10. Prunk und Leid

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Mitras war eine Stadt voller Prunk und Reichtum. Jedes Gebäude und jeder Pflasterstein schien vollkommen zu sein - weder Risse noch Dreck waren irgendwo erkennbar. "Die Stadt der Elite womöglich" ,dachte ich mir, als die Kutsche zum Stehen kam und ich mit einem Nicken von Levi dazu aufgefordert wurde, aufzustehen.
"Wir haben noch etwas Zeit. Der Prozess beginnt in drei Stunden. Du kannst dich etwas umschauen. Sei jedoch pünktlich wieder hier! Erwin will dich beim Prozess dabei haben." erklärte Levi.
"Jawohl." sagte ich und sah zu dem Kommandanten, der als nächstes ausstieg. Unsere Blicke trafen sich. Mir wurde beim Anblick dieser Augen kalt. Ich drehte mich weg und ging willkürlich in eine beliebige Richtung, um Abstand zur Kutsche zu gewinnen. "Drei Stunden....." dachte ich und sah mich um. Vielleicht wäre nun der richtige Zeitpunkt, mir die Unterwelt anzuschauen. Ich ging durch die Straßen der Stadt und suchte nach einem Anhaltspunkt. In einer Gasse hockend entdeckte ich zwei Soldaten. Sie schienen bereits jetzt stark betrunken zu sein. Eine bessere Alternative würde sich sicherlich nicht so schnell bieten.
"Hey.... Könnt ihr mir vielleicht weiterhelfen?" fragte ich die Beiden überfreundlich. Ich strich mir durchs Haar und kam auf den größeren Typen der Zwei zu. Dieser grinste.
"Was gibt es denn, Süße?" Er hatte bereits angebissen. Alkohol war eben doch der beste Freund der Betrüger und Schwindler.
"Ich suche einen Weg in die Unterwelt. Man hat mir etwas gestohlen und ich will es unbedingt zurückholen." erklärte ich und sah den Soldaten mitleidserregend an.
"Ohha, die Unterwelt? Mädel, das solltest du ganz schnell vergessen!" ,mischte sich nun der andere Mann ein. Er war etwas älter als sein Kamerad, hatte bereits ein wenig lichtes Haar und schien wenig Interesse an mir zu haben. Seufzend setzte er die Flasche an und trank einen großen Schluck Weinbrand.
"Aber es ist mir so wichtig" sagte ich zu meinem auserkorenen Opfer. Es reichte, wenn er mir half. "Kannst du mir nicht wenigstens den Weg zeigen? Das würde mir unglaublich helfen." Ich fasste ihn am Arm und drückte mich gegen ihn. Mein Blick starr auf seine Augen fixiert erkannte ich es. Er würde es tun.
"Oh, okay. Ich kann dir den Eingang zeigen." Ich bedankte mich und schob ihn voran. Den älteren Soldaten, welcher nun seine Meinung aufgeregt mitteilte, ignorierten wir. Unsicher aber dennoch zielstrebig führte mich der Fremde durch die Stadt. An einer Art Unterführung zeigte er mir einen Eingang. "Da muss man hinunter!" Ich blickte erstaunt zu der Treppe, welche von mehreren Soldaten bewacht wurde. Hier sollte niemand unbefugt hinaufkommen, so viel stand fest.
"Vielen Dank." sagte ich und ging los. Nach einigen Diskussionen konnte ich auch die Wachen des Eingangs davon überzeugen, mich durchzulassen. Das angebliche Amulett meiner Mutter, was von bösen Dieben gestohlen wurde, war wohl ein überzeugendes Argument. Ich ging die Treppe hinunter. Ein leichter Wind wehte mir entgegen. Er war kalt und feucht, so wie ich es aus Höhlen kannte. Langsam begann ich den Geruch von Modrigem wahrzunehmen. Ich sah ein Licht am Ende der Treppe. Da musste es sein. Ich beschleunigte meinen Schritt und sah voller Neugierde um die Ecke. Mir offenbarte sich das genaue Gegenteil von Mitras: Eine Stadt, welche aus Ruinen und alten Schuppen bestand, gebaut in einer Höhle, um Menschen aufzubewahren. Hier war kein Prunk und Reichtum zu sehen. Hier gab es nur Leid, Trauer und Hass. Ich ging die Straße hinunter. Immer wieder sah ich kranke Menschen, die in Gassen lagen. Teilweise trugen sie schlammige Gewänder oder zerrissene Hosen. "Hier leben die Vergessenen." dachte ich mir und kam auf eine Art Marktplatz. Einige Händler, welche zumindest vernünftig gekleidet waren, verkaufen etwas Brot und Gemüse. Sie schienen die Ware von Oberhalb zu beziehen. Etwas zupfte an meinem Cape.
"Habt ihr etwas zu essen?" fragte mich ein kleines Mädchen. Sie hatte fettiges, rotes Haar und war sehr dürr. Ich sah sie bestürzt an.
