75. Bindungen

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Einige Tage vergingen, in welchen ich das tat, was ich Levi versprochen hatte: Warten. Dieses ständige Herumsitzen, über den Markt schlendern und dabei auf die Uhr starren, machte mich vollkommen nervös. Verärgert saß ich mal wieder in der Sonne und beobachtete die Menschen der Stadt. Einige lächelten mir zu oder nickten freundlich, so als sei ich einer dieser alten Frauen, die zum üblichen Stadtbild gehörten. Ein Seufzen entglitt mir. Schon jetzt war ich es satt, schwanger zu sein. Dabei begann das ganze Prozedere erst. Wie sollte ich es weitere acht Monate so aushalten?
Ein plötzliches Winken am Horizont riss mich aus meinen Gedanken. Es war Hanji, die langsam an mich herantrat und dabei ihren Mantel am Kragen zuhielt, um dem Wind keine Einkehr zu bieten.
„-dN-, da bist du ja." sagte sie und lächelte. Ich nickte zur Begrüßung, was die Braunhaarige als Einladung, sich zu mir zu setzen, verstand. „Und wie geht es dir?"
„Das fragt ihr mich jetzt nur noch, oder?"
Hanji kicherte. Sie hob ein wenig ihren Kopf und blickte der Sonne entgegen.
„Na ja, deine Situation ist schon was Außergewöhnliches im Trupp. Da darf ich mich ja wohl nach dem Zustand eines wichtigen Truppenmitgliedes erkundigen."
„Mir geht es gut, Hanji... Falls nicht, werde ich es sagen..." stöhnte ich heraus.
„Aber du wirkst nicht grade glücklich..." erkannte meine Kommandantin. Ich blickte zu ihr und fummelte an meinem Verband.
„Bin ich auch nicht... Das Problem ist noch nicht mal das Kind, sondern diese Einschränkungen. Wie lange weiß ich jetzt von der Schwangerschaft? Und schon jetzt kann ich nicht mehr meiner Pflicht nachgehen und sitze nur noch rum." Hanji grinste mich an.
„Es geht dir doch nicht um deine Pflicht, -dN-..."
„Ach Mann, Hanji...." meckerte ich. Unsicher blickte ich sie an und spürte die Hitze auf meinen Wangen. Warum musste sie immer so direkt sein? Sie lachte laut auf und lag ihre Hand auf meine Schulter. Vorsichtig zog sie mich leicht an sich heran und wurde plötzlich ernst.
„-dN-, ich bin wirklich froh, dass du zu uns gestoßen bist. Nicht nur als Kommandantin, sondern als deine und Levis Freundin. Und im Gegensatz zu dir freue ich mich, dass du schwanger bist. Ich glaube, dass wird euch und auch den Anderen guttun."
Meine Augen weiteten sich und verweilten auf dem Gesicht dieser Frau, die ein so unglaublich ermunterndes und ehrliches Lächeln hatte. Sie log mich nicht an, vertröstete mich nicht, sondern empfand dieses Kind wirklich als Glück. Ich räusperte mich.
„Danke für die lieben Worte, Hanji." sagte ich und schlug meine Arme um meine Kameradin, um sie fest an mich zu drücken. Plötzlich war sie es, die überrascht schien. Doch ihr Grinsen verriet mir, dass sie als eine wahre Freundin an meiner Seite stand und immer stehen würde.

Ein lautes „Truppenführerin -dN-!" riss mich aus einem traumlosen Schlaf und ließ mich müde aus meiner Decke hervorschauen. Ein Blondschopf stand vor mir und starrte mich mit seinen großen blauen Augen an. Es war Armin. Nur was wollte er so früh von mir?
„Was ist los, Armin?" stöhnte ich und setzte mich langsam auf. Ich blickte zum Fenster. Draußen war es bereits hell. Wie lange hatte ich schon wieder geschlafen?
„Truppenführerin -dN-, ich soll euch von Kommandantin Hanji berichten, dass der Hauptgefreite zurück ist." erklärte der Jugendliche. Meine Augen weiteten sich. Wie aus dem Nichts war meine Müdigkeit verflogen, doch eine wirkliche Freude wollte nicht aufkommen. Ich wusste, dass Levi nicht allein war. Er würde in Begleitung unserer toten Kameraden zurückkehren. Die Ereignisse der letzten Mission griffen nun wieder nach mir. Die Trauer, der Schrecken, das Leid – all diese Gefühle saßen mir bereits im Nacken und warteten nur darauf, über mich hereinzufallen. Ich sah zu dem jungen Mann auf. Er stand immer noch wartend vor meinem Bett und beobachtete meine Reaktion.
„Du kannst abtreten, Armin! Ich werde mich schnell fertig machen und dann zu euch stoßen." erklärte ich und stand auf, um mich anzukleiden.
Es dauerte nur einige Momente bis ich die Treppe hinunterrannte und eilig das Gasthaus verließ, um die Straßen Trosts zu betreten.
„Es ist furchtbar."
„Mein Sohn....."
„Warum musste sie grade sterben?"
Das Klagen der Verlassenen hallte durch die Gassen der Stadt und verschluckte dabei die Freude der letzten Tage. Mühevoll bahnte ich mir meinen Weg durch die Menschenmenge, die sich um die Karren gescharrt hatten, um die Leichenberge zu betrachten. Einige dieser Menschen suchten nach Angehörigen, andere waren nur Schaulustige, die ihre Neugierde stillten. Und was war ich?
Ein Druckgefühl breitete sich in mir aus. Die Erkenntnis darüber, dass ich einer der Glücklichen war, die diese Mission mehr durch einen Zufall als durch alles andere überlebt hatte, kam erneut in mir hoch. Sie bahnte sich ihren Weg bis in meinen Bauch hinein und presste dabei meine Übelkeit hervor. Unsicher hustete ich und hielt mir die Hand vorm Mund, um den Verwesungsgeruch zu ignorieren und weiter voranzuschreiten. Ich blickte mich um. Connie und Jean standen an einer Mauer gedrückt und sahen unsicher an den Leuten vorbei. Sie schienen den Gefallenen die letzte Ehre erweisen zu wollen und senkten dabei ihr Haupt. Hanji und Armin drängten sich währenddessen zu den Wägen hindurch, um bei dem weiteren Transport zu helfen. Wahrscheinlich führte sie ihr Weg zu Levi, der auf dem vordersten Karren gebückt saß und dabei auf eine Leiche starrte, als würde er über diese wachen. Ich seufzte. In weißen Leichentüchern geschnürt lag der 13. Kommandant des Aufklärungstrupps nun dort. Seine Zeit war vorbei und damit die Phase der Opferungen. Aber welche Ära würde Hanji nun einleiten? Wie würde sie agieren? Langsam folgte ich meiner Kommandantin und erkannte dabei auf ihren Schultern die Last, die Erwin so lange geduldet hatte. Diese Aufgabe, die sie nun innehatte, erdrückte sie bereits jetzt, doch sie war damit nicht allein. So wie sie mir die Hände in schwierigen Zeiten gereicht hatte, würde ich sie unterstützten. Und ich war mir sicher, dass Levi dies ebenfalls tun würde, auch wenn er in diesem Augenblick an der Seite seines toten Kommandanten war und trauerte.
Sein Schmerz - ich wusste, dass er Levi förmlich zerriss. Denn dieser Mann war nicht einfach sein Kommandant gewesen - nicht nur sein Freund geworden. Er war Levis Schicksal. Sie teilten eine Verbindung, die niemals enden würde. Eine Verbindung, die mehr war, als eine Kameradschaft, Freundschaft oder Brüderlichkeit jemals sein könnte. Diese zwei Männer waren eine Einheit gewesen – zusammengefügt von Levis Bestimmung. Keine Zeit der Welt, kein einziges Ereignis und keine Frau würden dies ändern - dessen war ich mir bewusst. Doch zugleich ließ ich die Hoffnung in mir nicht sterben. Es war dieser Glaube daran, dass er Erwin irgendwann hinter sich lassen könnte. Dieser Wunsch für ihn ein neues Schicksal zu sein, welches er selbst ohne irgendeinen Zwang gewählt hatte.
„Levi,..." sagte ich leise, so als wollte ich die Worte, die mir auf dem Herzen lagen, verschlucken. In diesem Augenblick seiner Trauer war kein Platz für mich, denn unser gemeinsames Schicksal sollte erst beginnen.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now