111. Ein blutiger Überfall

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Unser Trupp schlich über den Strand hinweg, um hinter einer kleinen Anhöhe das besagte Lager zu entdecken. Fackeln beleuchteten die Umgebung des Gebäudes und einige Soldaten bewachten den Eingang. Es schien ein typisches Aufgebot zu sein.

„Sieht so aus, als ist es noch in Nutzung..." flüsterte ich Levi zu. Er nickte nur. Einige Zeit beobachteten wir den Ablauf der Wachen. Die Meisten von ihnen waren nicht sonderlich motiviert. Sie standen rauchend herum oder unterhielten sich. Für sie war es ein Arbeitstag wie jeder anderen. Ein Tag, den sie niemals als den letzten ihres Lebens empfunden hatten.

Levi gab mir ein Zeichen. Ich blickte zu meinem Trupp und teilte sie auf. Phil sollte mir folgen, während Rico und Kenny ab nun unter dem Befehl des Gefreiten standen. Er würde mit ihnen vorstürmen, während mein Team aus der Ferne unterstützend wirken würde.
„Pass auf dich auf!" flüsterte ich ihm zu, als sie uns verließen. Im Schatten verborgen bewegten sie sich immer näher an unseren Feind heran, bis Levi innehielt.

Der Moment war gekommen. Ich legte das Gewehr an, zielte und atmete tief durch. Der erste Schuss musste sitzen und uns den entscheidenden Vorteil bringen.

Wie würde Levi laufen? Wen würde er als erstes angreifen und wohin würden Rico und Kenny zielen? Ich überlegte kurz und entschied mich dann für eine Wache, die auf einer Art Wachturm den Überblick behielt. Mein Blick traf ihn, der dort in Ruhe zum Horizont sah. Meine Gedanken zerrissen ihn bereist. Es war ein Lächeln auf meinen Lippen, dass das Betätigen des Abzuges begleitete. Der Knall hallte durch die Luft. Der Rückstoß drückte die Waffe in meine Brust. Levi rannte los. Er bewegte sich gezielt auf dem ihm nächsten Feind zu und zog seinen Dolch. Die Klinge, die meinen Namen trug – sie glitt durch den ersten Hals hindurch und ließ einen weiteren Körper zu Boden gehen.

Ich beobachtete diesen Mann, der so unglaublich flink in seinen Bewegungen war. Sein Haar zeigte mir, wie er die Richtung leicht änderte, um den Pistolenschüssen der Gegner auszuweichen. Und dann entdeckte ich es. Ganz plötzlich. Dieses Gefühl, genau zu wissen, was er tun würde. Dieses Vertrauen darauf, dass er auch meine Gedankengänge hören würde – irgendwo tief in seinem Kopf. Ich zielte auf Levi, bewegte den Lauf ein wenig nach links und schoss an ihm vorbei. Ein weiterer Gegner ging nieder. Auch dieser würde Levi nicht ein Haar krümmen.

„Teamleiterin -dN-. Ich benötige Munition!" meinte Phil. Er hatte ebenfalls einige Schüsse von sich gegeben.
„Was jetzt schon?" fragte ich nur und sah seiner offenen Hand entgegen. „Ach, verdammt." Eilig warf ich ihm meinen Munitionsbeutel zu und legte mein Gewehr ab. „Mach du hier weiter und halte uns den Rücken frei! Ich unterstütze die Anderen." erklärte ich und rannte los.

Meine Hand griff wie von selbst hinter meinen Rücken und ertastete meinen Dolch. Ich zog ihn aus seiner Ledertasche, strich mit dem Zeigefinger an den Riffelungen entlang, nur um mich daran zu erinnern, wie Levi ihn ausgesucht hatte. In Gedanken sah ich es vor mir: Seine Reaktion, als ich ihm die zweite Klinge entgegendrückt hatte. Diese Klinge, die für mich ein Zeichen gewesen war und die er seither wie ich immer bei sich trug. Mein Gebiss drückte sich zusammen, als ich einen Bogen lief, um den Wachen in den Rücken zu laufen. Drei große Schritte und ein Sprung um die Ecke waren nötig, um den Ersten dieser Männer zu überraschen. Der Dolch drückte sich in die Brust des Mannes, dessen Augen mich weit geöffnet anstarrten. Sein warmes Blut ergoss sich über meinen Pullover. Er färbte das Grau des Stoffes schwarz. Angewidert riss ich die Klinge aus ihn heraus und lief weiter – Levi entgegen.

„Hier draußen müsste alles gesäubert sein..." meinte ich, als ich an ihn herantrat.
„Einige sind in das Gebäude geflohen." meldete Rico. Sie atmete schwer. Wie ich war sie das Sprinten nicht gewohnt.
„Ich habe Phil oben gelassen. Er wird uns den Rücken freihalten." erklärte ich. Ich blickte meine Kameraden kurz an und fügte dann hinzu: „Kenny, du solltest hier draußen den Eingang bewachen! Ich würde sagen, dass wir Drei reingehen."

Rico und Levi nickten.
„Ein Fenster..." äußerte Levi, während er sich das Blut seiner Opfer mit seinem Ärmel aus dem Gesicht wischte. Ich folgte seinem Blick zu dem typisch hochgelegenen Lagerfenster und seufzte.
„Na toll..."

