115. Zurück in der Heimat

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„Ah, da seid ihr ja!" ,rief Hanji, während sie uns zuwinkte. Levi und ich stellten uns zusammen mit Kuchel zu der strahlenden Frau. Sie schien aufgeregter denn je.
„Beruhig dich, Hanji!" ,forderte Levi, während er die Tasche abstellte, um seine Tochter auf den Arm zu nehmen. Die Kleine drückte sich an ihn.
„Aber es ist so aufregend! Endlich tun wir wieder das, was uns als Aufklärungstrupp ausmacht."

Ich schüttelte meinen Kopf. Diese Mission, wenn man sie überhaupt als eine solche bezeichnen konnte, war nicht wirklich eine Aufklärungsreise. Es war eher ein Familienbesuch und ein damit verbundenes Betteln, um für Paradies Verbündete zu gewinnen. Mit Aufklärung hatte das Ganze für mich kaum etwas zu tun.

„Können wir los?"
Lina kam auf uns zu. Auch sie trug die Bemalung ihrer Familie, so als wolle sie mich nicht allein mit dieser Bürde lassen. Die hellblauen Streifen glänzten auf ihrer Haut und bildeten einen auffälligen Kontrast zu ihrem schwarzen Haar.
„Ja, klar!" ,gab Hanji für uns zur Antwort. Wir folgten meiner früheren Freundin auf das Schiff, welches uns hinauf aufs Meer bringen sollte, um dann Mitten auf der See umzusteigen.

„Hast du Waffen bei dir?" ,fragte ich Hanji, während ich meine Hand auf ihre Schulter legte, um sie kurz abzubremsen. Sie nickte mir zu. Ich war erleichtert. So ganz schien sie ihren Verstand vor Aufregung doch nicht verloren zu haben.

Nachdem ich ebenfalls meine Waffen geprüfte hatte – ich trug meinen Dolch an meinem Gürtel und Pistole unter meinem Rock – betrat ich als Letzte das Schiff, während ich Lina zunickte. Unsere Reise konnte nun endlich beginnen.

Die Stunden rauschte an uns vorüber, so wie das Wasser, auf dem wir reisten. Erst nachdem wir bereits den Umstieg auf ein Schiff der Flotte meiner Heimat vollzogen hatten, fand ich die Möglichkeit mit meiner Kommandantin unter vier Augen zu sprechen. Zuvor war sie extrem aufgescheucht gewesen, hatte Lina oder einige der Matrosen ausgefragt oder verschwand zwischendurch einfach, um dann begeistert sowie ölverschmiert wieder aufzutauchen. Sie war einfach Feuer und Flamme.

„Was gibt's -dN-?" ,fragte sie mich, als ich vor ihr stand, um um ein Gespräch zu bitten.
„Es geht um meinen Vater Hanji... Ich würde zunächst gern allein mit ihm sprechen" ,erklärte ich ihr. Ich blickte zu Levi herüber. Er saß mit Kuchel zusammen auf dem Geländer und starrte mit ihr hinaus aufs Meer. Die Kleine zeigte ständig in eine andere Richtung und schien begeistert vom Glanz des Wassers. Ich hingegen konnte kaum meine Augen von ihnen lassen. Ihr schwarzes Haar wehte im Wind und schimmerte in Licht der Sonne. Der Tanz ihrer Strähnen ließ mich innerhalten, beruhigte mich schon fast, bis ein tiefer Seufzer mich aus diesem Traum herausholte. Es war Hanji, die immer noch neben mir stand.

„Ich muss nicht dabei sein, -dN-. Es ist deine Familie. Aber lass dich wenigstens von Levi begleiten! Keiner von uns will, dass du dich allein mit deinem Vater und wer weiß was für eine Gefolgschaft triffst" warf sie ein, während sie ihre Brille richtete. Das Glas spiegelte ein wenig, sodass ich eher mich selbst als ihr Auge dahinter erkennen konnte. Ich musterte sie: Diese Frau im Glas, die ihre Lippen wie ein kleines Mädchen spitzte, um dabei eine Schnute zu ziehen.

„Ich weiß..." ,meinte ich nur.
„Das heißt?"
„Wenn es euch so wichtig ist, werde ich zusammen mit Levi gehen, damit ihr keine Angst habt, man könnte mich entwenden. Passt du dann auf Kuchel auf?"
„Klar" ,rief Hanji aus. Sie ballte eine Faust und grinste. „Die Kleine und ich werden richtig Spaß haben!"

Ich lachte auf. Auch wenn Hanji eine unglaublich intelligente Frau war, konnte sie manchmal urkomisch wirken. So komisch, dass sie mich zum Lachen brachte und ich kaum mehr aufzuhören vermochte.

„-dN-, Kommandantin Hanji. Die Ankunft am Hafen steht bevor. Ich bitte um Vorbereitung!" meldete ein uns fremder Matrose. Er salutierte, indem er seine Hand zum Kopf führte. Ich nickte zur Bestätigung, sodass er sich von uns entfernte. Daraufhin gab ich Hanji ein kurzes Handzeichen und ging zu Kuchel und Levi, die immer noch in die Ferne blickte.

„Wir sind gleich da" meinte ich, während ich mich nah an sie stellte. Meine Hand wanderte zu Levis Bein, berührte es ganz leicht, so als wolle ich sichergehen, dass er wirklich hier war. Hier bei mir, um in meine Heimat zu fahren – um in meine Vergangenheit zu schreiten. Eine Sache, die ich nicht unbedingt gern tat.

„Da!" ,riss mich Kuchel aus meinen Gedanken und zeigte Richtung Bug. Mit meinem Blick folgte ich dem Fingerzeig meiner Tochter, dem auch Levi Beachtung schenkte.

Wir entdeckten sie: Die Hafenstadt am Horizont. Große Gebäude ragten in den Himmel hinein. Sie alle erbaut, obwohl sie tiefe Schatten auf die Menschen warfen, nur um das Leben dort effektiv zu gestalten. Repräsentativ für eine Stadt des nächsten Jahrhunderts war alles auf den Raum der Maschinen ausgelegt. Parkplätze und Straßen für die Automobile, große Stege für die Schiffe der Neuzeit und ein Flughafen, welcher außerhalb der Stadt lag, um den Himmel zu erobern.

Ich sah zu Levi auf. Seine Augen waren starr zu dieser Stadt gerichtet, die ihm einen Blick in die Zukunft ermöglichte.
„Ich hoffe, du fällst nicht um vor Staunen" meinte ich im Scherz.
„Keine Sorge..." ,zischte er nur, um daraufhin das Thema zu wechseln: „Wie ist der Plan?"
„Laut Lina will mich mein Vater in einem bekannten Café treffen. Er wird dort auf mich warten..."
„Du weißt, wo das ist?"
„Ja, klar. Du musst mir eigentlich nur folgen!"

Ich grinste frech, während ich in dieses Gesicht blickte, welches mir überraschend ein Lächeln schenkte. Wie Hanji hatte er sicherlich damit gerechnet, dass ich allein gehen wollte und ich musste mir selbst eingestehen, dass sie damit nicht ganz unrecht hatten. Doch so länger ich darüber nachgedacht hatte und so länger ich ihn dabei ansah – selbst in diesem Moment – wollte ich ihm das nicht antun. Wollte ich es, mir nicht antun.

Im Endeffekt wusste ich schon lange, dass er mir Sicherheit gab, auch wenn ich mir immer noch dieses Gefühl von Unabhängigkeit einredete. Es war nichts weiter als die pure Illusion. Eine Illusion, um meinen Stolz zu bewahren. Diesen Stolz, den ich schon immer in mich trug und den ich niemals ganz ablegen könnte.

Wir erreichten die Hafenzufuhr. Der Wind wehte hier an der Küste besonders stark, drückte dabei mein Haar in mein Gesicht, welches ich mühevoll zur Seite wischte, nur um von einem dieser Schatten der Gebäude ergriffen zu werden. Jetzt in diesem Moment erkannte ich dieses Gefühl der Enge. Es war das gleiche Gefühl, welches ich immer dann empfand, wenn ich in einen der Städte auf Paradies vor der Mauer stand und hinaufsah – beeindruckt und gleichzeitig bedrängt.

„-dN-, wir gehen an Land!" ,rief Lina mir zu und winkte dabei zurückhalten. Ich blickte zu Levi. Er stand auf, um Kuchel Hanji zu reichen. Diese begann unsere Tochter freudig zu Schaukeln.
„Macht euch mal keine Sorge!" ,warf sie dabei noch ein.
„Ohne Carolin zu reisen, war nicht gerade die beste Idee..." ärgerte sich Levi. Ich schmunzelte.

Langsam ging ich über das Deck, um vorsichtig einen Blick auf den Steg zu erhaschen. Zu meiner Freude war weder ein Soldat noch mein Vater höchstpersönlich zu sehen. Ich atmete auf.

„Dann lass uns mal los!" ,meinte ich zu Levi, während ich mich zu ihm umdrehte und erkannte, dass er in meinem Schatten stand. Er folgte mir. Jetzt, in den nächsten Tagen und immer dann, wenn ich es brauchen würde.

Mein Lächeln strahlte ihm entgegen. Es rief ihm zu, wie viel es mir bedeutete. Wie sehr ich es vielleicht wirklich brauchte, auch wenn ich es niemals in Worte fassen würde. Doch Levi verstand es. Er schritt an meine Seite, um gemeinsam mit mir das Land zu betreten, von dem ich einst stammte.

Seine Hand glitt über meinen Rücken – vorsichtig und zurückhaltend, um mir zu zeigen, dass er bei mir war. Um mir zu zeigen, dass wir auch diese Herausforderung irgendwie meistern würden, so wie wir bisher die letzten Jahre hinter uns gebracht hatten. Und was war dieser Mann, der mich erwarteten, schon im Vergleich zu den Titanen, denen wir uns gestellt hatten? Was war er schon?

Immerhin stand doch der stärkste Kämpfer der Menschheit an meiner Seite, auch wenn dies für mich kaum von Bedeutung war, denn die Kraft, die er mir gab, stammte nicht von seinem körperlichen Können. Nein – am Ende war es einfach nur sein Vertrauen und dieses Gefühl, dass er mich so akzeptierte, wie ich war. Dass er meine Fähigkeiten anerkannte und mich niemals als Fehler sah. Selbst dann nicht, wenn ich das tat, was ich wollte und keine Rücksicht auf ihn nahm.

„Was schaust du denn so?" fragte Levi plötzlich, als wir den Steg betraten. Ich lächelte.
„Ich war in Gedanken..."
„Hast du schon wieder Dinge im Kopf, die hier nicht hergehören..."
„Was? Nein, sowas nicht... Als würde ich..." Doch seine Hand drückte sich bereits auf meinen Kopf und wuschelte mir durchs Haar. Ich verzog das Gesicht, um daraufhin ihn kichernd zu umarmen. „Die Gedanken hebe ich mir für später auf!" ,flürsterte ich ihm dabei ins Ohr und nahm seine Hand.

Es war an der Zeit, meinem Vater gegenüberzutreten.    

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now