108. Zurücksein

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Die Reise mit Kenny gestaltete sich als stiller Ritt durch die Ebene. Weder ich noch dieser gewitzte Typ sagten mehr als ein paar Worte. Wir beide hatten wohl Angst davor, am Ende in einem Gespräch verwickelt zu sein, welches sich um die jetzige Situation, Familie oder gar das Wetter drehte. Gespräche, die wir nicht führen wollten und durch unser Schweigen verhinderten. Es war eine Erleichterung, die mich den Ausritt ertragen, vielleicht sogar genießen ließ.

Tief in der Nacht kamen wir im Hafengebiet an. Kenny musterte die Gegend. Auch er war das erste Mal außerhalb der Mauern und entdeckte dabei ihm Unbekanntes. Ich musste lächeln. Was dachte dieser sonst immer so schlagfertige Mann wohl beim Anblick der See?

„Du bist zurück..."
Levi kam aus der Kaserne. Noch im Gehen schloss er seinen Mantel und trat dabei an uns heran. Seine Augen blickten kühl zu seinem Onkel hinauf, der diese Aufmerksamkeit mit einem Grinsen beantwortete. Ich blickte zwischen den beiden Männern hin und her, wobei ich wartend dem Rauschen des Meeres lauschte. Es toste.

„Ah, der Knirps. Hätte nicht gedacht, dass du gleich zur Begrüßung mit dem Schwanz wedelnd angerannt kommst." stachelte Kenny. Ich seufzte.
Natürlich hatte ich nicht erwartet, dass die Beiden sich gleich in die Arme fielen – um ehrlich zu sein, war dieser Gedanke noch angsteinflößender als die jetzige Situation. Doch ich hatte gehofft, eine leichte Wärme zwischen ihnen entdecken können. Vielleicht nur einen Hauch von Freundlichkeit in Kennys Stimme zu hören, um mir sicher zu sein, dass er für seinen Neffen eine gewisse Zuneigung empfand. Aber mein Wunsch wurde nicht erfüllt. Der alte Sack war gewitzt wie immer, sodass Levi ein wenig zurückhaltend, doch keineswegs unsicher mit seinem verschlossenen Blick herumstand und die Arme verschränkte.

Plötzlich hörten wir ein Weinen. Beinah gleichzeitig sahen wir zur Kaserne herüber, aus dessen Tür Hanji heraustrampelte. Sie hielt Kuchel im Arm und wedelte mit ihrer freien Hand wild herum.
„Ich könnte Hilfe gebrauchen!" rief sie und zu. Ich ging ihr entgegen. Meine Hände waren bereits zu meiner Tochter ausgestreckt, als ich Kenny an mir vorbeirauschen sah. Auch er ging auf Hanji und Kuchel zu, um die Kleine an sich zu nehmen. Meine Augen weiteten sich.

Doch dann schrie der Mann auf. Levi hatte ihn fest am Arm gepackt, um ihm die Glieder nach hinten zu reisen. Der Blick des Gefreiten war wuterfüllt. Die Art, wie er sich bewegte, offenbarte mir, dass er sich nicht zurückhielt.

„Glaubst du, ich lasse zu, dass du meine Tochter mit deinen Drecksfingern anfasst, Kenny? Sei froh, dass du aus deinem Loch rausgeholt wurdest und wasch dich! Du stinkst widerwärtig." zischte er, während er die Arme seines Onkels auf dessen Rücken fixierte.

Ich nahm Kuchel an mich und drückte sie gegen meine Brust. Gemeinsam mit Hanji beobachtete ich Levis weitere Vorgehen. Es war mehr als deutlich, dass er immer noch nicht begeistert über Kenny Anwesenheit war. Ihn in seiner Nähe zu wissen, ließ ihn vielleicht sogar überreagieren. Ich presste meine Lippen zusammen, versuchte irgendwie die richtigen Worte zu finden, um die Situation zu klären, doch sie kamen nicht.
„Levi, lass ihn los! Ich werde Kenny erstmal sein Zimmer zeigen und dann schauen wir morgen weiter..." ergriff plötzlich meine Kommandantin das Wort. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Wie immer konnte ich mich auf meine Freundin verlassen.

Levis Blick war skeptisch, doch er ließ von Kenny ab.
„Folge mir!" befahl Hanji daraufhin und nahm den Mann mit sich, um den nötigen Abstand zwischen den Beiden herzustellen. Ich sah zu Levi, sah wie er seinem Onkel nachblickte. Mit meiner Hand strich ich über seinen Rücken, nur um seine Lippen auf meine gedrückt zu spüren. Ich griff nach seinem Hintern, kniff gierig hinein, während er mir seine Sehnsucht deutlich machte. Es entfachte ein Kribbeln in meinem Bauch.

Levi ließ von mir ab und wuschelte Kuchel durchs Haar. Sie hatte sich beruhigt, indem sie die Wärme meiner Brust genoss.
„War er unterwegs ertragbar?" fragte er mich nun, wobei er mein Gesicht musterte. Ich nickte.
„Alles ist gut gelaufen. Er hat keine Probleme gemacht... Zumindest auf der Reise nicht"
„Was war das eigentlich eben?" warf er ein. Immer noch starrte Levi mich an. Er blickte mir tief in die Augen, wartete auf meine Reaktion, nur um dann bereits hinzuzufügen: „Er hat bei Kuchel nichts verloren!"
„Lass ihn, Levi. Dein Onkel hat die Kleine vielleicht einfach ins Herz geschlossen..." Vorsichtig und ganz leicht drückte ich meine Tochter an meinen Körper. Sie hielt inne und seufzte. Wahrscheinlich war sie bereits am Einschlafen, obwohl sie sich noch nicht ganz dazu entschlossen hatte, nachzugeben. Doch den Kampf gegen die Müdigkeit konnte sie nicht gewinnen – selbst als Ackermann nicht. Ein Gähnen überkam mich bei diesem Gedanken.

„Wollen wir schlafen gehen?" erkundigte sich Levi nun. „Hanji hat Recht. Wir können auch morgen über alles weitere reden." Ich nickte zustimmend, wobei ich seine Schulter packte.
„Eine gute Idee..." äußerte ich und lehnte dabei meinen Kopf an ihn. Sein Duft – er stieg mir in die Nase. Dieser Duft, den ich an ihm immer wieder entdeckte, nur um mein Herz zum Klopfen zu bringen. Ich lächelte zufrieden. Wieder zurück zu sein und dabei diesen Mann berühren zu können, reichte, um mich glücklich zu machen.

Levi, Kuchel und ein Bett – das klang nach diesem Ausritt mehr als nur einladend. Es klang wie nach Hause zu kommen – wie dort angekommen zu sein, wo ich hingehörte. 

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now