87. Verräter?

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„Ah, da bist du ja...." seufzte ich heraus und setzte mich neben Eren auf eine Bank.
Der junge Mann starrte zum Himmel. Seine Hände lagen gefaltet in seinem Schoss. Unsicher blickte er mich an und schien sich dabei zu fragen, was ich wolle.

„Hast du wieder diese Gedanken?" fragte ich, als ich merkte, dass er wohl oder übel kein Gespräch mit mir anfangen würde.

„Ich sehe Bilder und höre Stimmen. Mein Vater. Ein anderer Mann. So viele..." stöhnte er heraus. Seine Haltung wurde gebückter, so als würde ein schweres Gewicht auf seinem Rücken liegen. Vorsichtig lag ich meine Hand auf seine Schulter – nur ganz leicht, um ihn nicht noch mehr nach vorn zu drücken.

„Gib dir Zeit, dass alles zu verarbeiten und denk dann darüber nach... Wenn du jemanden zum Reden brauchst, kannst du jederzeit zu mir oder auch deinen anderen Kameraden oder Freunden kommen! Vergiss das nicht!"

„Aber sie verstehen nicht..."

„Und? Ihr versteht mich doch auch nicht und trotzdem hört ihr mir zu oder vertraut mir. Was siehst du denn Eren? Was von der Welt? Von dem Leid?" Eren nickte.

„Ich dachte, dass hinter dem Wasser die Freiheit sei, aber es sind nur Feinde..." seufzte er heraus. Ich schüttelte den Kopf und strich über seinen Rücken. Dieser Rücken, der noch viel zu schmal für einen Mann war. Dieser Rücken, der in den nächsten Jahren an breite gewinnen würde. So wie dieser Rücken musste auch Erens Geist wachsen, um am Ende das alles ertragen zu können und ich hoffte darauf, dass er es tun würde.

„Das stimmt so nicht. Da sind viele Feinde, aber auch viele, die unsere Freunde sein können. Schau doch mal, ich stamme auch von dort!" Ich zeigte lächelnd auf mich. Eren sah mich verwundert an. „Hast du das vergessen, Eren?" Der junge Mann schüttelte den Kopf und setzte sich auf.

„Und was sollen wir jetzt machen?"

„Du stellst Fragen... Ich kann nicht alles entscheiden..." Langsam stand ich auf und blickte in den grauen Himmel über uns. Ich hauchte in die kalte Luft hinein und genoss für einen Moment die Stille. „Wir müssen einen Schritt nach dem anderen machen und uns so gut wie möglich vorbereiten... Die Welt ist voller Gefahren, aber nicht jeder wird das Interesse haben, diese Insel zu erobern oder gar zu zerstören. Auch in meiner Heimat haben wir nie davon gesprochen euch auszurotten. Im Gegenteil – wir haben Marley für den Umgang mit eurem Volk kritisiert."

„Und warum lassen die Menschen es dann zu?"

„Das ist Politik, Eren. Man kann nicht einfach ein anderes Land angreifen, nur weil man es nicht gut findet, wie sie mit anderen umgehen. Jeder Krieg kann auch die Vernichtung des eigenen Volkes oder Landes bedeuten."

„Das ist feige." schimpfte Eren und stand nun ebenfalls auf. In seinen Augen loderten Flammen. Es war ein Feuer, was ich nie zuvor in ihnen gesehen hatte. Diese Gedanken – sie mussten ihn verändert haben und wahrscheinlich taten sie es noch jetzt. Was würde in ein paar Jahren aus diesem jungen Mann geworden sein? Wie würde er denken? Und viel wichtiger – wie würde er handeln? Mein Herz klopfte. Ich war mir unsicher, ob ich diesen Blick mochte oder als beängstigend empfand.

„Egal, was es ist Eren... Rede mit mir oder mit sonst wem... und vertrau deinen Kameraden! Versprich mir das!" Die Augen des Jungen weiteten sich.

„Was?"

„Ich sagte: Versprich mir das!"

Eren sah zum Boden. Er hielt kurz inne, doch dann nickte er.
„Okay... Versprochen."

Ich lächelte. Versprechen – das waren doch diese leeren Floskeln, die dem Anderen Zuversicht gaben, um sich in Sicherheit zu laben. Diese Worte, die ich Levi zuflüsterte, damit er sich gut fühlte. Diese Sätze, die ihm Hoffnung machten, obwohl wir beide genau wussten, dass es im Krieg diese gar nicht gab. Doch egal, ob Eren sein Versprechen in diesem Moment gesagt hatte, um mich zu beruhigen oder ob er es überhaupt ernst meinte. Ich war mir sicher, dass ich ihn eines Tages daran erinnern würde. Eines Tages, wenn ich es für nötig hielt.


„Warum hast du es nicht angenommen?"

Levi schloss hastig die Tür seines Zimmers, nachdem wir das große Festmahl und die unglaublich schlechte Musik hinter uns gebracht hatten. Er hatte einige Gläser Wein geleert, um jedem noch so fremden Soldaten die Möglichkeit des gemeinsamen Anstoßens zu bieten, auch wenn er dabei sichtlich genervt gewesen war. Schmunzelnd hatte ich ihn dabei beobachtet, bis wir den richtigen Zeitpunkt zum Verschwinden gefunden hatten. Es war viel zu spät gewesen und er, wie ich es nun bemerkte, schlecht gelaunt.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now