130. Ein Ende, aber nicht das Ende

139 9 2
                                    

Nachdem Lina gemeinsam mit Kuchel das Weite gesucht hatte, schritt ich eilig durch den Flur, um mit Hanji zu sprechen. Sie sollte zumindest erfahren, dass wir uns um die Kleine zunächst einmal keine Sorgen mehr machen mussten.
Doch vor Hanjis Zimmer entdeckte ich ihn: Levi. Er lehnte an der Wand, seine Arme wie so oft verschränkt und sah mich wütend an.

„Du hast es wirklich gewagt, sie mit Lina loszuschicken..." ,seufzte er, bevor er die Zähne zusammenbiss. Sein ganzer Körper schien angespannt. Er war immer noch wütend, vielleicht sogar noch erzürnter, nachdem ich unsere Tochter im Alleingang mit Lina gehen lassen hatte, doch ich versuchte es zu ignorieren.

„Ja, es ist das einzig Richtige..." ,warf ich nur ein. Eigentlich hatten wir das ganze Thema bereits ausdiskutiert. Eigentlich wollte ich einfach nicht mehr darüber reden. Nicht mit ihm darüber reden.
„Und was sollen wir jetzt machen?" ,fragte er. Levi verhielt sich überraschend ruhig, obwohl in ihm ein Sturm toben musste. Er konzentrierte sich auf einen Punkt auf dem Boden.

„Was heißt hier wir, Levi? Glaubst du echt, dass es das nach deinem Wutausbruch noch gibt? Glaubst du echt, ich lasse mich von dir gegen eine Wand schlagen und tue danach so, als seien wir noch ein Paar?"

Ich schrie ihn an. Schrie meinen ganzen Frust ihm entgegen. Levi sah auf. Seine Augen weiteten sich. Er starrte mich ungläubig an. Dieser Blick – er verriet mir, dass er mit allem, aber nicht damit gerechnet hatte. Er hatte doch wirklich geglaubt, dass ich ihm verzeihen würde.

„Scheiße..." Seine Hand fuhr durch sein Haar, welches widerspenstig in sein Gesicht zurückfiel. Ich sah es ihm an, schluckte schwerfällig, nur um es dann klarzustellen:
„Es ist vorbei, Levi... Ich lass mich nicht schlagen... oder sonst was..."

Dieser Satz – er ging mir nicht leicht von den Lippen. Im Gegenteil: Mein ganzer Körper zog sich zusammen, schmerzte von der Anspannung, während ich diese an meinen eigenen Händen ausließ, indem ich meinen Fingernagel in mein eigenes Fleisch drückte.

„Verdammt... -dN-... weißt du, was du da gerade..."

Die Tür ging auf. Hanji stand plötzlich mit uns im Flur. Sie sah verdutzt zwischen uns hin und her.
„Was ist denn hier los?" ,fragte sie nur.
„Das kannst du ihr erklären... Ich brauche frische Luft..." ,stotterte ich, während ich mich bereits umdrehte und losrannte.

Ja, ich rannte. Rannte, um diesen Gefühlen zu entkommen oder generell nur etwas von diesem Druck, der in mir tobte, loszuwerden. Meine Füße trugen mich durch den Flur, die Treppen hinunter und hinaus auf die Straße. Das Leben der Stadt – es war wie jeden Tag in vollem Gange. Nichts deutete darauf hin, dass am heutigen Tag etwas anders sein würde, doch für mich veränderte sich in diesem Moment die gesamte Welt schlagartig.

Alles war plötzlich vorbei. Meine Wünsche, meine Träume, meine Hoffnungen – sie alle waren fort. Die Zukunft, für die ich so lange gekämpft hatte, hatte sich in Luft aufgelöst. Ich starrte auf den Boden des Bürgersteiges, auf dem ich einfach entlangging und sah ihn vor mir: Levi. Die Momente, in denen ich ihn genossen hatte. Die Momente, in denen ich sein Lachen gesehen und die Augenblicke, in welchen wir uns ein gemeinsames Leben ausgemalt hatten. Sie alle waren vollkommen umsonst gewesen. Immer hatte ich gedacht, dass der einzige Abschied zwischen uns der des Todes sein konnte. Doch das Leben hatte mich eines anderen belehrt.


Die Schreie der Möwen ließen mich aufblicken. Ich stand am Meer. Mein Blick starr zum Horizont gerichtet, ließ ich den Wind meine Tränen hinfortwehen. Immer wieder schluckte ich schwerfällig, während ich mit zittrigen Händen mir eine Zigarillo ansteckte und den Rauch tief in mich einsog. Mir wurde schwindelig. Es war mein Herz, was nicht mehr wusste, was es tun sollte. Schlagen oder einfach aufhören – beides schien keine Option, doch innerlich musste ich mir eingestehen, dass dies nicht mein Ende war. Es war nur das Ende von uns.

Ich beobachtete, wie der aufsteigende Qualm vom Wind hinweggetragen wurde. Meine Gedanken kreisten um diesen Moment. Der Moment unseres Streites.

Gewiss - es schmerzte zu erkennen, was ich getan hatte. Es zerriss mich förmlich, meine eigenen Worte in Gedanken zu wiederholen, um hinzunehmen, wie ungebändigt ich gewesen war, auch wenn ich es nicht als Entschuldigung für sein Handeln sehen konnte. Mir war durchaus bewusst, dass ich ihn dazu getrieben hatte und wie verletzt er durch meine Aussage gewesen sein musste - mal wieder. Immerhin hatte Levi mir in den letzten Jahren nicht nur seinen Körper gegeben, sondern auch sein Herz und vielleicht sogar sein Geist geschenkt. Er hatte sich damit wie ich immer weiter geöffnet. Mir Einlass in seine Seele gewährt und damit sich unglaublich verletzlich gemacht. So sehr, dass er es wahrscheinlich jetzt in dieser Sekunde bereute.

Ein weiteres Mal sog ich an der Stange. Ein weiteres Mal versuchte ich den Rauch tief in mich einzulassen, damit die Wirkung des Nikotins sich vollständig entfalten konnte. Ich dachte an unsere Dolche. An die Symbole, die uns auf ihre Art und Weise gestärkt hatten, um die schweren Zeiten zu überstehen. Doch auch das war nun vorbei. Dieser Streit - er hatte ein Feuer zwischen uns gelegt. Und Levi hatte sie aus den Augen verloren: Diese eine Grenze. Ich hatte niemals gedacht, dass er mir dies antun könnte und dennoch war es geschehen.
Einfach so.
Im Eifer des Gefechts.

„Ähm... Endschuldigen Sie, Truppenführerin -dNN-"
Ich sah zurück. Armin stand plötzlich neben mir. Seine Augen wirkten ängstlich – fast schon verzweifelt.
„Wer hat dich denn hierhergeschickt?" ,rief ich aus.
„Einige von uns suchen Sie..." ,erklärte er und griff sich selbst an die Hand.
„Na, toll... Und was willst du?" Genervt ließ ich die Zigarillo auf den Boden fallen und trat sie aus.
„Nun ja... Truppenführerin... ihr werdet doch nicht etwa gehen?" ,fragte er. Es war eine Frage, mit der ich nicht gerechnet hatte. Mein Herz zuckte zusammen, verlor kurz seinen Takt, während es verzweifelt nach ihm suchte, um mich am Leben zu halten.

„Nein, Amin... Ich hoffe, ihr alle wisst das..." ,schnaubte ich schon fast. Mit meinen Armen umschlang ich meine Schultern, so als wollte ich mich selbst trösten. „Ich werde euch bis zum bitteren Ende unterstützen. Egal, was zwischen... Ach verdammt... Ich bleibe jedenfalls."

Ich drehte mich zu Armin um. Seine Augen waren immer noch auf mich gerichtet, doch seine Angst war fort. Er lächelte zurückhaltend, während er leicht zu mir heruntersah. Erst jetzt fiel mir auf, dass er mittlerweile größer als ich war.

„Und Armin. Ist Marley so, wie du dir es vorgestellt hast?" ,fragte ich ihn nun. Ich wollte um jeden Preis verhindern, dass er die Situation zwischen mir und Levi ansprach. Er zuckte ein wenig mit den Schultern.

„Es ist ähnlich wie ihr es beschrieben habt und trotzdem habe ich mir die Häuser und diese... diese Automobile anders vorgestellt..." ,erklärte er. Meine Finger strichen durch mein Haar, welches vom Wind immer wieder in mein Gesicht geweht wurde, wobei ich ein Stückchen auf ihn zu ging. Langsam legte ich meine Hand auf seine Schulter und drehte ihn in die gewünschte Richtung.
„Du hast hier sicherlich viel gelernt, was du mit nach Hause nehmen kannst" ,meinte ich, während ich ihn gezwungen anlächelte. „Komm, lass uns zurückgehen, bevor wir noch als vermisst gelten!"

Ich schob ihn vor, auch wenn mich jeder Schritt Überwindung kostete. Das Weglaufen war im Gegensatz dazu so unglaublich einfach gewesen, aber was sollte ich machen? Am Ende wollte ich weiterhin in diesem Trupp dienen und damit auch weiter an seiner Seite kämpfen – egal ob gemeinsam oder nur nebeneinander. Levi und ich waren immer noch Kameraden und daran würde sich niemals etwas ändern.

Niemals.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt