58. Reue

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"Ich sollte besser zurückgehen." sagte Levi nun. Seine Augen musterten unsicher mein Gesicht. Ich nickte, doch mein Herz klopfte. Was hatte ich da grade zu ihm gesagt? Könnte ich es jemals klären, wenn ich ihn jetzt gehen ließe? Ich schniefte ein weitere Mal, tupfte die letzten Tränen fort und griff seinen Ärmel.
"Es tut mir leid....." stotterte ich. Diese Worte - sie kamen mir nicht leicht über die Lippen. Ich war keine Frau, die häufig bereute, was sie sagte oder tat. Doch jetzt grade schmerzte nichts mehr, als zu wissen, diesen Fehler begannen zu haben. Hatte ich einen Keil zwischen uns geworfen?
"Du bist zur Zeit extrem emotional, -dN-....." Levi lag seine Hand auf meinen Kopf. Er strich durch mein Haar. Ich biss auf meine Unterlippe.
"Warum machst du mir keine Vorwürfe?"
"Würde uns das weiterbringen?" Ich schüttelte den Kopf und seufzte. Ich hatte sie unterschätzt - die Macht der Worte. Wie wild hatte ich mit ihnen um mich geschlagen, so als würde ich mit einem Morgenstern herumwirbeln und alles niedermachen, was sich mir in den Weg stellte. Ich hatte mich schwer bewaffnet und war auf Levi losgegangen. Ich hatte zugestochen - mehrmals - und selbst dann nicht aufgehört, als er sich nicht werte. Sein Körper hatte keine Verletzung davongetragen, doch was hatte ich mit seiner Seele gemacht? Wie nah war ich an ihn herangekommen? Wie stark war er verletzt? Levi war nicht die Person, der man eine solche Verletzung leicht ansah. Man musste tief in ihn hineinblicken, förmlich in ihm graben, um seine Wunden zu entdecken. Und ich wusste, dass er bereits einige Narben in sich trug.
"Ich will nicht, dass du jetzt gehst, Levi!" sagte ich immer noch unsicher. Doch ich schlang meine Arme um ihn und hielt ihn fest. Levi starrte mich an. Er hob mein Gesicht, welches ich in seinem Hemd vergraben hatte, hervor und hielt es in seinen Händen. Sein Blick stach in meine Seele.
"Weißt du, dass du manchmal ein Miststück bist?" fragte er mich. Ich sah ihn erschrocken an. Natürlich wollte ich ihm widersprechen, doch er küsste mich bereits. Seine Zunge drückte er aggressiv in meinen Mund. Ich sog sie in mich ein und griff ihm dabei fest in seine Hüfte, die ich an meine drückte. Levi stöhnte auf. Er löste seine Lippen von meinen und betrachtete meine geröteten Wangen. Sie schienen ihm entgegen und sagten bereits das, was auf meiner Zunge lag.
"Schl..."Levi drückte seinen Daumen auf meine Lippen.
"Ich kann nicht...." Meine Augen weiteten sich. Er brachte die gewohnte Distanz zwischen uns und strich sich durchs Haar. "Ich werde gleich mit meinem Trupp aufbrechen. Wir werden Erens Ausbilder Keith Shadis aufsuchen. Er soll angeblich einiges über Erens Vater wissen."
"Erens Vater?"
"Ja, der Typ mit dem geheimnisvollen Keller." erklärte Levi. Er lehnte seitlich an der Wand und kontrollierte seinen Schal. Ich blickte ihn enttäuscht an, doch ich verstand die Dringlichkeit dieser Mission. Dieser Schlüssel, den Eren bei sich trug, sollte eine Tür zu einem ganz besonderen Raum öffnen. Wie viel Wissen konnte dort wohl verborgen liegen? Vielleicht war es die einmalige Chance, es zu bergen.

Wie Levi angekündigt hatte, verließ der Elitetrupp Mitras und begab sich auf seine Reise. Ich nutzte den Tag nun doch für Übungen und Training, doch konnte ich nicht leugnen, dass ich immer häufiger atemlos war und pausieren musste. Mein Körper schien zur Zeit nicht das leisten zu können, was ich wollte. Es war deprimierend. So vergingen einige Tage, in denen ich mich immer wieder an meine Grenzen brachte und trotzdem unzufrieden Schlafen ging.

Am vierten Morgen nach dem Aufbruch des Elitetrupps klopfte es an meiner Zimmertür. Hoffnungsvoll öffnete ich sie - ich verspürte schon lange Sehnsucht und den Wunsch mich Levis Gunst zu vergewissern, doch statt des Gefreiten stand Armin vor meinem Zimmer. Er sah mich neugierig an. Seine Augen leuchteten mir entgegen und brachten Licht in diesen regnerischen Tag.
"Truppenführerin -dN-, entschuldigt die Störung." pustete er heraus.
"Kein Problem, Armin. Was gibt es?" Der junge Mann rieb eine Hand an seinem Arm entlang. Er schien leicht nervös zu sein, auch wenn er gleichzeitig immer wieder lächelte.
"Würdet ihr mir einige Fragen beantworten? Ich würde unglaublich gern mehr über die Dinge hinter den Mauern erfahren. Der Gefreite Levi hat mir erlaubt, heute vom Training wegzubleiben und euch stattdessen zu besuchen."
"Hat er das?" Armin nickte wild. Ich musste grinsen. Armin hatte eine unglaubliche Niedlichkeit an sich, die für einen Jungen doch eher untypisch war. Die großen Augen und seine offene Art gepaart mit seinem halblangen Haar ließen ihn ein wenig kindlich wirken und gaben ihm einen femininen Touch. Ich fragte mich hin und wieder, wann er sein Aussehen verändern würde - immerhin war er im Alter der Selbstfindung angekommen. Eine schwierige aber auch durchaus schöne Zeit.
"Gib mir noch zwei Minuten! Ich treffe dich im Speisesaal!" sagte ich. Ein Strahlen breitete sich in seinem Gesicht aus. Aufgeregt rannte er bereits los, als ich langsam die Tür hinter mir schloss. Es würde ein interessanter Morgen werden, dem war ich mir sicher.

Ich erzählte Armin von dem Meer, von den Ländern dahinter und von der Welt an sich. Ich erklärte ihm die verschiedenen Klimazonen und die dadurch entstehenden Landschaften, nannte Tiere, von denen er noch nie zuvor gehört hatte, und beschrieb die Städte meiner Heimat. Armins Augen waren starr auf ich gerichtet. Er fragte häufig nach und sog all dieses Wissen in sich auf, als würde es kein Morgen geben. Ich war erstaunt über seine Wissbegierde und Auffassungsgabe. Dieser Junge war talentiert und wäre in meiner Heimat sicherlich einem wissenschaftlichem Beruf nachgegangen, dem war ich mir sicher.
"Armin, da bist du ja...." Levi betrat den sonst recht leeren Speisesaal. Er sah den jungen Mann genervt an.
"Gefreiter Levi....." rief Armin aus und sprang vom Stuhl. Ich blickte zwischen den Beiden hin und her und verstand die Welt nicht mehr. Levi kam auf uns zu. Er stand mit verschränkten Armen vor dem Tisch - seine Aura war eiskalt.
"Ich hatte dir gesagt, dass du gehen kannst, bis wir mit dem Putzen beginnen! Du bist zu spät, Armin. Eren und die Anderen sind bereits dabei und du sitzt noch immer hier und hörst dir Märchen an...... " Ich grinste zu dem Jugendlichen. Er hatte wohl die Zeit vergessen und nun Ärger am Hals.
"Levi, entschuldige. Es ist meine Schuld. Ich habe einfach nicht aufgehört zu reden..." ergriff ich das Wort. Der Gefreite blickte schweigend zu mir herunter. Ich musterte ihn. Wenn er da so stand, mit seinem leicht gebogenen Rücken und den verschränkten Armen, wirkte er oft noch schmaler, als er es sonst tat. Es betonte den Körperbau, den ich so begehrte. "Außerdem hören sich diese Märchen andere Leute auch ziemlich gern an."
"Ist das so?" Ich nickte und sah weiter an ihm lang. Dann entdeckte ich es an seinem Gurt: Ein Ledertäschchen - befestigt um ihn zu umhüllen und Schutz vor fremden Blicken zu bieten. Und dennoch war er da, unser Dolch.
"Du trägst ihn?" platzte es aus mir heraus. Levis Augen weiteten sich.
"Was soll ich sonst damit machen?"
"Entschuldigt die Störung, aber ich würde mich dann zu meinem Trupp begeben..... Ähm, ich danke euch, für eure Erzählungen, Truppenführerin -dN-." sagte Armin leise und stand auf. Er salutierte vor mir und verbeugte sich leicht. Dann ergriff er die Flucht. Ich sah ihm lächelnd nach.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now