90. Ein Name

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„Scheiße..." hörte ich ein Fluchen, welches mich aus dem Schlaf riss. Ich erblickte Levi. Er saß auf dem Bett und sah zum Fenster – nicht grade erfreut. Draußen war es bereits dunkel. Wir mussten mindestens drei Stunden geschlafen haben.

„Wundervoll." rief ich aus und streckte mich. Ich fühlte mich wie neugeboren.

„Wir haben den ganzen Tag verschwendet..." zischte der Gefreite nun und richtete seine Kleidung, während er zum Schreibtisch ging. „Den ganzen Scheiß habe ich auch noch vor mir..."

Er griff sich ins Haar und nahm dabei ein Blatt Papier an sich. Wahrscheinlich überlegte er kurz, mit was er beginnen sollte. Doch die Entscheidung darüber ließ nicht lange auf sich warten:
„-dN- komm her! Ich zeige dir einige Schriftzeichen, wenn wir den Bericht fertig machen! Irgendwann musst du es ja lernen."
Seine Stimme klang unglaublich genervt, doch als ich an ihn herantrat, wirkte er vor allem konzentriert. Unsicher beugte ich mich an ihm vorbei über den Schreibtisch und nahm einen Stift. Mein Blick wanderte von dem Papier zu ihm herüber, – zunächst wartend – doch dann verweilte er in seinem Gesicht. Ich begann zu starren.

„Ich dulde keine Ablenkung!" meinte er ernst. Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen. Es war das, was er mir immer öfter zeigte und mich selbst dazu animierte, ihn anzugrinsen. Dieses eine, was mir sagte, dass er die ganze Situation als gar nicht so nervig empfand. Ich war erleichtert.

„Bekomme ich wenigstens eine Belohnung, wenn ich deinen Bericht schreibe?"

„Es ist dein Bericht... Und falls du dich besonders klug anstellst – vielleicht?"

Levi lehnte sich so unglaublich einladend in den Sessel und lag seinen Kopf auf seine Hand ab. Es stach tief in mir – flüsterte mir zu, dass ich ihn mir einfach nehmen sollte, doch mir war bewusst, dass er diesen ganzen Papierkram erst hinter sich bringen wollte. Genervt ignorierte ich die Hitze in mir.

„Dann sei nicht zu streng zu mir!" verlangte ich noch und ließ mir daraufhin ein Schriftzeichen nach dem anderen erklären. Mein bildliches Gedächtnis war hilfreich und dennoch – diese Schrift war nicht einfach zu lernen. Häufig malte ich die Zeichen eher ab, als sie wirklich zu schreiben, was mir zeigte, dass ich es noch nicht wirklich verstanden hatte. Immer wieder kontrollierte ich beim wiederholenden Fragen Levis Gesicht, nur um zu erkennen, dass er beim Erklären recht geduldig war, solange ich mich bemühte. Mein Herz klopfte bei dem Gedanken, dass er seines Tages unserem Kind auf die gleiche Weise diese Schrift beibringen würde. Dieser Gedanke ließ mich fast schon zuversichtlich in unsere Zukunft als Eltern blicken. Es beruhigte mich.

Doch gleichzeitig erinnerte ich mich an die vielen Aussagen, dass unser Kind ein Kämpfer sei - ein neuer Hoffnungsträger für dieses Volk, welchem ich noch nicht einmal angehörte. Ich hatte mit Levi noch nicht darüber gesprochen, obwohl es mich immer öfter belastete. Vielleicht wusste er auch bereits selbst davon. Vielleicht hatte auch ihn jemanden darauf angesprochen – auf diese Ackermann-Fähigkeit, die auch dieses Kind in sich tragen müsste. Was hielt er davon?

„Was ist?"
Levi starrte mich an und nahm dabei den Stift aus meiner Hand. „Wahrscheinlich ist es für dich genug für heute. Ich schreibe den Rest selbst." meinte er und stand auf, während er seinen Schal langsam von seinem Hals zog. Ich beobachtete es und schüttelte den Kopf.

„Levi, ich hatte einige Gespräche über unser Kind..." warf ich nun ein. Mein Ton verriet ihm, dass es nicht grade ein angenehmes Thema war, welches ich ansprechen wollte.

„Mit wem?" Er blickte zu mir. Seine Augen waren aufmerksam, doch keinesfalls schien er überrascht. Er wusste also genauso wie ich, dass meine Schwangerschaft sich rumsprach und zudem für viele Meinungen sorgte.

„Kommandant Pixies – als Beispiel. Aber eigentlich ist das egal. Mir fällt nur auf, dass jeder davon ausgeht, dass wir einen Soldaten bekommen. Fast so, als würde es nur dafür geboren werden. Ich will..."

„Lass die Idioten reden, -dN-!" unterbrach mich Levi und lag seine Hand auf meinen Kopf. „Wir wissen doch Beide, dass wir das nicht zulassen."

Meine Augen weiteten sich.
„Aber es ist ein Ackermann wie du..."
Natürlich war mein Einwand nicht ernst gemeint. Natürlich vertraute ich ihm bereits nach diesem einen Satz, doch ich wollte ihn prüfen. Ich wollte hören, wie er sich gegen dieses vorherbestimmte Schicksal werte. Wie er sein Kind davor beschützen würde und entdeckte dabei, dass jemand anderes es genauso versucht hatte.

„Meine Mutter war auch keine Soldatin oder sonstwas..."

Ich schluckte. Wahrscheinlich stand diese Frau damals vor dem gleichen Problem wie wir. Das Wesen, was in einem heranwächst und welches man zu lieben beginnt, vorherbestimmt für die Grausamkeit des Krieges zu gebären – das hatte sie genauso wenig gewollt wie Levi und ich. Doch ihr Sohn war trotz ihrer Bemühungen diesem Schicksal nicht entkommen.

„Du wolltest mir noch von ihr erzählen!" Es kam so über mich - dieses Verlangen, mehr von dieser Frau zu erfahren, um sie zu verstehen. Um uns besser zu verstehen. Doch Levi versuchte mich auszubremsen.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Sie war eine einfache Prostituierte. Vielleicht nicht ganz so dumm, wie die meisten Weiber in ihrem Umfeld..."

Er sah zum Fenster – in die Ferne, die nach ihm rief. Sie wollte ihn vergessen lassen. Wollte, dass er seine Vergangenheit verdrängte, um sich auf das Jetzt zu konzentrieren. Doch dies war alles andere als fair gegenüber dieser einen Frau, die ihn gebar und beschützte. Und er wusste es.

„Ich glaube, so einfach war sie bestimmt nicht, Levi. Sie war viel besonderer als du zugeben willst!"

Er blickte mich mit großen Augen an. Ernst und dennoch strahlte sein Blick eine unglaubliche Wärme aus.

„Kuchel... Vielleicht wäre das ja der richtige Name für ein Mädchen." seufzte ich schon fast. Ich musste lächeln. Es war so, als würde ich den perfekten Namen für sein Kind gefunden haben und es fühlte sich richtig an.
Levis Augen glänzten mir entgegen. Es war dieser Glanz, den sie immer dann zeigten, wenn er zum Himmel hinaufblickte. Dieser Glanz, der mir verriet, dass für ihn etwas ganz Besonderes geschah.

Nein, Worte waren nicht mehr nötig – auch kein Nicken oder sonst irgendetwas. Ich konnte es einfach sehen. Auch er wusste, was seine Mutter damals für ihn tun wollte und er hatte sie dafür geliebt – für diesen kurzen Moment, in dem sie ihm den Weg weisen konnte. Welcher Name wäre geeigneter als der Name der Frau, die damals genau in die richtige Richtung gezeigt hatte? In eine Richtung, die ihn zu mir geführt hatte. Wir lächelten und starrten stumm ineinander. Unsere Blume hatte einen Namen. 

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt