131. Der Krieg beginnt - wutentbrannt

148 9 7
                                    

Ich bat Armin darum, Hanji Rückmeldung zu geben, sodass sie von meiner Rückkehr in Kenntnis gesetzt wurde, um mich selbst in mein Zimmer zurückzuziehen. Es war bereits Abend und Levi noch immer nicht hier. So wie ich ihn einschätzte, würde er heute Nacht nicht schlafen. Er hatte also keinen Grund in unserem Zimmer aufzutauchen. Keinen Grund, uns ein weiteres Mal dieser schmerzhaften Situation auszusetzen, außer er würde es darauf anlegen wollen.

Ich setzte mich aufs Bett und starrte zum Fenster. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wollte auch ich heute Nacht nicht schlafen. Jedenfalls nicht in diesem Raum, der mich mit all seinen Dingen an ihn erinnerte. Nicht in diesem Bett, welches noch nach ihm roch.

Ich sah mich um. All diese Möbel zeigten mir die Momente, in denen er mich geküsst hatte. Sie zeigten mir die Augenblicke, in welchen er mich geliebt hatte, ob mit seinen Worten, seinen Händen oder ganz und gar. Die Erinnerungen – sie drückten sich in meinen Kopf, entfalteten sich dort zu einem Feuer und brannten in mir, so als wollten sie meine Seele zerstören. Diese Seele, die es nicht wahrhaben wollte. Die immer noch darauf wartete, dass er einfach in dieses Zimmer käme, so als gäbe es immer noch ein Wir.

Mein Gesicht drückte sich in meine Handflächen. Ich wollte das alles nicht mehr sehen. Ich wollte es nicht ertragen müssen – nicht jetzt. Energisch schluckte ich sie runter: Diese Tränen, die mich ein weiteres Mal ergreifen wollten und stand auf, um das Zimmer zu verlassen. So wie ihn, musste ich auch diesen Raum hinter mich lassen, um unser gemeinsames Leben zu verdrängen.

„Kann ich bei dir übernachten?" ,fragte ich Hanji, nachdem ich an ihrer Tür geklopft und sie mir eilig geöffnet hatte. Das Auge meiner Kommandantin weitete sich. Sie wirkte ein wenig überrumpelt – fast schon geschockt - doch ließ sie mich rein.

„Jetzt auch noch du... Levi hat wohl nicht mehr mit dir gesprochen, oder?" ,warf sie ein, während sie bereits eine Decke aus ihrem Schrank kramte. Der Tisch, das Bett und auch das Sofa lagen voll mit Büchern oder Zetteln, sodass ich einige Dinge zusammensammelte, um sie zu stapeln und zur Seite zu räumen. Hanji war wirklich nicht der ordentlichste Typ.

„Nein... Ist auch besser so..." ,seufzte ich nur heraus. Meine Freundin trat an mich heran. Die Decke zärtlich in ihren Händen haltend, sah sie traurig zum Boden.
„Meinst du nicht, ihr solltet nochmal reden?" Ich schüttelte den Kopf.
„Da gibt es nichts zu bereden."

Hanji legte die Decke ab.
„In Ordnung. Es ist eure Entscheidung, wie ihr damit umgeht, -dN-. Aber wenn du mit jemanden sprechen willst, dann kannst du es mit mir tun, okay...?"
„Danke, Hanji." Ich lächelte sie an – ganz zurückhaltend – während sie sich wieder in ihren Sessel setzte, um zu lesen. Auch sie schien noch nicht wirklich den Kopf freizuhaben, um in den Schlaf finden zu können. Und ich war dankbar dafür, denn so brach ihr Blättern die Stille in diesem Raum.

Leise, damit ich meine Freundin nicht störte, entkleidete ich mich bis auf die Unterwäsche und legte mich aufs Sofa. Vom Licht weggedreht, kuschelte ich mich ein und atmete tief durch. Hier roch es nach Büchern, nach der Kerze, die noch brannte, und vielleicht auch ein wenig nach Hanjis ungewaschener Wäsche, die in der ein oder anderen Ecke lag. Doch es war in Ordnung. Alles war besser als Levis Duft. Alles besser als diese Präsenz, die er in unserem Zimmer hinterlassen hatte.

Alles war besser.
Es war der letzte Gedanke, der mich in meinen Schlaf begleitete. Dieser Gedanke, der mir zeigte, dass ich Abstand zu ihm suchte. Einen Abstand, den ich auch am kommenden Tag einhalten würde, indem ich vor allem mit meinem Team die bevorstehende Mission durchsprach sowie einige Bewegungsabläufe plante. Doch Levi und ich konnten uns nicht ewig aus dem Weg gehen. Nicht ewig verhindern, einander ansehen zu müssen.

Und so kam dieser eine Abend, an dem wir gemeinsam am Fenster standen: Ich, mein Trupp sowie Levi und sein Team. Die Dunkelheit brach über die Stadt herein. Die Letzten von uns, schnallten ihre 3D-Manöver-Geräte fest, während ich auf Levis Zeichen wartete. Unser Krieg sollte nun beginnen.


„Ihr haltet euch an unserer rechten Seite und gebt uns Deckung!" ,befahl er. Ich nickte.
„Verstanden. Ihr habt gehört. Folgt mir und den Anweisungen! Wir gehen wie geplant vor!" ,wandte ich mich an mein Team, wobei ich zu ihnen zurücksah. Riku, Phil und Kenny standen in ihrer schwarzen Ausrüstung bereit und wirkten konzentriert.

„Was ist denn los? Kein Rumgeknutschte zwischendurch?" ,scherzte das vorlauteste Mitglied unseres Teams. Ich verdrehte die Augen.
„Falsches Thema, Kenny..." ,seufzte Riku. Sie sah prüfend zu mir. Ich bekam das Gefühl nicht los, dass sie die Befürchtung hatte, mich beim Einknicken durch die private Problematik beobachten zu müssen, doch ich war mir sicher sie vom Gegenteil überzeugen zu können. Immerhin brannte ich förmlich auf diese Mission – auch um meiner eigenen Wut freien Lauf zu lassen. Das musste ich mir eingestehen.

Levi gab das Zeichen.
„Los!" ,rief ich aus, während ich zeitgleich neben ihm aus dem Fenster sprang. Wir schossen unsere ersten Haken in die Häuser gegenüber und setzten uns in Bewegung. Ein Schuss nach dem anderen saß perfekt. Ich flog parallel zu ihm, schlug meine Wellen in der Luft, so wie ich es gewohnt war, bis wir den Marktplatz bereits erreichten und Eren in seiner Titanenform entdeckten. Mein Blick wanderte an den hohen Gebäuden entlang. Mit meinen Augen tastete ich die Umgebung ab, so wie es mir als Aufgabe zugeteilt worden war. Wir waren nicht umsonst der Offensivtrupp und damit immer noch für das Auslöschen potenzieller Gefahren zuständig.

Ich entdeckte sie: Die ersten Gegner, denen ich entgegentreten würde. Sie standen an den Fenstern und versuchten uns mit ihren Gewehren abzuschießen.

Mein Körper erhitzte sich. Mit Wucht katapultierte ich mich nach vorn, sodass Levi zu mir sah, um ihm daraufhin ein Zeichen zu geben. Mein Trupp setzte sich ab. Er nickte nur. Mehr nicht. Und dennoch spürte ich es. Noch immer verstand ich jeden seiner Blicke und kannte jede seiner Bewegungen, so wie er die meinen quasi fühlen konnte. Unser Band – es war eben noch längst nicht gerissen, auch wenn wir nicht mehr daran festhielten. Und ich hasste es. Ich hasste es mehr als alles andere.

Mein Herz klopfte. Es schrie danach, endlich diese aufgestaute Kraft herauszulassen und verlangte nach Verausgabung. Alles wollte ich heute freilassen. Keine einzige Grenze akzeptieren.

An einer Hausecke setzte ich einen weiteren Haken, flog eine Schleife und ließ mich mit den Füßen voran durch eines der Fenster schweben. Es klirrte. Die Scherben kreisten um mich herum. Schützend hielt ich mir die Arme vor das Gesicht, bis ich in die erschrockenen Augen meiner Feinde sah. Ein Grinsen huschte über meine Lippen. Ich zog meinen Dolch mit der Rechten, erkannte schmerzlich, welcher Name mir dabei entgegenglänzte, nur um ihn in den erst besten Rachen zu tauchen und mit dem Blut eines Soldaten zu beschmutzen. Niemand würde mir heute ausweichen. Das schwor ich mir, als meine Klinge mir rot entgegenleuchtete. Ein weiterer Haken schoss durch den Raum, als ich mit dem Schwung einem Schuss meines Gegners auswich, um daraufhin die zweite Kehle sauber zu durchschneiden und das Blut in meinem Gesicht zu spüren. Mich kühlend, stark klebend und etwas stinkend.

Es war mir egal.

Meine Schritte hallten durch den Raum. Nur kurz ließ ich mir die Zeit, die Umgebung auf eine weitere Gefahr zu prüfen, um mich dann aus dem Fenster fallen zu lassen. Kenny kam mir entgegengeflogen.
„Wohl nicht gut drauf?" ,rief er mir zu, als er meinen Gesichtsausdruck entdeckte. Ich ignorierte seine Bemerkung.

„Wir bewegen uns zum Marktplatz und unterstützen den Elitetrupp!" ,schrie ich ihm zu, während ich bereits den Bogen flog und mich so hoch wie möglich katapultierte, um eine Übersicht zu erhalten. Eren kämpfte auf dem großen Platz, der schon zum Teil stark zerstört war, gegen den Kriegshammertitan, während hier und da Soldaten von uns gegen die Titanen Marleys oder aber andere Feinde vorgingen. Generell waren wir durch unsere Geschwindigkeit im Vorteil, wenn auch die Kraft der Titanen Marleys uns überlegen war. Zumindest für diesen Moment.

Ich entdeckte Levi. Er flog auf den Kiefertitan zu, welcher anscheint zu fliehen versuchte.
„So ein Pech aber auch..." ,dachte ich noch und nahm an Geschwindigkeit auf, indem ich mich fast schon von oben fallen ließ. Mein Ziel war nicht der Nacken des Titans. Diesen konnte ich sehr wahrscheinlich mit meiner eingeschränkten Hand nicht verletzen. Doch seine Klauen abzuschlagen, könnte eine bedeutende Schwächung dieses Gegners sein. Und genau das wollte ich.

Levi sah zu mir. Sein Blick traf den meinen – ein Moment, in welchem ich fast seine Stimme zu hören schien.
„Was hast du vor?" ,fragte er sich, bevor er es erkannte. Da war es wieder und es schmerzte. Warum fühlte ich mich mit ihm so mächtig? Warum fühlte ich ihn in der Luft, ohne es wirklich zu wollen. Als würden wir die Schritte eines Tanzes vorführen, konnte ich jede seiner HAndlungen voraussehen. Und ich selbst – ich schien mich seinen Bewegungen anzupassen.

Ich zog einer meiner Klingen und hielt sie mit beiden Händen, flog nur knapp mit einer unglaublichen Geschwindigkeit an ihm vorbei – ich wusste genau, dass wir nicht zusammenstoßen würden – und durchtrennte einen der Arme des Kiefertitans mit voller Wucht. Durch meine Handgelenke zog sich ein stechender Schmerz. Mein Gesicht verzog sich. Der Titan fiel knapp an mir vorbei, während ich immer noch auf die Wand zuraste, in der ich meinen Haken platziert hatte. Energisch biss ich meine Zähne zusammen. Es bleib keine Zeit für Überlegungen. Keine Zeit für den Wechsel meiner eingeschlagenen Richtung. Eilig schoss ich einfach einen weiteren Haken in die Hauswand, um meine Flugbahn leicht abzuändern, sodass ich durch ein Fenster des Gebäudes krachte und unsanft dort zu Boden ging. Es knallte ein paar Mal, bis in meinem Kopf kurz die Still herrschte. Ein leises Piepen durchzog mein Hirn. Es erinnerte mich an jenem Moment, als Levi meinen Körper gegen die Wand gestoßen hatte. Dieser Moment, der mich mehr verletzt hatte, als alles andere.

Diese Erinnerung – sie drückte mir den Hals zu. Ich hörte das Knirschen meiner Zähne als meine Augen sich langsam öffneten, wobei ich ein leichtes Flackern wahrnahm.
„Verdammt..." ,fluchte ich, während ich mich auf allen Vieren aufraffte. Mein Blick verharrte auf meinen Händen, die mir rot entgegenstrahlten. Ich hatte es übertrieben – mal wieder und wahrscheinlich aus meiner Wut heraus. Doch was sollte ich machen? Die letzten Tage waren einfach zu viel für mich gewesen, sie hatten mich förmlich aufgescheucht und ein ganz anderes Verlangen in mir geweckt. Dieser Schmerz, der sich nun durch meinen Körper zog, war genau das, was ich gewollt hatte. Das und vielleicht noch mehr.

Fast schon trotzig drückte ich mich hoch und stand auf. Ich humpelte kurz, prüfte meine Ausrüstung auf Vollständigkeit, nur um am Fenster Kenny zu entdecken. Er war mir gefolgt.

„Sag mal, Schnecke? Drehst du jetzt vollkommen durch?" ,fragte er, wobei er ebenfalls in das Gebäude kletterte und mir damit meinen Ausgang versperrte. Ich schüttelte den Kopf.
„Befolge deine Befehle und kümmere dich nicht um mich!" ,meinte ich nur.
„Ach ja? Was hast du vor? Eine mutige Selbstopferung. Mädchen, ich habe genug Leute gesehen, die durch ihre Verzweiflung draufgegangen sind... Und ganz ehrlich. Dem Knirpsen beim Flennen zusehen – da habe ich kein Bock drauf."

Mein Blick blieb an Kenny hängen. Er sah ernst aus. Ganz anders, als ich es von ihm gewohnt war, schaute er mich konzentriert an.
„Keine Sorge. Der weint schon nicht..." ,zischte ich leise, doch ich bekam Gänsehaut. Der Gedanke an Levi. Der Gedanke daran, wie er zurückgelassen sein würde. Es ließ mich innerlich aufschrecken. Dabei ging es mich doch nichts mehr an.

Kenny stöhnte laut auf, so als wollte er unbedingt, dass ich ihn hörte.
„Ganz ehrlich, Schnecke. Ich habe zwei Mal mitbekommen, wie du tief gefallen bist und weitergemacht hast..." Er nickte zu meiner linken Hand. Jene Hand, die er damals verunstaltet hatte. „Ich respektiere deinen Mut, Mädchen. Aber du solltest wirklich mehr nachdenken. Ich habe auch einiges Falsches gemacht und ich bereue es heute noch... Du bist zu klug für so einen Scheiß..." Kenny hielt kurz inne, während er sich von mir abwandte.
„Wollen wir los?" ,fragte er fast schon zögerlich. Was immer es auch war, irgendetwas schien ihn zu beschäftigen.

Ich trat zu ihm ans Fenster und blickte hinaus. Eren hatte den Kriegshammertitan in seiner Gewalt. Er versuchte die Trägerin dessen gerade mit den Zähnen des verletzten Kiefertitans aus ihrem Schutz herausbrechen. Der Anblick war widerwertig, doch ich ignorierte es. Wir konnten sein Handeln so oder so nicht verhindern.

„Hätte nicht gedacht, dass du mal sowas nettes sagen würdest, Kenny..." ,stotterte ich heraus.
„Keine Sorge, Schnecke. Das passiert nicht oft..." ,seufzte er und sprang heraus. Auch ich stieg auf die Fensterbank. Mein Blick schweifte über das Schlachtfeld. Zertrümmerte Körper, Leichenteile oder auch einzelne Köpfe schmückten den Boden mit ihrem Blut. Die Stadt stank bereits jetzt nach dem Unrat der Menschen – nach ihren Eingeweiden, die zwischen den zerbröselten Trümmern versteckt lagen. Dieser Geruch – er ließ mich an Shiganshina denken. An jenem Tag als wir hunderte Kameraden verloren hatten. Heute war es anders. Heute würden wir diesen Menschen ihre Freunde, ihre Familien und ihre Geliebten nehmen. Und wir hielten uns nicht zurück. Wir taten es genauso.

Ich sprang aus dem Fenster und setzte mich in Bewegung. Dies war er also: Unser Krieg, den wir nun führen mussten. Den wir gewinnen mussten, egal was es uns kosten würde, denn wir waren weit gekommen und konnten nicht mehr zurück.

Ich flog zum Treffpunkt. Flog an den Überresten des Tiertitanen vorbei, den Levi wie geplant zerstückelt hatte, sodass wir Sieg in unserer Obhut nehmen konnten. Der Kriegshammertitan, der Gepanzerte Titan sowie der Kiefertitan waren ebenfalls besiegt. So wie es schien, war unser Plan wirklich aufgegangen.

Eilig landete ich bei Sasha und Connie. Sie bereiteten wie unsere anderen Kameraden den Weg für das Zeppelin vor, indem sie Lichter aufstellten.
„Wie ist die Lage?" ,fragte ich sie.
„Alles läuft bisher gut" ,erstattet der junge Mann Bericht.
„In Ordnung, dann sollten wir uns langsam auf den Rückweg machen! Alle Mann vorbereiten für den Abflug!" ,schrie ich vom Gebäude herunter. Wir durften keine Zeit verlieren. Unsere Ziele hatten wir erreicht, nun ging es darum, so viele unserer Soldaten lebend nach Hause zu bringen.

„Nach Hause..." ,seufzte ich leise. Das war dort, wo ich für mich keine Zukunft mehr sah. Dort, wo ich nur noch diente, aber niemals mehr leben würde. Ich schluckte schwerfällig bei diesem Gedanken und schüttelte den Kopf. Irgendwann würde ich Paradies verlassen müssen, doch jetzt war nicht die Zeit dafür. Jetzt war ich hier, an der Seite meiner Freunde, und kämpfte für ihre Freiheit. Jetzt war ich da, um meinen Kameraden den Weg zu weisen und sie zu unterstützen – koste es, was es wolle. Jetzt war ich eine von ihnen und sprang unserem Flugschiff entgegen, um gemeinsam mit ihnen zu fliehen. Um gemeinsam unsere Taten hinter uns zu lassen und nach vorne zu schauen – egal wie schmerzhaft es auch war. Und ich tat es. Und ich ertrug es, so wie ich es gewohnt war, auch an jenem Abend, als wir einen neuen Krieg entfacht hatten. Diesen Krieg, der mir am Ende alles kosten würde. 

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt