104. Sorgen und Zweifel

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Levi verzog keine Mimik als ich vor ihm stand und ihm ein Stück Schokolade hinhielt. Er sah es nur an und wandet sich dann ab.
„Was ist das?" fragte er mit einem genervten Unterton.
„Schokolade, Levi. Probiere doch mal!"
„Ich verzichte." Der Gefreite blickte kurz auf und offenbarte mir dabei seine Augenringe, die tief gelegen, Schatten in sein Gesicht zeichneten. Über ihn musste sich eine unglaublich große Müdigkeit ablegt haben. Eine Müdigkeit, die er niemals nennen würde.
„Was ist los, Levi?" fragte ich nun eindringlich. Ich brach ein Stück der Schokolade ab und steckte es mir in den Mund, während ich auf eine Antwort wartete. Nein – ich würde ihn diesmal nicht einfach davonkommen lassen. Ich würde alles tun, um zu erfahren, warum sein Blick so finster und seine Laune so mies war.

Levi seufzte. Er sah an mir vorbei – sah zum Meer und wartete ab, bis er sich doch entschloss zu fragen:
„Wirst du mit ihnen gehen?"
Mein Atem stockte. Warum sagte er das? Fast schon energisch packte ich an meine Fingerglieder und rieb daran. Meine Lippen pressten sich zusammen, so als wollte ich – nein, konnte ich nicht sprechen.
„Levi..." drückte ich durch sie hindurch - nicht mehr. Und ließ meinen Kopf sinken.
„Scheiße,..." Seine Hand glitt durch sein Haar. Es schimmerte mir entgegen, um nach mir zu rufen und mich auffordern, es zu ergreifen. Doch ich versuchte zu widerstehen – es fast schon zu ignorieren - obwohl es genau das war, was ich mir wünschte: Ihn zu berühren.
„Du glaubst, dass ich mit ihnen abhaue?" fragte ich etwas unsicher. Doch seine Augen blieben starr. „Ehrlich?"
„Nach deinem Verhalten gestern..."
„Was? Das mit Lina? Ich wollte nur mit ihr reden!"
„Und wenn sie dich nach uns fragt, schweigst du..." seufzte Levi nun. Er senkte seinen Blick. Sein Haar fiel in sein Gesicht und umspielte seine Mimik. Ich schluckte schwerfällig. War es das, was er wirklich dachte? Hatte er so große Angst davor? Unsicher fummelte ich am Nagel meines kleinen Fingers. Nein – die Frage war nicht, ob er Angst davor hatte, denn das wusste ich bereits seit einiger Zeit. Es war viel wichtiger, ob er diese Sorgen überwinden konnte, indem er mir vertraute und anscheint waren wir immer noch nicht an diesem Punkt angekommen. Ich seufzte.
„Mir war es nur unangenehm, weil Lina meinte, dass ich gleich den ersten Typen, den ich gesehen habe... Ach verdammt... Manchmal frage ich mich selbst, warum ich mich so schnell zu dir hingezogen gefühlt habe und habe dann ein schlechtes Gewissen... Ich verstehe mich selbst nicht...Ich verstehe den Grund nicht..."
Levis Augen weiteten sich. Die Maske – sie bröckelte. Langsam zog er seine Jacke aus und lag sie auf einen der Felsen, um daraufhin die Ärmel seines Hemdes feinst säuberlich hochzukrempeln. Er atmete tief ein und sagte es – fast schon vorsichtig:

„Dein willensstarker Blick... das war bei mir. Eine Verrückte, die nicht weiß, wie sie einen Titanen bekämpfen muss – wahrscheinlich niemals zuvor einen gesehen hat – und sie sieht ihn an, als würde sie ihn bereits damit zerstückeln... Du schaust immer so, wenn du kämpfst oder etwas unbedingt willst... Reicht dir das, damit du dich nicht mehr für bescheuert hältst?"

Mein Mund stand leicht offen. Ich starrte Levi an und schwieg. Dieser Druck, der sich plötzlich in mir aufbaute – ich konnte ihn nicht in Worte fassen. Er umhüllte mich einfach und ließ Tränen in mir aufsteigen, obwohl ich mich nicht traurig fühlte. War es Rührung, was ich da spürte oder war es nur die reine Überforderung durch seine Äußerung?

„Jetzt fang nicht gleich an zu flennen!" zischte Levi. Ich spürte seine Hand auf meinen Kopf. Diese warme Hand, die ich überall fühlen wollte. Die mich trösten sollte – sie und sein gesamter Körper. Sein gesamtes Sein.
„Du hast sowas noch nie gesagt..." stotterte ich heraus und wischte mir eilig die Tränen weg. Levi seufzte und hielt mir ein Taschentuch hin.
„Ich bin nicht der Typ, der darüber viel redet, -dN-."
„Ich weiß...Aber..." Ich umarmte ihn einfach. Levi zuckte kurz zusammen. Doch dann spürte ich seine Hand an meinen Rücken und wusste, dass er es grade genauso sehr brauchte wie ich. Denn am Ende hatten wir keine Zeit für Streitigkeiten. Wir hatten keinen Moment für Bedenken. Wir mussten funktionieren und zwar jetzt. Die nächsten Wochen – vielleicht sogar Monate – würden uns einiges abverlangen und die gemeinsame Zeit damit immer kostbarer machen. Diese Zeit, die wir genießen mussten und am Ende nur für uns selbst nutzen wollten, um uns zu erholen, zu entspannen und vielleicht auch einander zu vergewissern.
„Wie kann ich dir endlich beweisen, dass ich bleibe, Levi?" fragte ich nun, nachdem ich die Umarmung löste.
„Vergiss es einfach..." Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, irgendwann werde ich dich schon geknackt haben!"
„Was?"
„Dich geknackt haben. Das sagen wir so in meiner Heimat. Manche Menschen muss man wie Nüsse knacken..."
„Scheiße, du bist selbst so eine komische Nuss..." seufzte er. Ich kicherte. Es war die letzte Träne, die ich hinfort lachte. Die letzte Träne, die ich an jenem Tag vergießen wollte. Auch wenn viele weitere früher oder später folgen würden. Er würde derjenige sein, der sie trocknen würde. Der mir Trost und Kraft geben würde. Er und Kuchel – diese zwei Menschen, die ich niemals hinter mich lassen könnte. 

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt