55. Gefährtin

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Wie die Orgelpfeifen standen die drei Kinder, die ich während meines Ritts kennengelernt hatte, da und starrten Levi bestaunend an.
"Der hat so viele Titanen besiegt?" fragte der Junge und zeigte mit seinen Finger direkt auf den Gefreiten. Ich schmunzelte. Levi stand mit verschränkten Armen an einer Hausmauer angelehnt und blickte den Kindern leicht unsicher entgegen. Wahrscheinlich bereute er bereits jetzt, mir diesen Gefallen getan zu haben.
"Ja genau. Der Hauptgefreite Levi führt einen Elitetrupp an und hat mit ihnen schon sehr viele Titanen bekämpft. Sie gelten als effektivster Trupp." erklärte ich.
"Dann kann er auch jeden Menschen besiegen?" fragte nun das braunhaarige Mädchen. Sie sah uns ernst an und sprang auf, als ich nickte. "Wie viel muss ich zahlen, damit ihr jemanden für mich tötet?" rief sie aus. Ihre Frage war wie ein Messerstich in mein Herz. Ein Druckgefühl breitete sich in meiner Brust aus und drang in meinen Bauch. Damit hatte ich nicht gerechnte und auch Levi schien überrascht.
"Ich töte keine Menschen für Geld." äußerte er und blickte das Mädchen sturr an.
"Aber er hat meine Mama umgebracht!" schrie die Kleine nun. Meine Hand berührte meinen Mund. Ich schnappte nach Luft. Dieses kleine Mädchen war auf Rache aus. Ihre Augen waren starr auf Levi gerichtet "Ich tue alles dafür." schnaupte sie. Doch Levi ging nur langsam auf sie zu und lag seine Hand auf ihren Kopf.
"Wenn du jemanden unbedingt umbringen willst, musst du selbst lernen zu kämpfen!" sagte er und ging in die Hocke, um ihr direkt ins Gesicht blicken zu können. "Wie heißt du?"
"Birte...." flüstete sie und senkte ihren Blick. Ihre Hände drückte sie in den Stoff Ihres Kleides.
"Kinder, es ist Zeit fürs Essen!" rief Historia, die geschwind über den Hof lief, um die Kinder einzusammeln. Sie sah zu uns herüber. Ich wank ihr zu.
"Ihr müsst jetzt auch essen gehen!" sagte ich zu den Drei und unterbrach damit das Gespräch zwischen Levi und Birte. Doch Birte nickte und lief mit ihren zwei Freunden der Königin entgegen. Beschwerlich seufzte ich. "Mit so etwas habe ich nicht gerechnet, Levi....."
"Sie alle haben das ein oder andere erlebt."
"Ja....." Ich ging einige Schritte in Richtung der Ställe. Die Dunkelheit war bereits eingebrochen und die Nachtigallen sangen bereits ihre Lieder - ein klares Zeichen dafür, dass die Nacht einbrechen würde. Unsicher sah ich zu Levi zurück. Er zog sich seine Handschuhe an. Finger für Finger glitt er in den Stoff und schien dabei nachzudenken. Ich musterte sein Gesicht. Immer dann, wenn ich nicht im Rausch meiner Lust gefangen war, erkannte ich erst, wie schön er war. Welchen Kontrast sein schwarzes Haar zu seiner hellen Haut zeichnete und wie glanzvoll seine meist müden Augen wirkten, die mich nun ganz überrascht ansahen.
"Was denkst du jetzt schon wieder?" Ich lächelte zurückhaltend und schüttelte den Kopf.
"Nur das du unglaublich schön bist." sagte ich und erblickte das erste Mal seine geröteten Wangen. Er biss seine Zähne zusammen und wandte sich ab. In meiner Brust aber kribbelte es. Ich hatte ihn mit meinen ehrlichen Worten auf eine ganz bestimmte Art und Weise berührt. Es machte mich glücklich, zu wissen, dass ich ihm dieses leicht beschämende Gefühl gab, was gleichzeitig ein erfrischendes Herzklopfen verursachte. Dieses Gefühl verliebt zu sein.

Wie ich es meinem Trupp angekündigt hatte, ritt ich vor Einbruch der Nacht mit Wolke zurück nach Stohess. Ich hatte mich vorher von Levi und seinen Truppenmitgliedern verabschiedet, welche sich ebenfalls für ihre Rückreise vorbereitet hatten, und galoppierte nun über die westliche Ebene. Die Aussicht zu den Sternen war atemberaubend. So länger ich zu ihnen hinaufsah, umso mehr kreisten meine Gedanken darum, eines Tages Paradies mit Levi verlasssen zu können. Die Sehnsucht danach wurde immer größer. Sie schien mich immer wieder packen zu wollen, doch ich entglitt ihr, indem ich mir meine Pflichten bewusst machte. So lange ich Paradies diente - so lange es hier Aufgaben für mich gab, würde ich mit Levi hierbleiben. Doch der Tag würde sicherlich kommen, an welchem dieses Land uns nicht mehr brauchen und wir wie Waffen abgelegt würden.
"Der Tag unserer Freiheit.... Ob wir ihn erleben werden?" fragte ich mich und zog zaghaft meinen Dolch. Ich glitt mit meinem Zeigefinder über das Metal. Die Gravierungen ließen sich von mir ertasten. Sie erinnerten mich an Levis Versprechen. Ich lächelte. Mein nächstes Ziel war es, die nächste Mission mit ihm zu überstehen und die Mauer Rose zu erobern. Alles andere - meine ganzen Zukunftträume - mussten warten. Ich durfte nicht mehr an sie denken - mich nicht mehr von ihnen ablenken lassen. Die nächsten Tage waren für mich die letzte Möglichkeit, mein Können weiter auszubauen und vielleicht damit den entscheidenen Unterschied zwischen Leben oder Tod zu machen. Ich biss die Zähne zusammen und sah die Gesichter meiner Kameraden vor mir: Jens, Bastian und Auruo zählten auf mich. Eren brauchte jede Unterstützung, um seine Aufgabe erfüllen zu können, und seine Freunde jeden Beistand, ihm diese zu bieten. Und Levi - was brauchte er? Er hatte weder Hilfe im Kampf noch Schutz nötig. Brauchte er einen Rat, so fragte er Erwin nach seiner Einschätzung. Also was war es, was ich ihm in der Schlacht bieten konnte? Ich erinnerte mich an unser erstes Zusammentreffen mit Kenny und seinem Trupp. Damals wollte ich mit meinen Leuten der Speer des Elitetrupps sein. Feinde auf Distanz halten und auslöschen waren meine Ziele gewesen. Doch mittlerweile stand ich doch immer mehr an Levis Seite, statt vorauszurennen. Er veränderte mein Handeln und meine Denkweise. Er veränderte mein Verhalten als Soldatin. Ich blickte kurz auf meinen Dolch, bevor ich ihn lächelnd zurücksteckte. Vielleicht passten diese Klingen sogar noch besser zu uns, als ich es mir erhofft hatte. Vielleicht war ich inzwischen seine Gefährtin geworden. Eine Waffe, die man ungern ablag und auf die man sich im Zweifel immer verließ. Der Dolch, den man durch lange Übung zum Schutz und zum Angriff nutzte und dennoch immer wieder überrascht war, zu was er fähig war. Ich schmunzelte. Meine Gedanken konnten in letzter Zeit unglaublich verwirrend sein. Mit einem Tritt spornte ich Wolke an. Es war an der Zeit mit meinem Trupp zurück nach Mitras zu kehren.  


Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now