till und Werner hätten vielleicht eine Runde Schach spielen können, während wir in deinem riesigen Garten den Sommer genossen hätten. Warum lässt du dir das alles entgehen?" Ich schüttelte den Kopf. Mein Puls begann zu rasen.
„Hat dir mein Vater gesagt, dass du mich so nach Hause locken sollst?"
„Nein."
„Warum sagst du das dann, Lina?"
„Weil ich nicht glauben kann, dass dich der Hauptgefreite glücklich macht... Dass dieses ganze Leben dich glücklich macht... Ganz ehrlich, wie stellst du dir das denn nach dem Abenteuer Krieg vor? Willst du mit ihm auf der Insel vor einem Schweinestall hocken, oder was?"

Lina argumentierte so, wie ich es von ihr gewohnt war. Sie sah die Dinge aus ihrer Sicht, projizierte dabei ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche auf mich und verglich sie mit der mir vielleicht bevorstehenden Zukunft. Natürlich konnte sie nicht nachvollziehen, warum ich glücklich war und sein würde. Während sie die Macht und das Geld ihres Mannes liebte, war ich aus anderen Gründen bei Levi. Gründe, die sie wahrscheinlich nicht verstand. Doch ich spielte ihr Spiel mit.

„Nein, ein Teeladen... Wir eröffnen nach dem Krieg einen Teeladen irgendwo in der Nähe des Meeres. Vielleicht sogar direkt am Hafen. Am Tage räume ich die Regale ein und bediene Kunden. Am Abend sitze ich mit Levi in unserer kleinen Wohnung am Kamin und rede mit ihm über unsere gefallenen Freunde. Es wird nichts Besonderes sein, ich weiß. Aber es wird reichen, weil..."
Mir blieben die Worte im Hals stecken. Ich spürte die Röte in meinem Gesicht, die mich inne lassen hielt.
„Weil?" ,hakte Lina nach.

„Ach, das verstehst du nicht..." ,stotterte ich heraus, während ich wild mit den Händen gestikulierte. Lina sah mich schräg an, bevor sie in Gelächter ausbrach.
„Oh Mann... du bist so durcheinander... Weißt du, ich wusste schon immer das du gern Spaß mit gewissen Männern hast. Aber dass du das deiner Pflicht vorziehst, habe ich nicht gedacht..."

Fast schon wehmütig sah mich Lina nun an.
„Dann ist es wohl das Richtige für dich... Ein Teeladen... Wer von euch ist auf so eine dumme Idee gekommen?"

Ich zuckte mit den Schultern und lächelte. Wer mit dieser Idee angekommen war, war im Endeffekt nicht mehr von Bedeutung, denn wir teilten sie bereits und hofften einfach darauf, sie irgendwann gemeinsam umzusetzen.

Einfach so.

Nach dem Krieg.

Ohne einen wirklichen Plan.  

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt