102. Eine frühere Freundin

227 13 0
                                    

Eine sehr große, blonde Frau lächelte mir entgegen.
„In Ordnung. Leute, legt alles ab, was als Waffe gelten kann! Wir sind hier um Paradies zu unterstützen!"
„Wie wäre es dann mit einer Erklärung, woher ihr stammt!" zischte Levi.
„Nun, was bringt das? Ihr kennt doch eh nicht mehr als diese Insel..."
Levi seufzte hörbar genervt.
„Das Gelaber kannst du gleich vergessen! Wir wissen einiges." Sein Blick wanderte zu mir. Ich grinste ihn an. „Zwei Leute – mehr betreten unser Land zunächst nicht! Der Rest kann auf dem Schiff warten! Mikasa, Jean und Eren, überwacht das Schiff! Ihr habt meine Erlaubnis, wenn nötig, anzugreifen!" erklärte Levi. Ich blickte währenddessen die Fremden an und prüfte, ob jemand den Anschein machte, sich als feindlich zu entpuppen. Doch mein Gefühl sagte mir, dass diese Frauen und Männer nicht zur Eroberung unserer Insel hier waren. Sie wollten etwas anderes.

„Ich und Onyankopon werden euch begleiten." erklärte die große Frau.
„Gut. Sasha und Armin, begleitet die Beiden ins Gasthaus. Ich werde die Kommandantin dazuholen." sagte Levi nun. Er sah zu mir. Wahrscheinlich erkannte er es: Ich war enttäuscht. Natürlich wollte ich Lina sofort von diesem Steg zerren und ausfragen. Ich war neugierig und brannte förmlich darauf, zu hören, wie es meiner Heimat erging. Levi seufzte. „Nimm sie mit und rede mit ihr!" meinte er nur und klopfte mir auf die Schulter. Ich nickte.
„In Ordnung... Lina, komm! Ich möchte dir einige Fragen stellen!"


Ich führte Lina in einen kleinen Aufenthaltsraum der Kaserne und schloss hinter uns die Tür. Ein paar Bücherregale, einige Sessel und ein Tisch in der Mitte mit ein paar Stühlen luden zum Lesen oder gemeinsam Trinken ein. Es war ein schönes Ambiente, welches ich selbst bisher nur selten genutzt hatte. Viel zu oft verkroch ich mich mit Levi in unserem Zimmer und suchte dort die Zweisamkeit.

Lina ging zum Fenster und sah kurz heraus. Der Blick aufs Meer zeichnete ein Lächeln in ihr Gesicht.
„Stört es dich, wenn ich eine rauche?" fragte sie. Ich schüttelte den Kopf.
„Tue dir keinen Zwang an." Eilig ging ich zu ihr und öffnete die Fenster, um mich dann in die Fensterbank zu setzen. Sie tat es mir gleich und blickte zu mir herüber, während sie sich die Zigarillo anzündete.
„Willst du auch eine?" Ich schnupperte kurz. Es duftete fast schon süßlich.
„Wahrscheinlich Vanille mit irgendetwas anderem..." dachte ich und erwischte mich dabei, wie ich Mike plötzlich in meinen Gedanken vor mir sah. Er hätte mit Sicherheit sagen können, was genau in dieser schmalen Zigarre enthalten war.
„Gern..." meinte ich und griff in die Packung. Ich nahm die Zigarillo vorsichtig in den Mund und ließ mir von der Schwarzhaarigen Feuer geben. Ihre Hand zitterte dabei. Sie war genauso nervös wie ich. „Danke." flüsterte ich schon fast. Eilig sog ich den Rauch in mir hinein – inhalierte ihn abrupt und spürte die Wärme in meiner Lunge. Ein entspannendes Gefühl griff nach mir und schaukelte meine Ängstlichkeit davon. Ich blickte zu meiner früheren Freundin. Auch sie hing an ihrem Stummel und rauchte mit voller Hingabe, bis sie sich bereit fühlte.

Ihr Blick wanderte zu mir herüber. Diese grünen Augen – sie starrten mich an und versuchten mir etwas zu verraten, was sie nicht zu sagen vermochte. Ich schluckte schwerfällig und zog ein weiteres Mal an der Zigarillo, um den Rauch mit meiner Frage hinausgleiten zu lassen:
„Und? Wie ist es dir ergangen?"
Linas Augen weiteten sich.
„Na ja..." seufzte sie und sah kurz an die Decke. „Ich war sehr lange in der Heimat - habe dort Bericht über die Lage hier auf Paradies erstattet und bin dann wieder nach Marley. Dort habe ich mich der Anti-Marley-Bewegung angeschlossen. Natürlich auf Wunsch unserer Regierung."
„Natürlich." stöhnte ich und erinnerte mich an Linas Verhalten von damals. Sie schien sich immer noch an den Staat gebunden zu fühlen – so wie ein kleines Mädchen, was immer nur das tat, was ihre Eltern von ihr verlangten.

Lina lächelte ein wenig und fummelte an ihrer Hand. Es war ein Ring, den sie drehte und betrachtete.
„Ich habe zudem geheiratet, -dN-." Sie strahlte plötzlich. Unsicher sah ich meine frühere Freundin an und musterte ihre Körpersprache, bis ich selbst erkannte, dass es sie wirklich glücklich machte.
„Und wer ist es geworden?" fragte ich fast schon neugierig.
„Oh, Till Hawk... Vielleicht hast du schon mal von ihm gehört? Seine Familie besitzt mehrere Fabriken für Waffen und Munition... Sie sind recht bekannt..." Ich schüttelte den Kopf.
„Nie gehört, aber ich hoffe für dich, dass es keine strategische Hochzeit war." Lina schüttelte den Kopf. Ihr Haar wirbelte ein wenig herum. Es wirkte beinah niedlich, wie sie errötete und vorsichtig zu mir herübersah.
„Nein, war es nicht."
„Dann Glückwunsch." äußerte ich.
„Was ist..."

Ein Klopfen unterbrach unser Gespräch. Es war Carolin, die zurückhaltend durch den Türspalt sah und dann erleichtert eintrat.
„Entschuldigt die Störung, Truppenführerin -dN-! Könnte ich Kuchel nun eben bei euch lassen? Ich müsste noch etwas mit dem Lagermeister besprechen." meinte sie leise.
„Alles in Ordnung. Lasst sie ruhig hier." antwortete ich und beobachtete das Kindermädchen dabei, wie sie Kuchel sachte in das Zimmer schob.
Die Kleine sah ein wenig griesgrämig aus, grinste jedoch, als sie mich am Fenster entdeckte. Geschwind rannte sie mit ihren kurzen Beinchen zu mir herüber. Dieser Anblick brachte mich immer wieder zum Lachen.

„Mama, Blume!" rief sie mir entgegen und hielt dabei ein winziges Pflänzchen in ihrer Hand. Es war ein Gänseblümchen. Ein einzelnes, feines Blümchen, was mir entgegenstrahlte, so wie sie selbst es in diesem Moment tat. Ganz vorsichtig nahm ich es aus Kuchels Hand und streichelte ihr über den Kopf.
„Dein Kind?" fragte Lina nun. Sie zog ein letztes Mal an den kaum vorhandenen Stummel und warf den Rest aus dem Fenster, während sie den Rauch hinausbliess. Ich nickte.
„Ja, meine Tochter."
„Ach was... das ging aber schnell..." schnauzte sie schon fast.
„Es ist einfach passiert." Ich grinste der Frau entgegen. Ich sah mich weder in der Pflicht eine Erklärung noch eine Entschuldigung für dieses kleine Wesen zu liefern. Um ehrlich zu sein, war dieser Unterton meiner früheren Kameradin für mich nicht angebracht, doch auch keiner Diskussion würdig. Kuchel war einfach da und bereicherte irgendwie mein Leben, auch wenn sie es teilweise auch zu einer Herausforderung anwachsen ließ. Ich stand zu diesem Kind und ich liebte es. Das war alles, was zählte.

„Und wer ist der Vater?" fragte Lina nun, nachdem sie merkte, dass ich von selbst wenig erzählte.
„Rate doch mal!" Ich lachte auf.
„Du bist immer noch so kindisch? Das ist echt peinlich, -dN-!"
„Ich ziehe nur gerne Leute auf. Mehr nicht."
Ein Stöhnen entglitt der Schwarzhaarigen. Sie sah zu Kuchel und streckte ihre Hand aus. Das Mädchen zögerte und blickte zunächst skeptisch zu der Fremden, bis sie doch Vertrauen fasste. Langsam ging sie zu Lina und lächelte.
„Blume?"
Kuchel zeigte zu mir.
„Willst du sie wieder haben, Kuchel?" fragte ich. Doch die Kleine schüttelte energisch den Kopf und zeigte dann auf Lina. „Blume haben!" befahl sie.
„Ach so." Ich reichte meiner früheren Freundin das Gänseblümchen. Etwas verwirrt sah diese zu mir und nahm es dann an sich.
„Ähm, danke..."

Die Tür ging auf. Hanji und Levi traten ein. Sie schienen in einem Gespräch vertieft zu sein, doch ein Handzeichen des Gefreiten, welches er abrupt gab, als er uns am Fenster entdeckte, genügte, um Stille einkehren zu lassen.
„Seit wann qualmst du?" fragte er sofort. Sein Blick war scharf. Es brauchte nicht mehr als diese Frage, um mir zu zeigen, dass er davon nichts hielt. Als er Kuchel daraufhin entdeckte, wurde sein Ausdruck noch düsterer. Ich schluckte schwerfällig, während Lina verdutzt zu ihm herübersah. „Kuchel, komm her!" zischte Levi nur. Die Kleine rannte zu ihm. Von dem Ton ihres Vaters eingeschüchtert, freute sie sich nicht wirklich über das Wiedersehen, doch wie ich spürte sie, dass Levi nicht grade bei bester Laune war.

Hanji grinste uns an.
„Ach Lina, auch wieder hier?" Lina nickte.
„Ja, wohl oder übel. Truppenführerin Hanji."
„Kommandantin Hanji." verbesserte Levi die Schwarzhaarige, während er Kuchel prüfte.
„Kommandantin? Was ist mit Smith?" Lina sah in unsere Gesichter. Keiner von uns sagte etwas und dennoch war es der Frau Antwort genug. „Es tut mir leid..." flüsterte sie schon fast und sah zum Boden.
„Dann müsste es dir für Hunderte leidtun..." meinte Levi. Er hob Kuchel hoch und wuschelte ihr durchs Haar. Meine Landsfrau beobachtete ihn und sah dann ein wenig unsicher zu mir.

„Der Hauptgefreite? Echt? Einfach der Erste, den wir hier getroffen haben?" stotterte sie. Während Hanji laut zu lachen begann und Levis genervt zu der Schwarzhaarigen sah, spürte ich, wie meine Wangen erröteten. Die gesamte Stimmung war mehr als unangenehm. Obwohl ich schon so vielen von dieser Beziehung erzählt hatte, war es besonders gegenüber dieser einen Person etwas anderes. Immerhin kannte sie mich wahrscheinlich so gut wie mein Partner und wusste das ein oder andere aus meiner Vergangenheit, was selbst ihm verwehrt blieb. Lina war meine beste Freundin gewesen und eigentlich waren wir uns so nahe wie Schwestern – ihre Meinung und ihre Gedanken waren mir immer mehr als nur wichtig. Sie waren essentiell für mich gewesen, bis sich unsere Wege getrennt hatten. Ein wenig dieses Gefühls war geblieben – das musste ich mir selbst eingestehen. Ich presste meine Lippen zusammen. Ihre indirekte Kritik schmerzte mich irgendwie, wobei ich sie nicht abstreiten konnte, hatte ich mir doch selbst hin und wieder genau diese Frage gestellt: Warum er? Warum der Mann, den ich als erstes auf dieser Insel erblickt hatte?

„Bist du jetzt etwa sprachlos?" zischte Levi. Er stand plötzlich mit Kuchel auf dem Arm vor mir und sah wütend zu mir herunter. Eilig drückte ich meine Zigarillo aus.
„Entschuldige..." meinte ich, während ich an meinem kleinen Finger rieb. Irgendwie schien er anders, doch ich konnte kaum sagen, was es war. Er hatte seine emotionslose Maske aufgesetzt. Diese Maske, die ich ihm immer wieder zu entreißen versuchte und trotzdem – hin und wieder war sie zurück und nahm mir den Mann, den ich so gern lachen sah.

„Levi, was...?"
„Es ist spät. Ich bringe Kuchel ins Bett und komme dann zur Besprechung nach." meinte er und kehrte mir den Rücken zu. Ich sah ihm nach. Unsicher, verdutzt und irgendwie ängstlich. 

Grenzen vergessen Levi x ReaderDonde viven las historias. Descúbrelo ahora