36. Wahrheiten

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Ein Blitz erhellte unsere Umgebung und der Attackierende Titan kam in seiner vollen Pracht hervor. Wie es aussah, hatten der Aufklärungstrupp einen Plan.
"Zerteil einfach alles, was dir entgegenfliegt!" erklärte mir Levi. Wir hatten keine Zeit mehr. Ich musste ohne große Besprechung aggieren, denn das Monster ergriff bereits die Mauer. Es zog seinen Körper mit großer Mühe herauf. Die Erde bebte. Nun stand er da. Geschockt sah ich dem abgeriebenen Körper entgegen. Das offene Fleisch präsentierte sich uns. Offenliegenden Organen hingen aus dem Körper des Monsters heraus und verbreiteten einen stechenden Gestank. Ich blickte hinauf, blickte zum Gesicht des Titans und entdeckte einen halben Schädel. Selbst seinen Kopf hatte es auf dem Boden schleifen lassen und damit seine Nase, seinen Mund und auch seine Augen abgerieben.
"Was für ein dummes Vieh...." flüsterte ich mir selbst zu. Selbst die Logik der Selbsterhaltung schienen Titanen nicht mehr nachvollziehen zu können. Dieser hier war der Beweis dafür.
"Los zur Seite!" befahl Levi. Erschrocken rannte ich zurück zu Erwin und suchte, wie auch die anderen Soldaten, Abstand zu dem Monstrum, um nicht von seinen Organen erschlagen zu werden. Ein normaler Kampf war gegen solch einem Riesen nicht möglich. Doch ich wurde nicht enttäuscht. Hanji schien bereits das geplante Vorgehen einzuleiten:
"Los Eren, nimm die Fäser und werf sie dem Vieh entgegen!" Die Braunhaarige stand bei dem Titanenwandler und feuerte ihn an.
"Sie ist wie immer grandios...." dachte ich und musste ein wenig lächeln. Eren nahm das große Netz voller Fässer und stürmte los. Agil und wendig bewegte er sich auf unseren Gegner zu und sprang ihm mit einem Satz entgegen. Er stopfte ihm das Maul oder dem Teil, der davon noch übrig war und wich danach einem Schlag des Viehs aus. Auch wenn die Größe des Monsters einschüchtern wirkte, war es viel zu langsam. Eine Gefahr stellte es nur durch seinen Dampf und seinem Voranschreiten dar.
"Feuer!" schrie Erwin nun und hielt sein rechtes Schwert in Richtung des Feindes. Einige Bogenschützen schossen mit brennenden Pfeilen auf die vorbereitete Stelle. Es folgte eine kraftvolle Explosion, die selbst die die Mauer erschütterte.  Der Titan wurde förmlich zerpflückt. Sein Fleisch flog in alle Himmelsrichtungen. "Beginnt die Säuberung!" befahl Erwin nun. Die Soldaten begaben sich in die Luft und zerschnitten Stückchen für Stückchen des Monsters. Auch ich flog los und versuchte dabei, vor allem mit meiner rechten Hand zu aggieren. Ein Schwung meines Schwertes folgte dem Anderen. Irgendwo musste er sein - der Schwachpunkt dieses Titans. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn gefunden haben mussten. Dieser kleine Bereich, der das Todesurteil sein konnte. Erschöpft landete ich auf der Mauer und blickte meinen Kameraden entgegen. Ihre Schatten tanzten auf der Mauer und ließen mich inne halten. Dann erblickte ich sie. Historia flog über mich hinweg. Ihr blondes Haar glänzte golden im Sonnenschein. Wie eine Akrobatin bewegte sie sich auf den nächsten Klumpen zu und schwang ihr Schwert. Ein lautes Zischen ertönte. Der Titan verdampfte. Sie hatte es geschafft. Stolz stellte sie sich in die Menschenmenge auf einen Wagen und sprach zu ihrem Volk. Die wahre Königin war nun also zurück. Ich verschränkte die Arme. Auch wenn ich nicht viel von einer Monarchie hielt, war sie doch eine geeignete Kandidatin für den Thron. Das musste ich ihr lassen.

Levi landete neben mir und sah mich eindringlich an.
"Also hat sie den Schwachpunkt gefunden." sagte er und wartete auf meine Reaktion. Ich nickte.
"Ja, welch Ironie. Jetzt stellt sich ihr auf dem Weg zum Thron wohl nichts mehr entgegen." meinte ich und beobachtete das Schauspiel. Die Menschen jubelten. Sie feierten ihre neue Königin. Die Unterstützung ihres Volkes hatte sie also sicher. "Wie lange wird diese Begeisterung anhalten?" fragte ich leise. Eine Frage, die in die Bedeutungslosigkeit rutschen würde. Am Ende war nur wichtig, wer Einfluss auf dieses junge Mädchen nehmen würde und wir alle wussten, dass Smith bereit seinen Schatten auf diese Königin warf. Doch auch ich sah sie als Instrument meiner Pläne an. Sie war genau die Richtige, um die Auflösung der Unterwelt anzugehen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich diese Forderung an sie herantragen würde und ich hoffte dabei auf Levis Unterstützung.
"Was schaust du so?" Ich blickte ihn an und lächelte.
"Um ehrlich zu sein, habe ich eine Kleinigkeit vor, aber das können wir später besprechen. Jetzt ist etwas Anderes wichtiger, oder nicht?" Der Gefreite nickte und sah sich um. Unsere Soldaten waren ebenfalls von Historia begeistert und riefen ihr Zuspruch zu. Unser Verschwinden würde also niemanden auffallen.
"Komm!" sagte Levi nun und sprang die Mauer hinunter. Ich tat es ihm gleich. Zwischen einer Häuserreihe und der Mauer befand ich eine Holzbank, neben welcher Levi landete und sich setzte. "Was hast du herausgefunden?" Er sah zu mir herauf. In seinen Augen war Angst. Es war die Angst vor der Wahrheit. Denn auch wenn die Unwissenheit einen Menschen in den Wahn treiben kann, ist sie wie ein Schutzmantel. Sie legt einen Schleier aus Hoffnung und Träume um uns. Lässt uns in diesem eingehüllt unser Leben leben und gibt uns Mut. Wer diesen Schutz ablegt, macht sich verletzlich, denn die Wahrheit ist anders. Sie dringt in das Herz ein, wütet im Geist eines jeden und nimmt keine Rücksicht auf die Seele. Sie zerstört am Ende Träume und zerreißt auch das letzte Stückchen der Hoffnung. Auf was hoffte Levi? Wie hatte er sich sein Leben vorgestellt? Was würde ich in diesem Moment zerstören? Ich blickte ihn eindringlich an und er nickte. Er wollte sie: diese Wahrheit. Es war meine Pflicht, sie ihm zu reichen, wenn er danach verlangte. Also erzählte ich ihm seine Geschichte. Ich offenbarte ihm Kennys Wahrheit und den Fluch, den er und seine Familie in sich trugen. Und dann zum Schluss nannte ich ihm seinen Namen. Levi schwieg, doch seine Augen verrieten es mir. Es war dieses eine Puzzelteil, welches ich in ihn hineinsetze und ihn zu seinem vollständigen Sein verhalf. Doch es war auch ein Schmerz in ihm erkennbar. In jenem Moment hatte ich ihm seine Herkunft offenbart und ihm gleichzeitig die Hoffnung auf einen Vater genommen.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now