73. Duft der Freiheit

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Ich spürte die Kälte. Unsicher drehte ich mich um und erkannte, dass ich wieder allein aufwachte. Ein Seufzen entglitt mir. Müde blickte ich zum Fenster – zum hereinbrechenden Winter. Bald würde er die Welt mit seinem Schnee bedecken und mit seinem Frost nach uns greifen. Ich hasste diese Jahreszeit. Sie erinnerte mich an meine Familie, die mich selbst an den kühlsten Tagen im Jahr zum Markt geschickt hatte, um für uns Brennholz zu holen. Doch der nun kommende Winter würde anders werden. Es war der erste Winter, dem ich mit dem Wissen, selbst bald eine Familie zu haben, gegenüberstand. Der erste Winter, in dem ich nicht frieren würde und dennoch – dieses Gefühl war mir immer noch nicht geheuer. Es klebte in meinem Geist wie Sand auf der Haut. Einerseits kitzelnd und angenehm, andererseits reibend und zwickend. Doch ich akzeptierte dieses Empfinden. Es gehörte ab nun zu mir, so wie auch Levi und ich zusammengehörten. Ein Lächeln überkam mich. Eilig stand ich auf. Noch immer schmerzte unsere Lust in meinem Schoss, doch es war genau das, nach dem ich verlangt hatte. Wie oft hatte ich Levi aufgefordert, grober zu mir zu sein? Wie oft geschrien, dass ich mehr wollte? Ich hatte mich in ihm verloren. Ihn zu fühlen, war das Einzige, was meine Seele stillen konnte. Unsicher griff ich in mein Gesicht. Meine Hände – sie dufteten nach der Nacht- nach ihm und nach mir. Taumelnd ging ich ins Badezimmer und wusch mich. So sehr ich diesen Duft genoss, ich befreite meinen Körper von ihm, nur um dabei daran zu denken, wie seine Zunge ihren Weg auf meiner Brust begann. Ich biss mir auf die Unterlippe – dieser Mann hatte mich süchtig nach ihm gemacht und heimlich hoffte ich so sehr, dass er sich ebenfalls in diesem Verlangen verlaufen hatte und nie mehr herausfand - nie mehr.

Ein Blick auf die Uhr ließ mich aufschrecken. Es war bereits 10 Uhr morgens – viel Zeit war mir also nicht mehr geblieben, um einige Besorgungen zu machen. Eilig zog ich mich an, lief in mein Zimmer und legte ein wenig von meinem Duftwasser auf, nur um zu bemerken, dass das Fläschchen beinah leer war.
„Ob es den Laden noch gibt?" fragte ich mich und dachte an den Titanenangriff von damals. Welche Gebäude hier in Trost genau zerstört wurden, wusste ich nicht, doch die Wahrscheinlichkeit, dass es auch diesen Laden getroffen hatte, war groß. Ich seufzte und griff nach meinem Mantel. Es gab nur einen Weg dies herauszufinden. Daher stolzierte ich los. Ich rannte durch die Straßen von Trost, kaufte mir unterwegs ein Brot und aß hastig, um meinen aufkommenden Hunger zu stillen. Dann bog ich in die kleine Seitengasse ab, die Petra mir gezeigt hatte. Ich seufzte. Sie hatte mir an diesem Tag das erste Mal das Gefühl gegeben, auf dieser Insel eine neue Freundin gefunden zu haben. Ihre herzliche Art hatte mich erwärmt. Unsicher blieb ich vor dem kleinen Seifenladen stehen.
„Wie gerne wäre ich wieder zusammen mit dir hier..." dachte ich und öffnete die Tür. Die alte Dame stand an einem Regal und blickte mich lächelnd an.
„Willkommen." sagte sie und zuckte ein wenig, als sie die Flügel der Freiheit auf meiner Brust entdeckte. „Ah, ihr seid eine Soldatin des Aufklärungstrupps." warf sie ein und kam auf mich zu. „Wie kann ich euch helfen?"
„Ich möchte dieses Duftwasser wieder kaufen." sagte ich, während ich in meiner Manteltasche nach dem Fläschchen kramte. Ich zeigte es ihr.
„Ah ja, ihr seid die Dame von damals. Die, der ich es zum Ausprobieren geschenkt habe..." Die alte Frau ging zu einem Regal weiter hinten im Laden und griff nach einem ähnlichen Fläschchen.
„Wisst ihr, mein lieber Enkel war auch Soldat beim Aufklärungstrupp. Er hat uns sehr stolz gemacht, unser Mike. Seit einige Zeit ist er verschwunden."
Ich schluckte schwerfällig. Am Etikett des Fläschchens fummelnd, trat ich an die Frau heran.
„Ich kannte ihn..." flüsterte ich schon fast und blickte bedrückt zum Boden.
„Ich weiß. Er hatte mir von euch erzählt – von der Frau, die nach der Freiheit duftet. Ich wusste sofort, wen er meinte. Auch mir wart ihr durch euren unüblichen Geruch aufgefallen."
Meine Augen weiteten sich.
„Nach der Freiheit?" Die Dame nickte.
„Ja, ein sehr außergewöhnlicher Duft. Wir in unserer Familie haben einen sehr feinen Geruchsinn. Es ist also kein Wunder, dass ihr unserem Mike aufgefallen wart. Aber dieses Fläschchen war nicht für ihn, nicht wahr? Denn jetzt duftet ihr nach etwas anderem..."
Meine Wangen erhitzten sich. Ohne der Frau in die Augen zu sehen, nickte ich. Sie lächelte gezwungen und hielt mir ein neues Fläschchen hin.
„Hier. Das ist das Duftwasser, was ihr sucht."
„Dann gebt mir bitte Zwei davon und ich möchte sie diesmal auch zahlen." Eilig holte ich mein Münzsäckchen hervor und wühlte darin.
„Fünf Goldstücke reichen. Den mutigen Soldaten des Trupps meines Enkels werde ich keine Münze mehr als nötig abnehmen." erklärte sie und nahm das Geld entgegen. Ich bedankte mich bei der Frau und verließ den Laden. Ein Stechen verbreitete sich in meinem Bauch. Ich griff an meinen Verband und seufzte, nur um zu erkennen, dass dieser Schmerz bleiben würde. Mike – er hatte mich wohl wirklich gemocht. Ich biss meine Zähne zusammen. Vielleicht hätte ich netter zu ihm sein sollen. Vielleicht in dem einen oder anderen Moment nicht so abweisend sein müssen. Doch die Möglichkeit dies zu ändern – es gab sie nicht. Ich konnte nur noch bereuen und mich über die sorgen, die er mit seinem Tod hinter sich gelassen hatte. Mein Blick wanderte zurück zu dem kleinen Laden. Plötzlich erschien mir dieses Gebäude so unglaublich einsam. So einsam wie die Dame darin, die wahrscheinlich immer noch hoffte, dass ihr Enkel zurückkehrten würde.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt