112. Dinge dieser Welt

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Kenny und Rico betraten den Raum, als ich mit Levi bereits einige Kisten öffnete, um den Inhalt zu prüfen.
„Wir müssen einiges leeren und dann selbst zusammenstellen. Mehrere Kisten mit Gewehren bringen uns nichts..." äußerte ich, während ich bereits die Waffen mit den Händen herausschaufelte.
„Ganz schön mühselig." bemerkte Rico, die sich dazu entschloss, mir zu helfen. Auch Onyankopon kam nun zu uns. Er begutachtete einige der Jutesäcke und schwang einen dieser auf seinen Rücken.
„Beeilt euch!" forderte er und ging vor.

Ich wühlte in den Kisten, versuchte irgendwie das herauszusuchen, was für mich lohnenswert erschien und schickte Kenny oder Levi damit los. Recht moderne Schusswaffen, die passende Munition und Granaten – die Mischung musste stimmen.

„Mehr bekommen wir nicht mit..." warf Levi ein, als er von einem seiner Botengänge zurückkam. Ich sah genervt auf.
„Verdammt..." seufzte ich. Levi legte seine Hand auf meinen Kopf und sah mich konzentriert an.
„Wir sollten verschwinden!" äußerte er nur. Ich atmete tief durch, fasste an seine Brust und strich über seinen Pullover entlang. Überall waren diese feuchten Stellen, die nun abgekühlt wie Schlamm wirkten. Teilweise klebten sie an seiner Haut, so wie die Erkenntnis, die mit ihnen einherging.

Dieses Wissen darüber, dass wir genauso brutal und kalt vorgingen wie der Feind. Dass wir nicht besser als Marley waren, da an unsere Hände genauso viel Blut klebte wie an ihren. Ich seufzte bei dem Gedanken daran, stimmte ihm jedoch zu.

Mit ein paar Kleinigkeiten bepackt folgte ich Levi zum Boot. Es war Onyankopon, der mir meinen Sack abnahm und dabei gleichzeitig Streichhölzer in die Hand drückte.

„Bereitet alles vor! Ich zünde noch schnell einige Bereiche an..." rief ich der Gruppe zu, während ich mich schon auf den Weg machte. Meine flinken Schritte raschelten im Gras. Ich rannte, so schnell ich konnte und trotzdem – Levi hatte mich nach kurzer Zeit bereits eingeholt, um mich zu begleiten.

Am Gebäude angekommen, zündete ich das erste Hölzchen und blickte innehaltend in die Flamme, um dabei konzentriert in die Ferne zu lauschen. Von irgendwoher war ein Brummen zu vernehmen. Meine Augen weiteten sich. Das konnte nur eins bedeuten: Jemand war unterwegs zu uns.

„Schnell, Levi!" schrie ich schon fast und drückte ihm das Streichholz in die Hand. Er sah mich skeptisch an, fragte aber nicht weiter nach.
So wie immer tat er einfach das, was ich verlangte. Er lief los und warf das Feuer an einem Ende des Gebäudes, während ich es ihm an einer anderen Stelle gleichtat. Hier und da legten wir Feuer, um sicherzugehen, dass das gesamte Lager in die Luft gehen würde und machten uns daraufhin auf den Weg zurück zu unserem Trupp.

Obwohl unsere Schritte durch die Nacht hallten, konnte ich es deutlich erkennen: Das Brummen vermischte sich bereits mit Stimmen. Es war bereits nah - viel näher, als ich befürchtet hatte. Auf der Anhöhe angekommen, blickte ich dem Geräusch entgegen und entdeckte zwei Automobile.

„Verdammt, sie sind da!" meinte ich zu Levi. Er blieb stehen und starrte die Fahrzeuge an.
„Was ist das?" fragte er.
Sein Blick wirkte plötzlich kindlich. In meiner Brust kribbelte es. Schon immer wollte ich ihm die Erfindungen dieser Welt zeigen. Schon immer diese Dinge mit ihm beobachten und ihm erklären. Doch nun blieb keine Zeit.

„Das sind die Autos, von denen ich dir erzählt habe." rief ich, während ich seine Hand ergriff. Ich zog ihn kurz hinter mir her, holte ihn aus dem Staunen zurück und ließ dann wieder von ihm ab.
Ein lauter Knall brachte die Erde zum Erbeben. Nach der ersten Explosion folgten weitere. Sie lenkten unsere Feinde ab und verschafften uns ein Zeitfenster.

Unsere Mission war ein Erfolg:
Levi und ich erreichten das Boot. Wir flohen gemeinsam mit unserem Team. Doch statt seiner Heimat entgegenzuschauen, blieb sein Blick am Horizont hängen – weit in der Ferne. Die Sehnsucht, die in seinen Augen nach der Freiheit rief, brannte. Sie war seither größer.

In jener Nacht hatte Levi nur ein wenig von der Ferne gekostet und dabei einen kleinen Teil der Welt entdeckt. Er hatte davon genascht, sich daran beinah verschluckt, nur um bereits nach mehr zu verlangen. Diese Erinnerung – sie würde wie Honig auf seinen Lippen kleben und ihn immer wieder daran erinnern, wie schmackhaft diese Weite war. Ich presste meinen Mund zusammen, als er nach einiger Zeit zu mir sah. Meine Hand glitt über seine Schulter.

Wir schwiegen gemeinsam, blickten dem Horizont entgegen, nur um den ersten Lichteinfall zu entdecken. Die Sonne ging auf. Sie tauchte das Meer in ein leuchtendes Orange ein. Wie ein Feuer, welches plötzlich entfachte, begann die See zu leuchten. Es kribbelte in meinen Händen. Dieser Anblick – er wärmte mich von innen, so als würde dieses Licht in meinen Körper eindringen und ein Teil von mir werden. Mein Blick wanderte zu Levi. Auch er starrte noch immer dem Sonnenaufgang entgegen. Eingetaucht in den Farben des Lichtes wirke er unnahbar und dennoch wusste ich ihn an meiner Seite.

Meine Hand fand die seine. Unser Schweigen wurde von dem Schreien der Möwen gebrochen. Ich lauschte ihnen bis das Meer begann sich vor uns aufzutürmen und mein Staunen mich taub werden ließ.

Ein riesiger Körper erhob sich aus dem Wasser. Seine Haut war grau. Das Licht tanzte auf ihr. Wie kleine Perlen schimmerten die Wassertropfen, die es in die Luft hinaufwirbelte. Ich spürte wie Levi meine Hand fest zusammendrückte und sah zu ihm. Der Wal spiegelte sich in seinen Augen. Wie ein Lichtwesen tauchte er in ihnen ein und verschwand dabei, als seien sie ein Tor zu einer anderen Welt.

Ein lauter Knall folgte. Die See wich dem Tier. Ich sah hinauf, sah den Tropfen, die auf uns herabrieselte, entgegen. Erwartungsvoll streckte ich meinen Kopf ein wenig höher und genoss diese Kälte, die meine Wangen kühlte und mein klebendes Haar ein wenig vom Blut befreite.

„Das war dieses Tier, was so groß wie ein Titan ist, oder?" riss mich Levi aus meinen Gedanken. Er starrte dem Wesen nach, welches sich zurück auf den Weg in die Tiefe des Meeres machte. Ich nickte.
„Ja, ein Wal... Ich habe noch nie einen gesehen..." stotterte ich und sah zu seiner Hand, die mich noch immer krampfhaft festhielt. „Ich laufe schon nicht weg."
„Das weiß man bei dir nie..." seufzte er, während er den Griff etwas lockerte. Ich lächelte, als ich bemerkte, dass er sie nicht loslassen würde. Nicht jetzt und auch nicht bald. Denn er wollte noch mehr von diesen Dingen gemeinsam mit mir entdecken. Irgendwann, wenn dieser Krieg vorbei war und das Später uns erreichen würde.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now