"Hier, nehmt dies." Vorsichtig drückte ich ihr eine Silbermünze in die Hand. Sie nahm sie, schaute mich kurz an und rannte dann die Straße hinunter. Einige Blicke folgten ihr. An diesem Ort war das Leben ein ganz anderes. Hier ging es ums Überleben. Jeder, der etwas hatte, konnte im nächsten Moment das Opfer eines Überfalls werden. Jeder der leben wollte, musste sich durchsetzen - egal wie. Wie sollte an einem solchen Ort ein Kind erwachsen werden können? Wie konnten die Menschen in Mitras dieses Leid der Kranken und Schwachen ignorieren? Warum tat niemand etwas dagegen? Wutentbrannt ging ich zurück zur Treppe und machte mich auf den Weg zum Treffpunkt. Dieses Leid würde ich nicht so einfach vergessen.

Immer noch gereizt entdeckte ich Hanji und Levi vor dem großen Gebäude. Es war das Gericht Mitras, welches heute über Eren entscheiden sollte. Ich stellte mich zu ihnen und verschränkte meine Arme, wobei ich mit meinen Händen mich fest zu umklammern versuchte.
"Was ist los?" fragte Levi und sah mich fragend an. Meine Laune war mir wohl ins Gesicht geschrieben.
"Nichts Wichtiges." sagte ich abblockend. Auch Hanji schaute mich etwas verwirrt an. Doch bevor sie etwas äußern konnte, öffnete sich die Tür des Gerichts. Erwin stand bereits in der Eingangshalle und wartete auf uns. Gemeinsam mit ihm betraten wir den Gerichtssaal, in welchem der Titanenwandler bereits festgebunden vor dem Pult des Richters platziert war. Ich folgte den anderen auf die linke Seite des Saales und stellte mich zwischen Levi und Hanji.
"Das ist Darius Zackly. Er ist unser General." flüsterte mir Hanji ins Ohr. Ich sah hinüber zu dem alten Mann, der nun am Pult Platz nahm.
"Ruhe im Saal." rief er und der Saal verstummte. "Gut. Wir sind heute hier, um über das Schicksal dieses Jungen, Eren Jäger, zu entscheiden. Da es sich hier um eine militärische Angelegenheit handelt, wird auch das Militärrecht angewendet. Somit ist auch die Todesstrafe eine Option, die in diesem Verfahren gewählt werden kann. Ich möchte nun die Kommandanten der Militärpolizei sowie des Aufklärungstrupps um Stellungnahme bitten!"
Nile Dawk, welcher die Militärpolizei anführte, ergriff das Wort. Er nannte die Gefahren, welche von Eren ausgingen und schlug die Erforschung seines Körpers sowie die Hinrichtung des Jungen vor. Eine verständliche Meinung - betrachtete man die Ahnungslosigkeit dieser Menschen. Dann erläuterte Smith seinen Plan: Die Eroberung der Mauer Maria und den Kampf gegen die Titanen. Er nannte die Chancen, die Eren für uns darstellen konnte. Ohne meine Informationen einfließen zu lassen, versuchte er immer wieder darauf zu drängen, dass dieser Titanenwandler als eine Art Waffe zu sehen sei. Es war ein überzeugendes Statement.
Zackley nickte kurz und wandte sich nun an Eren. Er fragte ihn, ob er bereit wäre, für den Aufklärungstrupp zu kämpfen und dieser bejahte es. Trotzdem blickte der General unsicher um sich und überlegte. Die Informationen waren vorhanden, doch die Entscheidung noch nicht getroffen. Im Saal begann eine Unruhe - einige flüsterten, andere räusperten sich nervös. Plötzlich ging Levi in die Saalmitte. Ich sah erschrocken zu Erwin, doch dieser reagierte nicht. Levi trat den Angeklagten. Einmal, zweimal und auch ein drittes Mal - Erens Gesicht schwoll an. Einige Wunden platzten auf. Er wehrte sich nicht. Dem Gefreiten schien dies egal. Er trat weiter zu und ich entspannte mich. Wenn er es für Richtig hielt, dann musste es einen Grund geben. Vertrauen - das war nun wohl das Einzige, was ich tun konnte. Ich sah an ihm herunter - seine Sihouette war so unglaublich schmal. Jeder Tritt, den er platzierte war präzise gesetzt. Die Bewegungen einstudiert. Wie oft hatte er mit diesem Körper schon Menschen so zugerichtet? Ich seufzte und dachte an das kleine Mädchen. Hatte er das auch durchmachen müssen?
"Dann wird Eren für den Aufklärungstrupp arbeiten. Aber er muss in der nächsten Mission seinen Wert beweisen." erklärte nun Zackly und riss mich damit aus meine Gedanken heraus.
Hanji sah mich staunend von der Seite an. "Aaah." gab sie von sich und tippte mir mit einem Finger in die Seite. Ich blickte sie erschrocken an. Sie grinste nun. Das war kein gutes Zeichen.
"Ähm ich war in Gedanken." faselte ich vor mir hin. "Das habe ich gesehen. Lass uns später drüber reden!" flüsterte sie mir ins Ohr und zwinkerte mir zu.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now