120. Wünsche, Hoffnungen und Wehmut

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Zuckerwatte – dieses klebende, fluffige Zeug, welches mit bunten Farben Kinder und anscheint auch Kommandanten wie Fliegen anlockt. Diese Erfindung, die niemand braucht und dennoch jeder haben wollte. Sie wurde uns zum Verhängnis.

„Sie klebt..." ,schimpfte Levi, als Kuchel von oben bis unten voll mit ihrem neuentdeckten Lieblingsessen war. Kuchel grinste ihre neue Verbündete Hanji an und griff ein weiteres Mal in die Süßigkeit, während das Gesicht ihres Vaters sich verzog. „Das war eine Scheißidee."

„Ach, ärgert euch nicht!" warf Hanji nun ein, die nicht unbedingt weniger verschmiert als Kuchel aussah. „Ich gehe mit der Kleinen zurück ins Hotel und wasche uns. Wo treffen wir uns dann, -dN-?" ,fragte sie mich noch, bevor sie mit ihrer Zunge die kleine Holzstange ableckte.

„Mmmh, wie lange wirst du brauchen?"
„Na ja, mit dem Weg vielleicht zwei Stunden. Oder Kuchel?" Hanji kniete sich hinunter, um der Kleinen direkt ins Gesicht zu schauen. Die beiden lächelten. Für Kuchel gehörte Hanji wahrscheinlich schon längst zur Familie. Sie war ihr nicht viel weniger vertraut, als ihre Eltern es ihr waren.
„Es gibt in der Einkaufsstraße ein Kino. Lass uns davor treffen!" ,schlug ich vor. Es war eines dieser Gebäude, die sie auf jeden Fall nicht übersehen könnte. Egal, wie viele andere Dinge, ihre Aufmerksamkeit beanspruchen würde. Das Kino würde ihren Blick schon auf sich ziehen, dem war ich mir sicher.
„Bist du sicher, dass du den Weg findest?" ,fragte Levi Hanji noch. Diese nickte und nahm Kuchel an die Hand.
„Lass uns losgehen, Kuchel!" Hanji winkte uns kurz zu. Unsere Tochter, die noch immer mit ihrer Zuckerwatte beschäftigt war, nahm die Einladung an. Sie griff nach Hanjis Hand und lief brav mit – was für ein einfaches Mädchen sie doch manchmal war.

„Und was machen wir jetzt?"
Levi verschränkte die Arme, während er seiner Kommandantin skeptisch hinterher sah. Ich musste schmunzeln. So sehr er Hanji im militärischen Dingen schätzte, so ungern vertrauter er ihr seine Tochter an. Doch die Option, ein klebendes Kind mit sich nehmen zu müssen, war ihm noch mehr zuwider.
„Ich habe schon eine Idee. Komm!" ,sagte ich, bevor ich mir seine Hand schnappte und ihn in die Einkaufsstraße zog.


Die Klingel eines kleinen, verspielt wirkenden Laden läutete, als ich mit Levi eintrat. Es war ein Geschäft voller Düfte. Kleine und große Porzellankrüge standen in den Regalen, welche an den Wänden und teilweise mittig positioniert waren und luden zum Bestaunen an. Levis Augen weiteten sich. So viele Teesorten hatte er wahrscheinlich nie zuvor gesehen, doch als er vor einem der Kübel stand, hielt er inne.

Ich stellte mich zu ihm, blickte kurz herüber und meinte dann: „Da steht Mate-Tee..."
„Was ist das?" ,fragte er. Seine Augen wirkten konzentriert – das Staunen hatte er bereits zur Seite gedrängt, um so viel Wissen wie möglich in sich einzusaugen. Ich lächelte. Es gab nur wenige Themen, die in ihm ein so großes Interesse auslösten.

„Mmmh, soweit ich weiß, macht das sehr wach. Viel stärker als bei Schwarzem Tee..."
„Kann ich Ihnen helfen, werte Dame und werter Herr?" ,fragte plötzlich ein Verkäufer. Es war ein alter Herr. Sein Gesicht gezeichnet von unzähligen Falten, die uns entgegenlächelten. Ich nickte.
„Ich will eine breite Auswahl an Teeblättern – keine Mischungen..."
„Ah, sie wollen selbst ausprobieren, Kreationen herzustellen?" Ich zuckte mit den Schultern, doch der Verkäufer ließ nicht locker. „Was schwebt Ihnen denn vor?"
Prüfend sah ich zu Levi. Ich selbst konnte das nicht beantworten. Außer, dass ich seinen Tee trank und er mir manchmal erzählte, um was für eine Sorte es sich handelt, was ich meist nach einigen Sekunden wieder vergessen hatte, wusste ich so gut wie nichts über Tee. Doch es ging hier nicht um mich.
„Levi, was willst du genau?"
„Ich müsste mir die Blätter anschauen, um das zu beantworten..." Levi öffnete einen der Deckel und blickte hinein. „Wenn dann brauche ich ganze Blätter und nicht so einen zerkleinerten Scheiß..." ,zischte er. Ich schluckte schwerfällig und sah zu dem Verkäufer, der ebenfalls etwas unsicher zu meiner Begleitung schaute.
„Natürlich haben wir auch ganze Blätter. Kommen Sie, werter Herr. Ich zeige ihnen hier hinten unsere Auswahl!"

Der alte Mann führte Levi zu anderen Krügen und begann mit dem Vorstellen seiner Ware. Levi hörte konzentriert zu. Er nahm einige der Blätter in die Hand, rieb sie zischen seinen Fingern, um ihren Duft zu entfalten und ihr Aroma zu erahnen. Ich beobachtete ihn, während ich immer wehmütig lächelte. Mein Herz wurde schwer. Diesen einen Wunsch, den er hatte. Diese eine Hoffnung, irgendwann selbst einen Teeladen zu führen, kam nicht von irgendwoher. Er schien wirklich ein Talent und genügend Wissen zu haben, um dies umzusetzen und wahrscheinlich würde er damit sogar finanziell durchkommen. Sicher – das große Geld würde er damit niemals machen. Dafür war dieses Interesse schon fast zu speziell. Doch ich wusste, dass er darauf nicht aus war.

Er wollte einfach nur ein normales Leben führen. Ohne großen Reichtum, denn den Krieg zu überleben und das alles hinter sich zu bringen, wäre Glück genug. Ich sah es genauso wie er. Ich war bereit, irgendwann ihn zu unterstützen diesen Traum zu erfüllen, ohne große Forderungen zu stellen. Die Einzige, die ich wirklich hatte, war bei ihm bleiben zu können. Eine Forderung, die ich wohl eher mir selbst und meiner Familie, als ihm zu stellen brauchte. Er hatte es mir doch deutlich genug am gestrigen Abend gesagt – er würde bei mir bleiben.

„Und sie, werte Frau? Haben sie noch einen Wunsch?" ,fragte mich der Verkäufer nun. Ich schrak auf, blickte auf die paar kleinen Beutelchen, die er in den Händen trug und wandte mich an Levi, ohne den alten Mann zu beachten:
„Willst du nicht mehr mitnehmen?" Levi zuckte mit den Schultern.
„Es wird reichen." ,meinte er nur. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, während ich auf ihn zuging.
„Probiere doch so viel wie möglich aus! Wenn wir schon mal hier sind, können wir auch einiges kaufen" ,warf ich ein und griff dabei nach einem Krug, auf welchem Grüntee notiert stand.
„-dN-, ich kann noch nicht einmal lesen, was der Scheiß kostet..." ,meinte Levi nur, wobei er sich durchs Haar fuhr. Seine Augen verrieten mir, dass er ein wenig überfordert war. Ich seufzte. Manchmal vergaß ich, dass er diese Welt kaum kannte. Ich vergaß, was es heißen musste, von dieser Stadt erschlagen zu werden, indem sie an jeder Ecke eine neue Herausforderung stellte. Während ich diesen Schlägen gekonnt auswich, da ich genau wusste, was für mich wichtig war, musste er jeden Einzelnen ertragen, um daraus zu lernen.

„Verdoppeln sie die Menge und legen sie noch einige Proben bei!" ,sagte ich jetzt einfach zu dem Verkäufer. „Und packen sie alles in einen großen Beutel, sodass es leicht transportierbar ist!" Ich ging zum Tresen, kramte in meiner Tasche und lag ein Geldbündel an der Kasse ab. „Das passt so..." ,meinte ich noch und grinste. Zum Glück hatte ich mir von Lina einiges an Geld geliehen, welches sie ganz einfach bei meinem Vater zurückfordern konnte. Manchmal war der alte Mann doch wenigstens zu etwas zu gebrauchen.

„Sehr gern, werte Dame."
Die Augen des Verkäufers glänzten zufrieden. Er hatte am heutigen Tag ein gutes Geschäft gemacht, während ich endlich mal die Chance hatte, Levi etwas zu kaufen.
„Das hättest du nicht..." Ich legte meinen Finger auf seine Lippen, als er an mich herantrat, um irgendetwas von Muss-nicht oder Brauch-nicht zu faseln.
„Lass mich doch!" ,unterbrach ich ihn.

Sein Blick senkte sich. Ich wusste, dass es ihm nicht leichtfiel, meine Geste anzunehmen. Ich wusste, dass er nicht der Typ war, der groß beschenkt werden wollte. Das alles hatte er mir schon so oft gezeigt und dennoch – ich wusste eben auch, dass er sich freute. Irgendwo hinter diesen Augen, die immer noch unsicher zu mir sahen. Die mich förmlich greifen wollten, nur um zu erfahren, wie er sich erkenntlich zeigen könnte. Doch gerade das wollte ich nicht.

Er hatte mir schon so viel gegeben. Mir irgendwie einen Platz gezeigt, an dem ich mich gebaucht und geschätzt fühlte. Mir Momente geschenkt, an denen ich mich immer gern zurückerinnern würde. Mit mir eine Tochter bekommen, die ich wie einen Schatz mit ihm behüten wollte. Vielleicht waren das alles ganz normale Dinge des Lebens, doch für mich waren es diese Gründe, die ich brauchte, um weiterzumachen. Und um glücklich zu sein.

„Lass uns zum Kino gehen!" ,meinte ich nun, während ich den Beutel nahm, der mir von dem Verkäufer gereicht wurde. Levi nickte. Er begleitete mich zum Ausgang, nachdem er mir den Einkauf abgenommen hatte.
„Wenn das für mich ist, kann ich es auch selbst tragen..." ,zischte er dabei genervt. Doch als ich in sein Gesicht sah, entdeckte ich diese leichte Röte an seinen Wangen, die mir zeigte, dass er sich freute, auch wenn er es nicht sagen wollte.
„Du starrst zu viel, -dN-!" schimpfte er nun. Ich öffnete die Tür des Ladens. Das Klingeln des Glöckchens begleitete mein Grinsen, welches ich ihm nun entgegenwarf. Ich sah ihn an. Sah wie sein Haar im Wind zu wehen begann und das Licht, welches nun hereinschien, seine Augen himmelblau erscheinen ließ, nur um sie noch klarer abzuzeichnen.
„Wie sollte ich da nicht starren?" , fragte ich mich. „Wie könnte ich da wegschauen, Levi?"

Grenzen vergessen Levi x ReaderDonde viven las historias. Descúbrelo ahora