98. Eine neue Option

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Stohess – diese Stadt begrüßte mich mit ihren Lichtern und dem abendlichen Marktgeschehen, welches ich gekonnt ignorierte, um mich nicht von meinem eigentlichen Ziel ablenken zu lassen: Das Militärgefängnis.
Nach einem klärenden Gespräch mit Levi und auch Hanji hatte ich entschieden, nicht mit den Anderen nach Mitras zurückzukehren, sondern einen Abstecher bei Kenny zu machen. Unsere Wege hatten sich bei den Toren Shiganshinas getrennt, was Levi nicht begeistert hatte, er jedoch resigniert hinnahm. Er wusste eben längst, dass mir der Kontakt zu seinem Onkel wichtig war, auch wenn er die Gründe dafür wahrscheinlich nicht verstand.

Eilig schritt ich durch die Gänge. Mittlerweile ignorierten mich die Wachen des Gebäudes, denn mein Anblick war ihnen nicht neu. Ich war vor allem in den Monaten vor Kuchels Geburt ein häufiger Gast gewesen und zudem durch mein Kind mit dem Hauptgefreiten ein bekanntes Gesicht geworden, was mir den einen oder anderen Vorteil im Militär brachte.

„Guten Abend Kenny." sagte ich gutgelaunt, als ich an seiner Zelle ankam. Ich öffnete die Stahltür und löste das Tragetuch, um Kuchel nun mit etwas mehr Abstand an mich zu halten und so uns beiden die Chance zu geben, ein wenig abzukühlen.
Kenny setzte sich auf sein Bett auf und musterte mich.
„Ach, ist das neue Ackermann-Balg nun auch dabei..." stöhnte er fast schon. Levis Onkel ging zu einem der Stühle, die in der Ecke des Raumes standen und trug ihn an den Tisch heran, um sich zu setzen. Ich nahm seine Bewegungen fast schon als Einladung war und setzte mich auf den freien Platz neben ihn. Ein argwöhnischer Blick traf mich und die Kleine.

„Und? Was ist es?" fragte er nun. Seine Neugierde war wohl geweckt.
„Ein Mädchen."
„Hat die Göre auch einen Namen?" Ich nickte lächelnd.
„Kuchel."

Die Augen dieses doch so gewitzten Typen weiteten sich. Ich erkannte es – ganz tief in ihm regte sich etwas. Etwas, was ich nicht deuten und dennoch nachempfinden konnte. Ich selbst hätte es als Rührung bezeichnet, doch wer wusste schon, wie er es selbst nennen würde? Wie er es fühlen würde?

Stumm wartete ich, bis er das Wort ergriff:
„Besonders kreativ seid ihr wohl nicht..." Ich kicherte und bemerkte wie die Kleine sich umsah.
„Keine Sorge – bei einem Jungen hätten wir deinen Namen nicht gewählt." stachelte ich ihn.
Ganz in Ruhe stand ich auf und ging ein Stückchen auf Kenny zu. „Willst du sie mal halten?" fragte ich ihn. Seine Augen strahlten Unsicherheit aus. Er schien zu überlegen.
„Ach, dann gib die Göre mal her..." schimpfte er schon fast. Ich reichte sie ihm. Kuchel regierte sofort mit ein wenig Jammern, beruhigte sich jedoch recht schnell, als ihr Interesse an das fremde Gesicht geweckt war. Sie starrte ihn an.
„Oh Mann, die guckt genauso dämlich wie der Knirps..." fiel ihm nun auf, doch auch wenn seine Stimme immer noch so ablehnend wirkte. Seine Körperhaltung war ihr gegenüber willkommen heißend. Ich lächelte ein wenig. Beinah kam mir diese Situation wie ein normales Familientreffen vor. Ein Treffen zwischen einem neuen Nachkommen der Familie und einem fernen Onkel, der vielleicht nur selten in der gleichen Stadt war. Doch in Wirklichkeit stand ich einem Verbrecher gegenüber. Einem Mann, der eine schwere Vergangenheit hinter sich wie ein Sack voller Steine herzog. Ich seufzte schwerfällig, sodass beide Ackermanns zu mir blickten.

„Kenny, ich habe viel nachgedacht... In der nächsten Zeit werde ich einiges vorhaben und immer mehr denke ich darüber nach, ob wir dich als Unterstützung einsetzen könnten."
„Schnecke, jetzt drehst du durch..." Ich schüttelte den Kopf.
„Nein. Ich lege nur alle Optionen auf den Tisch. Wenn es nach mir ginge, würde ich jeden fähigen Kämpfer mit einbeziehen. Selbst diejenigen, die früher Verbrechen begannen haben, könnten uns im Krieg eine Hilfe sein... Bei jemanden wie dir steht außer Frage, dass du für das Militär wertvoll sein könntest." erklärte ich. Levis Onkel sah mich ernst an und hob mir Kuchel entgegen, sodass ich sie wieder an mich nahm.
„Was sagt der Knirps dazu?"
„Er weiß noch nichts von meiner Idee." Konzentriert strich ich Kuchel über den Kopf. Sie schien langsam müde zu werden. „Meine Frage ist, ob du bereit wärst, an unserer Seite zu kämpfen? Wenn ja, dann werde ich schauen, was ich machen kann." fügte ich hinzu und wartete auf seine Antwort.

Kenny kratzte sich am Kopf. Er tippte einige Male mit seinem Fuß auf den Boden, so als sei er ein wenig nervös.
„Was ist dabei mein Vorteil?"
„Es gibt keinen... Entweder du machst es, um deinen Neffen, unser Volk oder wen auch immer zu unterstützen oder du lässt es. Je nachdem, wie wir mit dir umgehen, ist vielleicht irgendwann deine Freiheit wieder möglich. Aber das kann ich nicht versprechen... „

Ich überlegte kurz. Ein Freispruch von seinen Taten konnte nur General Zackley oder Historia aussprechen. Ziemlich sicher würde ich Letztere davon überzeugen und Kenny so die Chance geben können, doch ich zweifelte immer noch daran, diesem Mann vertrauen zu können. Er war nicht zuletzt ein gefährlicher Gegner gewesen, der mich mit Stärke und sehr gerissenen Mitteln besiegt hatte.

„Dann frag deinen Gebieter um Erlaubnis, Schnecke! Um aus diesem Loch hier rauszukommen, würde ich einiges tun." Kenny stand auf und setzte sich auf sein Bett. „Die Besuchszeit ist um." zischte er nun mit gesenktem Kopf. Ein tiefer Schatten zog sich über sein Gesicht. Ich nickte. Wahrscheinlich brauchte auch dieser Kerl Ruhe zum Nachdenken, denn was ich ihm da grade angeboten hatte, war mehr als er sich jemals noch für sein Leben erträumt hatte.

„Was denkst du dirdabei?" fragte Levi mich am nächsten Tag nach meiner Rückkehr in Mitras. Wirstanden in unserem Zimmer – jeder am anderen Ende des Raumes – so als wolltenwir einander ausweichen. Kuchel lag auf dem Bett und versuchte währenddessenihren Kopf zu heben, um hin und wieder zu ihrem Vater zu blicken, der mit denArmen verschränkt an der Wand lehnte. Ich wusste genau, was diese Körperhaltungzu bedeuten hatte.

„Levi... Überleg doch mal, wie stark er als Einzelkämpfer ist. Wie du kann er sichgegen viele Gegner behaupten und im Kampf damit entscheidend eingreifen. Ichwürde es nicht vorschlagen, wenn ich nicht Angst davor hätte, dass wir vonMarley vollkommen geschlagen werden..." meinte ich, wobei ich meine Hände anmeiner Hose abrieb. Sie waren unangenehm schwitzig.

„Auf den Alten können wir verzichten."
„Levi..."
Er blickte zu mir – genervt und gleichzeitig ein wenig unsicher. Es war dieserBlick, den er so oft trug, wenn er etwas nicht mochte und sich verschloss.Dieser Blick, der mir sagte, dass ihm kalt war. Ich hasste es mittlerweile, ihnso zu sehen, wenn ich mich auch genau in diese Art und Weise seines Seinsverliebt hatte. Langsam ging ich auf ihn zu und lag meine Hand auf seineSchulter. Ich glitt mit ihr zu seinem Hals und griff ihn in den Nacken.

„Ich weiß, dass dir dieser Mann auch etwas bedeutet, Levi. Und ich weiß, dassauch du ihm nicht egal bist. Gib ihm die Chance, seine Fehler gut zu machen! Erhat mir immerhin die Chance gegeben, noch bei dir zu sein."

Levi seufzte. Er blickte mir tief in die Augen. Sein Blick suchte nachOrientierung, nach etwas, nach dem er greifen konnte, um nicht in den Abgrundseiner Vergangenheit zu rutschen. Ich umarmte ihn, drückte mich fest an ihn undfixierte ihn dabei zwischen mir und der Wand.
„Willst du mich zerquetschen?" zischte er, doch seine Hände griffen nach mir.Er lehnte seinen Kopf an den meinen und atmete tief ein. Ich spürte, wie ihmwarm wurde. Wie er langsam erhitzte, während er meinen Körper abtastete. DieseBerührungen – so vorsichtig und zärtlich - brachten meinen Bauch zum Kribbelnim Bauch.

„Du machst doch eh das, was du willst..." seufzte er mir ins Ohr. Ich ließ meineHand in sein Haar wandern und zog daran leicht, sodass ich direkt in seinGesicht blickte. Seine Augen glänzten mir entgegen. Sein Geist dachte schonlängst nicht mehr nach – verlangte nach mir, ohne Wenn und Aber. Ich lächelteein wenig, als ich seine Sehnsucht erkannte. Mittlerweile hatte ich immer mehrdas Gefühl, dass er sich mit mir ablenkte oder in mir Halt suchte. Was auchimmer es war – er brauchte mich auf eine gewisse Art und ich genoss es.

„Du kannst mich doch jederzeit aufhalten, mein Gefreiter." scherzte ich, dennganz tief in mir wusste ich bereits, dass es nicht stimmte. Ich hatte Pläne fürdiese Insel. Pläne, die ich durchsetzen würde, um am Ende nichts bereuen zumüssen. Ich würde alles tun, um sein Leben und das unserer Tochter zu schützen.Würde alles hinter mich lassen, um mein Ziel zu erreichen. Selbst ihn – denn esging nicht mehr nur um mich und um unsere Beziehung. Es ging um die Freiheit,die ich ihm schenken wollte. Diese Freiheit, die er unbedingt erleben sollte.Niemand hatte sie mehr verdient als er. Niemand hatte so viel erleben müssen,um einen Blick auf sie werfen zu können.

„Dann werde ich jetzt mal mit Hanji sprechen." meinte ich, als ich mich von ihmlöste. Sein Blick wirkte kurz überrascht, sodass ich lachen musste. „KeineSorge, ich komme gleich wieder." ärgerte ich ihn.
„In Ordnung. Ich werde einige Berichte schreiben. Du kannst Kuchel alsohierlassen."
„Gut, bis gleich." Ich küsste ihn auf die Wange, nur um dann doch meine Zungein seinen Mund zu drängen und in ihn hinein zu seufzen. Er drückte meinen Kopfan sich, trachtete nach mehr und ließ mich tief in seinen Mund vordringen, ummir zu zeigen, dass er mich wollte. Es stach in meinem Schoss. Ich hatte dasGefühl, ihn dominieren zu können. Ein Gefühl, was er mir eigentlich nie gab,doch nach welchem ich mich schon oft gesehnt hatte.

Doch Levi brach den Kuss ab, indem er mein Gesicht in seinen Händen hielt.
„Du wolltest los." hauchte er mir entgegen und grinste. Ich presste meineLippen zusammen und nickte, während ich das Zimmer ein wenig verdutzt verließ.Ein wenig unsicher, fragte ich mich, wer von uns eigentlich wirklich die Fäden desGeschehens zog und tastete meine Lippen ab. Sie schmeckten nach ihm und flüstertenmir zu, dass ich mir meiner nicht so sicher sein konnte.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now