9. Der falsche Kommandant

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Trost wurde vom Aufklärungstrupp sowie durch die Unterstützung der Mauergarnison gereinigt. Die Menschen konnten zurück in ihre Häuser oder mussten das, was ihnen davon übriggeblieben war, erkennen und hinnehmen. Ich saß immer noch auf dem Dach, auf dem ich Levi traf. Mein Körper streikte und mein Geist war zu müde, um dagegen anzukämpfen. Erst jetzt wurde mir bewusst, was ich gesehen hatte: Ein Massaker. Noch nie hatte ich so viele Tote, so viel Blut ertragen müssen. Mir wurde übel bei dem Gedanken, welches Blut an meinem Körper klebte. Die ersten Leichenberge wurden angezündet. Rauch stieg auf. Die Stadt stank bereits jetzt unerträglich. Ich hielt mir die Hand vor mein Gesicht und stand langsam auf.
"-dN-, da bist du ja!" Petra landete neben mir.
"Hey." sagte ich leise. Die junge Frau sah mich erschrocken an. Ich sah wahrscheinlich noch schlimmer aus, als ich mich fühlte.
"Der Kommandant möchte dich sprechen. Ich soll dich zu ihn bringen." Ich nickte und folgte Petra zum Hauptquartier. Dort am Eingang standen Smith, Hanji, Levi und Pixis.
Dieser sah mich an und begrüßte mich freundlich: "Ah, da seid ihr ja. Die junge Frau, die dem Aufklärungstrupp die Titanen sichert." Ich nickte nur.
"Gute Arbeit, -dN-." sagte Smith nun zu mir, "über einige Dinge, die ihr anscheint geäußert habt, werden wir später reden." Ich zuckte mit meinen Schultern.
"Diese waren nötig." meinte ich und sah Smith direkt an. Ich akzeptierte keine Kritik in diesem Punkt. Er hatte nicht erlebt, wie chaotisch und panisch die Situation gewesen war. Pixis nahm einen Schluck aus seinem Flachmann.
"Ganz schön stur, eure Vertraute." meinte er zu Smith und grinste. Dann wandte er sich zu mir: "Ihr seid jederzeit bei der Mauergarnison willkommen, junge Dame. Solch eine kluge Kämpferin kann ich sehr gut gebrauchen." Ich senkte meinen Kopf.
"Vielen Dank, aber ich bin unter dem Gefreiten sehr gut aufgehoben."
"Ich verstehe. Ein Jammer." gab Pixis zu und setze die Flasche ein weiteres Mal an. Ich verdrehte meine Augen. Pixis roch bereits ziemlich stark nach Alkohol. Er musste einen Dauerpegel gewohnt sein, anders konnte ich mir sein recht normales Verhalten nicht erklären.
"Ich bitte um Erlaubnis mich absetzen zu dürfen. Um ehrlich zu sein, würde ich gern ins Quartier zurückkehren, um mich zu waschen."
"Erlaubnis erteilt." sagte Levi bevor Smith reagieren konnte, "du hast das bitter nötig. Beeil dich aber! Wir werden bald nach Mitras aufbrechen." Ich stöhnte ein "Jawohl." heraus und ging nach Hause.

Glücklicherweise lag die Kaserne weit im Inneren der Stadt und hatte somit keinen Schaden genommen. Ich betrat das Quartier und lief sofort ins Bad. Dort machte ich mir Wasser heiß und riss mir die klebende Kleidung vom Leib. Mit meiner Seife rieb ich meinen Körper ab. Teilweise rötete sich meine Haut. Blut, Schweiß, Rauch - diesen Gestank musste ich loswerden. Ich tauchte in die Wanne, wusch mein Haar und seufzte. Das Wasser verdunkelte sich, schien beinah schlammig. Zügig stieg ich wieder heraus - es musste so reichen. Mit zwei Handtüchern umwickelt und meiner dreckigen Kleidung im Arm stolzierte ich durch den Gemeinschaftsraum als plötzlich die Haustür geöffnet wurde. Ich schrak auf und errötete. Gunther kam verdutzt herrein.
"Oh, entschuldige -dN-. Ich....."
"Alles gut. Komm rein! Es macht mir nichts." Ich war erleichtert. Gunther stand auf Männer, wie er uns vor kurzem offenbart hatte. Ich hatte also keine Blicke zu befürchten. "Was machst du hier?" ,fragte ich nun und ging die Treppe hinauf. Er folgte mir.
"Ich wollte nur etwas holen. Meine Familie stammt aus Mitras. Vielleicht kann ich meiner Mutter etwas vorbeibringen." Ich lächelte. Er war wohl nicht nur ein wundervoller Kamerad sondern auch ein toller Sohn.
"Wartest du auf mich? Ich ziehe mich nur kurz an." Schnell verschwand ich in meinem Zimmer, zog meine Uniform an und tröpfelte mein Duftwasser darauf. Es erhellte meine Stimmung. Ich rannte heraus und Gunther grinste mich an.
"Du duftest wieder so wundervoll."
"Vielen Dank, Gunther." Ich sah ihn grinsend an.
"Sag mal, mit groß und blond, meintest du da Smith?" Gunther lachte.
"Nein, wie kommst du denn darauf?" Ich zuckte mit den Schultern und ging die Treppe hinunter. Mein Kamerad folgte mir und fügte hinzu: "Mein Partner lebt in Mitras. Er wohnt und arbeitet dort bei seinem Vater als Schmied."
"Mmmh, es muss schwierig sein, sich so selten sehen zu können...." sagte ich und öffnete die Haustür. Wir gingen gemeinsam in Richtung des Hauptquartieres. Gunther erzählte mir, wie gut ihm grade dieser Abstand tat. Das er niemals wollen würde, dass sein Freund in seinem Trupp sei und dass jedes Wiedersehen ein besonders schöner Moment sei. Ich hörte gespannt zu und staunte über seine Ehrlichkeit. Dann fragte er mich, wie es bei mir aussähe.
"Nichts." ,antwortete ich zurückhalten. "Ich bin schon etwas länger allein und es ist in Ordnung."
"Aber du magst auch Männer, oder?" fragte er nun. Ich lachte.
"Ja, schon. Aber meist die, die nicht so einfach zu haben sind oder die, die dann doch nicht passen......"
"Und wer ist es jetzt?" ,unterbrach er mich. Ich blickte ihn errötet an. "Ah, ich hatte Recht. Ist es der Vizekommandant?"
"Waaaaas? Bist du verrückt? Der komische Typ?" Wir lachten laut los. "Der scheint aber ein Auge auf dich geworfen zu haben."
"Wohl eher eine Nase." ,verbesserte ich Gunther. Wieder lachten wir und kamen am Hauptquartier an. Die anderen Soldaten sahen uns verwirrt an. Vielleicht war es wirklich nicht der beste Zeitpunkt zum Fröhlichsein gewesen, aber es war so befreiend mit einem Freund zu scherzen.
"Ihr scheint ja Spaß zu haben." sagte Levi spöttisch zu uns und wandte sich dann an mich: "Du wirst mit uns in der Kutsche fahren. Ein neues Pferd erhältst du später. Folge mir! Wir haben auf dich gewartet." Ich nickte und winkte Gunther zum Abschied zu. Er würde mit einer kleinen Gruppe nach Mitras reiten. Ein Jammer, dass wir nicht weiter quatschen konnten.

In der Kutsche saßen Smith, Hanji, Levi und ich. Die Stimmung war leicht angespannt. Der Kommandant schien zu grübeln und Levi sah immer wieder skeptisch zu uns, sagte jedoch nichts.
"Oh, diese Langeweile." ,beschwerte sich Hanji.
"Ah, wie geht es Lina eigentlich?" fragte ich nun.
"In Ordnung, -dN-. Mehr kann ich dir nicht sagen." antwortete die Frau und blickte zu Smith.
"Wie? Du kannst mir nicht mehr sagen?" Ich folgte ihrem Blick und sah ebenfalls zum Kommandanten. "Traut ihr mir etwa immer noch nicht?" Der blonde Mann verzog keine Mine und schwieg. Er hatte nicht vor, mir zu antworten. Mich überkam plötzlich die Wut. Konnte es wirklich sein? Vertraute er mir noch immer nicht, obwohl ich mir in Trost den Arsch aufgerissen hatte? Mehrmals hätte ich sterben können. Mehrmals hatte ich mich für die Menschen, für die Soldaten, für den Aufklärungstrupp eingesetzt und er sah mich nun so an, als sei ich immernoch eine Fremde. "Ich glaube das einfach nicht. Nach all dem, was ich getan habe....... Was muss ich noch tun, um von euch akzeptiert zu werden?" Ich sprang auf. Levi und Hanji taten es mir gleich, um mich noch aufzuhalten, doch ich war bereits aus der Kutsche gesprungen. In diesem Ding hielt ich es nicht mehr aus.
"-dN-, warte!" hörte ich Levi. Er war der, den Smith wohl geschickt hatte. Natürlich würde er ihn schicken. Ich lief weiter. "-dN-, warte! Das ist ein Befehl!" Levi rief nun erzürnt und ich blieb wie angewurzelt stehen. Ich sah zurück zu ihm, wie er auf mich zukam. Sein Blick gesenkt, seine Hände zu Fäusten geballt - das verhieß nichts gutes. "Scheiße. Was denkst du dir dabei?" sagte er als er vor mir stand.
"Ich ertrage das nicht..... Ich vertraue euch alles an und ihr denkt, ich sei eine Verräterin." ,beklagte ich die Situation.
"Ich kann dir nicht sagen, was du denken darfst und was nicht. Aber du solltest auf dein Gefühl vertrauen. Denkst du wirklich, dass ich dir nicht traue?" Levi sah mich konzentriert an. Er hatte die Fassung behalten und versuchte mich zu beruhigen. Seine Blick war starr auf mich gerichtet. Ich schüttelte den Kopf. "Das ist das wichtigste, -dN-. Du musste deinem Team vertrauen können. Ich bin mit Erwin nicht immer einer Meinung, aber ich vertraue ihm und so musst du mir und unserer Einheit vertrauen." Er berührte meinen Kopf, wuschelte mir kurz darüber und strich mir dann durchs Haar. Eine Strähne davon behielt er in seiner Hand und blickte darauf. Ich war verwirrt. Mein Herz klopfte immer stärker. Mein Atem beschleunigte sich. Könnte ich es ihm sagen? Das, was ich fühle, einfach aussprechen?
"Levi, ich......" Es sah erschrocken auf und unterbrach mich.
"Komm! Wir müssen zurück!" Ich schluckte und folgte ihm. Nein, es war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort.
"Warum kann ich mich kaum zügeln?", dachte ich genervt. Mir fehlte Lina. Wie gern würde ich mit ihr darüber reden. Mich einfach mal bei der besten Freundin ausheulen. Aber selbst wenn sie jetzt hier wäre, müsste ich schweigen. Wer weiß, was sie dazu sagen würde.....
Nachdem Levi in die Kutsche zurückgestiegen war, ging auch ich hinein und setzte mich, ohne ein weiteres Wort zu sagen, auf meinen Platz. Smith schien dies nicht zu gefallen, aber wahrscheinlich vertraute er darauf, dass Levi die Situation geklärt hatte. Mehr würde ihn nicht interessieren. Funktionieren und Vorankommen - er war ein taktischer Mann, der starr seinen Zielen folgte. "Pixis wäre für mich sicher der passendere Kommandant gewesen. Er hatte es wahrscheinlich erkannt und mir deswegen das Angebot gemacht." ,dachte ich und hoffte, dass Smith meine Anspielung verstanden hatte. Ich hatte nicht grundlos Levis Einheit genannt. Meine Loyalität gehörte ihm und meinem Trupp - nicht Smith. Das sollte er wissen.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt