78. Freund und Feind

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Es lag eine unruhige Nacht hinter mir. Immer wieder war ich aufgewacht, nur um mich zu vergewissern, dass Levi noch bei mir lag. Ich hatte kontrolliert, ob er schlief und hatte ihn dabei beobachtet, wie er sich teilweise unruhig drehte. Sein Schlaf musste von schlechten Träumen geprägt gewesen sein. Träume, die ihm offenbart hatten, wie belastend die letzten Tage für ihn gewesen waren. Seufzend wachte ich auf, als die Sonne bereits diesen regnerischen und wechselhaften Herbsttag erhellte. Levi lag still auf dem Rücken neben mir und starrte nach draußen. Er schien nachzudenken.
„Hey..." sagte ich leise und kuschelte mich an ihn. Er blickte mich an und strich durch mein Haar.„Bist du auch endlich mal aufgewacht." Ich lächelte entspannt und nickte.
„Das sagt der Richtige... Ich konnte die ganze Zeit kaum schlafen durch dich." Ich schmollte. Levis Augen weiteten sich.
„Wa..." Hastig drückte ich meinen Daumen auf seinen Mund, so wie er es manchmal bei mir machte und grinste. „Ich musste doch aufpassen, dass du nicht wieder weg bist, wenn ich aufwache." Levi ergriff mein Handgelenk.
„Sagt die, die selbst in Trost weggelaufen ist..." ärgerte er mich. Unsicher verdrehte ich die Augen, doch mein Blick blieb an seinem Haar hängen. An dem tiefen Schwarz, was mich an den Nachhimmel erinnerte. Ich seufzte – wie sehr liebte ich dieses Haar? Wie stark bewunderte ich es? Immer, wenn ich es ansah, fühlte ich mich zu ihm so unglaublich hingezogen.
 „Ich..." Levi strich an meine Wange entlang und musterte meinen Blick. Ich erkannte, wie er meine Gedanken zu lesen schien – wie er mich durchschaute und dann beinah lächelte, als er seine Lippen auf meinen Mund presste. Ganz bewusst verschluckte er meine Worte, so als seien sie bedeutungslos und streckte mir seine Lust entgegen. Wir küssten uns innig. Ungewollt tauschten wir dabei die Bitterkeit aus, die sich in der letzten Nacht in uns gesammelt hatte. Doch es war uns gleichgültig, wie unangenehm dies war - unsere Leidenschaft verdrängte diesen Geschmack und ließ uns unsere Zungen nur noch wilder aneinanderreiben. Eilig löste ich meine Lippen von seinen, um aufzustöhnen, doch gleichzeitig spürte ich einen starken Druck in meinem Bauch. Ein lautes Knurren hallte durch das Zimmer. Ich errötete, doch Levi grinste nur.
„Du klingst so, als sollten wir eher essen als vögeln..." Ich biss mir auf die Unterlippe, versuchte noch nach ihm zu greifen, doch er stand bereits auf und nahm seine Kleidung von einem Stuhl in der Ecke des Zimmers. „Ich hätte gern beides...." sagte ich eher zu mir selbst, doch Levi blickte mich erschrocken an.
„Auf so was stehst du? Ist ja eckelig..."
 „Hääh?"„Ich esse nicht im Bett." Der Gefreite zog sich ein Hemd an und band sich sein Tuch.
„Auch kein Frühstück?"
„Nein." Ich seufzte. Einen romantischen Morgen mit Essen am Bett konnte ich wohl niemals erwarten. Aber was dachte ich mir bei dieser Idee überhaupt? So wie ich ihn kannte, würde er beim ersten Krümel aus dem Bett springen und alles neu beziehen. Er war eben extrem ordentlich und sauber. Letztendlich war ich erstmal froh darüber, dass er nicht nach dem Sex putzte und auch so mich mit seinem Saubermachen in Ruhe ließ. Ich blickte Levi an. Wie sollte das überhaupt mit einem Kind funktionieren? Wusste er, was das für seine Ordnung zu bedeuten hatte?
„Willst du nicht aufstehen?" fragte er mich und riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich nickte und bewegte mich langsam zu meiner Kleidung. In Ruhe machte ich mich frisch und zog mich an, sodass ich mit Levi in das Verließ gehen konnte, um die junge Frau von gestern zu treffen. Sie hatte sicherlich schon auf meine Ankunft gewartet, auch wenn sie überrascht aufsah, als ich ihr das Abzeichen unseres Trupps gab. Dann erzählte ich ihr davon, dass ihr Freund von Trost nach Mitras gebracht werden würde.
„Dann wird er hier beerdigt?"
„Da er früher bei der Militärpolizei gedient hat, wird er wohl auf dem Militärfriedhof bestattet werden." erklärte Levi, während er mit verschränkten Armen an der Wand lehnte und zu dem Kristall der Titanenwandlerin sah. Ich folgte seinem Blick und starrte ebenfalls diese große, glänzende Hülle an, die die blonde Frau umschloss. Es war nun fast ein halbes Jahr her, dass wir den Weiblichen Titan bekämpft hatten. Ein halbes Jahr waren also Gunther, Eld und Petra tot und auch Auruo war ihnen nun vor ein paar Tagen gefolgt. Der gesamte frühere Elitetrupp war somit ausgelöscht worden. Bei diesem Gedanken schluckte ich schwerfällig.
„Annie war eine Freundin von mir..." sagte plötzlich die junge Frau, die bemerkt hatte, wie wir die Wandlerin ansahen.
„Eine Freundin?" fragte ich verwundert, doch dann erinnerte ich mich an Armin und seinen Blick, als Rainer aus der Mauer in Shiganshina hervorgekommen war. Auch er war mit unseren Feinden befreundet gewesen. Auch er hatte ihn nicht nur als Gefahr, sondern auch als Menschen gesehen. Ich seufzte. An diesem Gedanken war nichts Falsches, denn am Ende kämpfte jeder nur für das, was er als Richtig empfand. Eben für das, was er am wenigsten bereute. Mein Blick wanderte zu Levi. Auch er und ich töteten die, die sich uns in den Weg stellten. Meine Hände begannen zu schwitzen, denn manchmal hatte es mich sogar erfreut. Es hatte mich in eine Art Wahn befördert, indem ich Macht verspürte oder meinen Hass ausleben konnte. Eine Sache, die Levi niemals tat, denn er hatte seine Gefühle meist unter Kontrolle – das bewunderte ich.
„Wir müssen gehen." warf Levi nun ein und ging vor. Ich hob meine Hand zum Abschied und folgte ihm, um mich mit ihm auf den Weg nach Stohess zu begeben.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt