105. Ein erster gemeinsamer Plan

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So unauffällig wie nur möglich, mischten Levi und ich uns unter unsere Kameraden und Gäste. Unser Gespräch war zu Ende – die Situation geklärt, auch wenn ich genau wusste, dass wir es noch anderweitig verarbeiten würden. Die Nacht würde kommen und wir uns auf die Suche nach der Bestätigung am Körper des Anderen machen. Wir taten es mittlerweile immer, nachdem es zwischen uns gekriselt hatte. Es war eine Art Angewohnheit, die ich mehr als nur mochte. Immerhin verlor Levi sich dabei meist mehr als sonst – wahrscheinlich von seiner restlichen Wut beflügelt.

Langsam ging ich an einem Tisch vorbei, griff mir einiges an Obst und schritt dann weiter zu Kuchel, die mich mit ihrem Schokoladenmund anstrahlte.
„Mama!" rief sie herüber, während ich mich vor ihr hockte.
„Willst du Banane, Kuchel?" fragte ich und schälte dabei die gelbe Frucht. Sie duftete mir süßlich entgegen. „Mmmh..." gab ich von mir und biss selbst gierig ein Stück ab, um sie danach der Kleinen in den Mund zu schieben. Es schien ihr zu schmecken.

„Wenn du sie so weiter zustopfst, scheißt sie uns heute Nacht zu." äußerte Levi genervt. Neugierig nahm er mir einer meiner Bananen aus der Hand und schälte sie selbst. „Was ist das schon wieder?"
„Banane, Levi. Übrigens bekommt Kuchel davon eher Verstopfung..." meinte ich nur und aß den letzten Bissen, um der Kleinen nicht noch mehr davon zu geben.

„-dN-!" rief eine vertraute Stimme nun. Onyankopon kam zu mir geschritten und gesellte sich mit einem Teller Meeresfrüchte zu uns. Levis Blick wurde plötzlich finster. Er starrte auf die Platte, welche Weichtiere, Tittenfische und Garnelen beherbergte, so als hätte er einen Geist gesehen.
„So einen Fraß esst ihr? Widerlich..." äußerte er und machte dabei bereits einen Schritt zur Seite. Ich konnte ihn gut verstehen. Viele dieser Speisen rochen gewöhnungsbedürftig und teilweise schon zu fischig. Doch Onyankopon machte dies nichts aus – im Gegenteil. Er machte sich einen Spaß daraus, einen halben Arm eines Titenfisches in sich einzusaugen und schmatzte dabei lachend.
„Herrlich!" meinte er, doch Levi hielt sich nur noch die Hand vors Gesicht. Ich musste grinsen. Wahrscheinlich hatte er sogar Gänsehaut vor Ekel.
„Ich gehe..." schnauzte er nun und verschwand Richtung Hanji. Ein Seufzen entglitt mir.

„Dein Freund ist ganz schön empfindlich..." sagte Onyankopon nun und hielt mir den Teller hin. Ich hob die Hand und schüttelte den Kopf, um ihm zu zeigen, dass auch ich nichts wollte. „Der Vater?" fragte Onyankopon daraufhin und sah zu Kuchel.
„Ja, das ist er." Ein Lächeln breitete sich über mein Gesicht aus, auch wenn mich die Frage überraschte. Ich selbst war davon ausgegangen, dass man unsere Verbindung relativ schnell erkennen konnte – besonders dann, wenn man so ein intelligenter Mann wie mein alter Bekannter war. „... und mein Gefährte." äußerte ich noch.
„Ah, verstehe. Also keine kurze Sache." stellte Onyankopon fest und grinste mir entgegen. Er kannte meine Methoden aus Marley und er kannte die Männer, die Lina oder ich ausgenutzt hatten, um an Informationen zu kommen. Natürlich hatte uns dies etwas gekostet. Natürlich hatten wir uns auf eine gewisse Art und Weise verkauft, auch wenn ich nie mit einem dieser Männer ins Bett gegangen war – ein paar Flirts oder Küsse waren meist ausreichend gewesen, um bei ihnen ins Zimmer eingeladen zu werden. Wie weit Lina damals gegangen war, wusste ich nicht und es war auch nicht von Bedeutung. Jeder von uns hatte seine eigene Methode gehabt und keine von uns fragte die Andere, welche Grenze sie dabei vielleicht überschritten hatte. Es war eine Ehrensache zwischen uns beiden gewesen. Eine Absprache, die wir niemals brechen würden.

„Wirst du bei der Besprechung dabei sein?" fragte mich Onyankopon nun. Ich nickte.
„Natürlich."
„Und du bist wirklich auf der Seite von Paradies?"
„Ja."
„Mmmh, wie soll man dir das glauben?" Er sah zu Hanji und Levi herüber. Sie waren in einem Gespräch vertieft, welches sich mit höchster Wahrscheinlichkeit um den weiteren Tagesablauf drehte. Ich rieb an meinem Finger.
„Diese Menschen hier sind keine Monster, Onyankopon. Sie sind wie wir... Damals hatten sie mir alle gezeigt, wie normal sie sind... Sie konnten mein Herz erwärmen und mich mit ihrem Mut begeistern..."
„Und du hast dich total verknallt..." Mein früherer Kumpel lachte laut los.
„Hey... das ist nicht fair..." rief ich aus.
„Tja, -dN-. Eigentlich habe ich wirklich gedacht, dass du hier gute Miene zum bösen Spiel machst. Aber wenn du mit dem Typen zusammenstehst, wirkst du wie ein kleines Mädchen."
„Ach ja?" zischte ich und rümpfte meine Nase. Er nickte und lag seine Hand auf meine Schulter.
„Dann hoffe ich für dich, dass du das Richtige tust."
„Das tue ich, mein Freund..." Mein Blick wanderte zu Kuchel. Sie lief zu ihrem Vater und hang sich an sein Bein. Da waren sie wieder – ihre fünf Minuten, in denen Papa nur ihr gehören durfte. Diese eine Sache hatte sie sich wohl von mir abgeschaut. Ich grinste bei diesem Gedanken. Letztendlich war sie mir ähnlicher als ich so manchmal zugeben wollte.

Plötzlich entdeckte ich ein Winken. Hanji wedelte mich zu ihr und wirkte dabei mehr als nur leicht motiviert.
„Hanji, was ist?" fragte ich, als ich mich zu den Dreien gesellte.
„Die Besprechung fängt gleich an. Ich will dich von Anfang an dabeihaben!" meinte meine Kommandantin. Mit einem Nicken bestätigte ich ihren Befehl und sah gleichzeitig prüfend zu Levi.
„Wollen wir Kuchel zu Carolin bringen?"
„Nicht nötig. Wir können sie mitnehmen." antwortete er auf meine Frage. Der Gefreite griff unsere Tochter und nahm sie auf den Arm. Kuchel strahlte ihm ihr süßestes Lächeln entgegen, sodass ich aber auch Levi schmunzeln mussten. Bereits jetzt wusste sie, wie man ihren Vater um den Finger wickelte.
„Kommt, wir sollten los!" meinte Hanji nur und lag jeweils eine Hand auf einer unserer Schultern, um uns leicht anzuschieben. Die kommende Besprechung sollte von großer Bedeutung sein.

Bereits seit zwei Stunden saß ich mit Levi und Hanji an einem großen Tisch gegenüber unseren Verhandlungspartnern und hörte mir die verschiedensten Erzählungen an. Der Krieg zwischen Marley und einigen anderen Ländern ließ mich aufhorchen. Er schien der Grund für die Ruhe auf Paradies zu sein und gab uns vielleicht das entscheidende Zeitfenster.
„Wie kommt Marley technologisch voran?" warf ich in den Raum, nachdem der Stand der Auseinandersetzung auf dem Festland ausreichend erklärt war.
„Du weißt, dass sie immer schon hinterherhingen..." ergriff Lina das Wort, „Hier und da haben sie effektive und recht moderne Waffen – wahrscheinlich vom Schwarzmarkt – aber nichts Vergleichbares mit unserem Militär..."
„Mmmh, mit eurem Militär... Hier auf Paradies haben wir noch viel weniger..." seufzte ich.
„Wir werden euch einiges an Waffen geben können." meinte nun Yelena. Sie lächelte zu mir herüber und sah dabei entspannt aus.
„Hier und da ein paar Waffen werden nicht ausreichen... Aber ihr habt ein Schiff und das könnte uns weiterhelfen!" Ich stand auf und schritt zu einer der Karten, die von meiner Skizze abgezeichnet wurden und nun in einigen Räumen auffindbar waren. Mit meinem Finger zeigte ich auf einen Ort an der Küste Marleys. Er war recht abgelegen, doch zu Wasser gut erreichbar.

„Dort an der Küste liegt laut meinen Informationen ein Waffenlager. Ich weiß nicht, ob Marley dieses immer noch betreibt, aber ein Versuch wäre es wert. Wir müssen jeden Soldaten ausstatten können. Das Lager könnte uns genau das ermöglichen."
„Und ihr wollt esüberfallen?" fragte Yelena mich nun anzweifelnd. Mein Blick wanderte zu Levi, der unsere schlafende Tochter auf dem Schoss hatte und bereits genau wusste, worauf ich hinauswollte.
„Eine Spezialeinheit – wir schicken die Besten unserer Leute." schlug ich vor. Prüfend sah ich zu meiner Kommandantin, die mir zunickte. Ich hatte ihre Erlaubnis.
„Ihr müsst uns nicht unterstützen, sondern nur hinfahren. Mein Trupp und ein paar Ausgewählte werden genug sein, um die Wachen dort auszuschalten. Wichtig ist nur, dass wir nicht als Menschen von Paradies erkennbar sind. Wir können weder unsere 3D-Manöver-Geräte mitnehmen noch andere Ausrüstung nutzen, die unser Feind kennen könnte."

„Dann rüsten wir eben eure Spezialeinheit aus."
Yelena gab damit ihr Einverständnis für die erste gemeinsame Mission. Auch wenn ich ihr nicht vertraute, ich glaubte an Onyankopon, an seine Leute und an Lina, die mich bei dieser Besprechung eindringlich musterte. Was hielt sie wohl von diesem Vorgehen? Und warum blickte sie mich so konzentriert an? Diese Frage würde sie mir an jenem Tag nicht beantworten. Doch was viel wichtiger war: Es waren andere Informationen, die sie mir heimlich mit einem Brief zusteckte, und mir damit zeigte, dass sie auf meiner Seite war.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now