31. Vertrauen

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Einen kurzen Moment saßen Levi und ich einfach nur stumm da. Er hielt noch immer meine Hand in seiner und starrte in meine Augen. Leicht verunsichert fragte ich:
"Was?" Ich war durcheinander - immer noch lusterfüllt und dennoch geschockt.
"Er heißt Kenny. Für eine kurze Zeit habe ich mit ihm gelebt. Er hatte mich bei meiner toten Mutter gefunden und mir das Kämpfen gelerht." erklärte Levi und sah in das Licht der Lampe. Mein Herz wurde schwer. Levi musste im Kindesalter seine Mutter verloren haben und das an einem Ort wie der Unterstadt. Wie vielen Gefahren musste er ausgesetzt gewesen sein und wie viel Leid hatte er ertragen?
"Was war mit deinem Vater?" meinte ich nun und drückte seine Hand.
"Der war ein Kunde meiner Mutter. Ich weiß nicht, wer er ist." Ich schluckte schwerfällig. Was sollte ich sagen? Ein Kunde seiner Mutter konnte nur eins bedeuten: Er war ein nicht gewolltes Kind gewesen - ein entstandenes Missgeschick. "Kann dieser Typ dein Vater sein?" Levi antwortete nicht. Er zuckte nur mit den Schultern. Sein Blick war wie eingefroren. Was wäre, wenn er es wirklich war? Ich erinnerte mich an den gewitzten Ausdruck dieses Mannes - er hatte nur wenig Ähnlichkeit mit Levi. Das Einzige, was sie verband, war das Kampfgeschick. Mehr Gemeinsamkeiten konnte ich selbst mit Mühe nicht erkennen. Levi stand auf. Er sammelte seinen Pullover ein und zog ihn sich über. Ich seufzte innerlich. Ich wollte mehr, aber ich erkannte, dass ihm zu viele Fragen durch den Kopf gingen. Er hatte mir gegeben, was ich brauchte. Nun war es an mir, ihm das zu geben, was er nötig hatte und das war Zeit.
"Der Trupp wird morgen früh aufbrechen, um herauszufinden, wo Historia und Eren gefangen gehalten werden...." sagte Levi nun und wechselte damit das Thema. Ich nickte und stand auf.
"Wann brechen wir auf?" fragte ich und sammelte meine Kleidung ein.
"Wir?" Levis Gesichtsausdruck wurde finster. Ich sah es ihm an. Er wollte mich bei der nächsten Mission nicht dabeihaben. Ich zog meinen Schlüpfer und meine Hose an. Ein Schweigen setzte sich im Raum ab und biss sich an uns fest. Wir beide wussten, dass der jeweils Andere kaum zu überzeugen war.
"Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn ich euch jetzt im Stich lasse." meinte ich und dachte daran, dass er nicht zurückkommen könnte. Ich musste es mit allen Mitteln verhindern. Levi seufzte. Es klang genervt.
"Dann mach, was du willst...." sagte er.
"Ich werde vorsichtig vorgehen. In Ordnung?" harkte ich nach. Ich wollte mehr als diese Resignation. Ich wollte seine Zustimmung - sein Vertrauen. Ich schlüpfte in meine Bluse und hüpfte zu ihm. Hinter ihm stehend, schwang ich meine Arme um ihn und drückte meine Nase in seinen Nacken. Meine Hände griffen an seinen muskulösen Bauch.
"Hey, du musst es nicht gleich übertreiben....!" schimpfte er. Ich grinste.
"Vertrau mir bitte." flüsterte ich.
"In Ordnung. Wenn du jetzt endlich Ruhe gibst....." Ich lachte. Sein Ausdruck und seine Art zeigten mir das, was ich mir gewünscht hatte - er empfand wie ich. Ich ging zur Tür und verabschiedete mich mit einem Winken. Auch wenn ich gern länger bei ihm geblieben wäre, wusste ich, dass er genauso wie ich Pflichten hatte. Er würde heute Nacht Vorkehrungen treffen, während ich mein Team informieren und daraufhin mir so viel Ruhe wie möglich gönnen musste. Immerhin sollte der nächste Kampf nicht lange auf sich warten lassen.

Der nächste Morgen brach an. Ich wachte verschlafen und etwas erschöpft auf. Erinnerungen bahnten sich ihren Weg in meinen Kopf. Seine Worte, seine Hände und seine Zunge - bei den Gedanken an Levi kribbelte es in meinem Schoss. Ich seufzte. Was war ich bloß für eine sexhungrige Frau? Meine Gedanken kreisten um ihn, wie eine Löwin ihre Beute umkreist, bevor sie ihr Opfer vollständig verschlingt. Würde ich es tun? Ihn verschlingen? Ich blickte zum Fenster. Die Sonne schien langsam aufzugehen. Keuchend stand ich auf. Mein Körper verriet mir, dass meine Verletzung Ruhe brauchte, doch ich ignorierte es, soweit es ging. Nachdem ich meine Kleidung  angezogen hatte, ging ich hinunter in den Speisesaal. In der gleichen Ecke wie gestern saßen Levi und Hanji und starrten gemeinsam auf einen Brief.
"Gibt es was Neues?" fragte ich und setzte mich zu ihnen. Levi sah mich an, wie er es immer tat. Ich wusste es - unter unseren Kameraden würden wir so handeln, als sei zwischen uns nie etwas gewesen. Hier als Soldaten gab es keinen Platz für Leidenschaft oder gar Liebe.
"Erwin hat geschrieben. Wir wissen nicht, wo Historia und Eren sind, doch die Militärpolizei hat sicherlich Informationen. Wir werden uns diese beschaffen." erklärte Levi und reichte mir den Brief. Ich überflog den Zettel. Erwins Schrift war fein säuberlich geschrieben. Doch lesen konnte ich ihre Schrift noch immer nicht.
"Wundervoll, ihr braucht mir die Briefe nicht immer in die Hand zu drücken. Ich kann doch eh nichts lesen......" schimpfte ich. Levi lächelte und lachte schon fast.
"Wie bedauerlich. Dann musst du es wohl lernen" stachelte er und grinste. Ich blickte ihn leicht verstört an. In der gesamten Zeit, die ich hier auf Paradies war, hatte er noch nie gelacht. Ich kannte sein Lächeln quasi nicht und sah es nun zum ersten Mal. Mein Atem stockte kurz. Es war so unglaublich ehrlich. Hanji riss mich aus meinem Staunen:
"Wir werden uns aufteilen, -dN-. Ich werde mit meinem Team in der Stadt agieren. Levi und der restliche Elitetrupp wird einen zentralen Stützpunkt angreifen und ihr werdet einen Außenstützpunkt überfallen." Ich nickte.
"Gut. Ich brauche die Position." Hanji erklärte mir den Ort und zeichnete mir eine kleine Skizze.
"Der Elitetrupp wird bereits in ein paar Stunden aufbrechen. Ihr könnt heute Nachmittag losreiten, um heute Nacht agieren zu können. Nördlich eures Einsatzortes befindet sich ein kleines Gebirge. Dort in einer Hütte treffen wir uns." erklärte Hanji alles in Ruhe.
"Jawohl." stimmte ich zu und stand auf. Ich musste meinem Trupp davon in Kenntnis setzen.
"-dN-, denk an deine Verletzung. Du wirst nicht wie gewohnt kämpfen können." warf Levi ein. Hanji grinste.
"Soll ich euch lieber allein lassen?" stachelte sie.
"Dafür ist keine Zeit, Vierauge." meinte Levi. Er verschränkte seine Arme. Auch wenn er uns nicht leugnete, merkte ich, dass diese Situation für ihn ungewohnt war. Wie lange war er wohl schon allein gewesen? Wann hatte er zum letzten Mal geliebt? So viele Fragen kreisten in meinem Kopf und dann dachte ich an Erwin. Dieses Vertrauen zwischen den Beiden war unbeschreiblich. Levi würde alles für diesen Mann tun. Es kränkte mich, doch für dieses Gefühe war jetzt keine Zeit.
"Bis später." sagte ich nur und ging hinauf, um mein Team zusammenzusammeln und die Mission zu beginnen.


Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now