Levi rannte bereits auf die Wand des Gebäudes zu, sprang daran hoch, nur um sich dann am schmalen Sims des Fensters hochzuziehen. Er drückte sich an die Scheibe und blickte zu uns herunter, nachdem er kurz die Lage im Gebäude geprüft hatte. Anscheint sicherten unsere Gegner die Türen, denn die Luft war rein.
„Das kann ich nicht..." stöhnte Rico, die mit mir zu ihm heraufblickte.
„Mmmh, ich auch nicht..." gab ich zu und wandte mich dann an unser größtes Truppenmitglied: „Kenny, hilf mir mal!"

Während Levi mit seinem Ellenbogen das Fenster einschlug, welches ein leises Klirren hervorrief, ließ ich mich von Kenny per Räuberleiter hochhieven.
„Schnecke, du bist viel zu schwer!" schimpfte dieser, wobei sein Grinsen mir seine wahre Absicht verriet.
„Vielen Dank auch!" keuchte ich und griff nach Levis Hand. Er streckte sie mir entgegen und zog mich ein wenig hoch, sodass ich einigermaßen sicher auf den Sims kam.

Unsere Blicke trafen sich. Es war die Prüfung, ob mit dem Anderen alles in Ordnung sei. Die Frage, ob man mit dem Vorgehen einverstanden war. Die Möglichkeit, etwas zu sagen. Doch wir taten es nicht. Ich drückte seine Hand ein wenig, um daraufhin leise in das dunkele Gebäude zu springen und mich hinter einer staubigen Kiste zu verstecken. Vorsichtig sah ich mich um.

Ich befand mich in einem der großen Lagerräume, in welchem Mengen an Holzbehältern und große Jutesäcke standen. Am Ende der Halle befanden sich zwei Türen, die entweder in eine Art Flur oder aber in einen weiteren Lagerraum führen mussten. Meine Gedanken kreisten um unser weiteres Vorgehen, während ich auf Rico und Levi wartete. Auch sie begaben sich zu mir in Deckung.

Wir lauschten, doch im gesamten Gebäude schien es ruhig zu sein.
„Sie warten auf den richtigen Moment..." meinte Levi. Ich nickte.
„Dann müssen wir ihnen den bieten... Rico, positioniere dich links neben der Tür dort! Ich werde die andere bewachen. Schaffst du es, sie herzulocken?" Ich sah zu Levi. Er war der Schnellste von uns. Wenn er die Aufmerksamkeit der Gegner auf sich lenken könnte, um sie dann in diesen Raum zu führen, könnten wir sie in einen Hinterhalt locken.

Levi überlegte kurz und nickte.
„Der Kampf findet hier statt!" äußerte ich noch.
„Ich bin nicht du, -dN-." Er griff sich an die Schulter und schloss kurz die Augen, während wir bereits unsere Position einnahmen. Meine Hände wurden feucht. Auch wenn ich ihm vertraute und wusste, dass er schnell genug für diese Aufgabe war, gefiel es mir nicht, ihm diese zuzuteilen. Doch letztendlich war es meine Pflicht, das Beste für den Trupp zu entscheiden. Egal, ob es das Beste für ihn oder für uns war.

Ich schluckte schwerfällig, nachdem ich mich an die Wand gelehnt auf eine Kiste gestellt hatte und suchte den Blickkontakt zu Levi. Er stand bereits vor einer der Türen, nur um auf mein Zeichen zu wartete. Es war ein Nicken. Mehr gab ich ihm nicht und dennoch – er lächelte mir kurz zu. In meinem Herzen stach es. Diese Angst, ihn verlieren zu können, drängte sich mir auf. Sie versuchte das Vertrauen zu ihm zu verschlucken und mich panisch werden zu lassen. Und es war so einfach, denn die Angst ist wie ein Feuer. Ist sie einmal entzündet, dann ergreifen die Flammen alles um sich herum. Die kreisenden Gedanken - sie dienen ihr wie trockenes Holz als Zündstoff, der es ermöglicht, sich immer weiter in die Seele eines jenen zu brennen. Der einzige Schutz, den ich dagegen besaß, war eine nasse Decke, die mich einhüllte. Es war das Vertrauen, welches Levi und ich über Monate zueinander aufgebaut hatten. Ein Gefühl, welches mich den Flammen der Angst trotzen ließ, solange ich ihn bei mir wusste. Ich presste meine Lippen zusammen. Diese Zuversicht, die dort in meinem Herzen verborgen lag, durfte ich nicht verlieren. Nicht jetzt.

Der Gefreite stürmte los. Ich hörte wie seine Schritte durch die Gänge hallten. Hörte, wie die ersten Stimmen aufschrien. Es polterte und knallte. Einige Schüsse fielen. Immer lauter wurde es im Gebäude. Es waren Geräusche, die Levis Schritte in sich verschluckten. Ein tiefes Durchatmen war nötig, um mich zu konzentrieren. Wenn ich ganz genau horchte, konnte ich seine Bewegungen ausmachen. Sie waren anders als die jener Soldaten, die ihn verfolgten. Präziser, gewandter, vielleicht sogar filigraner. Es war dieser bestimmte Takt, den er in jeden seiner Gesten trug. Diese Melodie seines Seins, der ich vor allem dann lauschte, wenn wir uns nahe waren.

Nach einiger Zeit des Entfernens bemerkte ich, wie er sich uns näherte. Ich gab Rico ein Handzeichen, sich bereits zu machen und erblickte Levi durch die Tür springend. Er war zurück.

Sein Pullover wies Risse auf. Wahrscheinlich hatten ihn einige Kugeln gestreift. Seufzend aber mit voller Kraft setzte ich mich in Bewegung, als die erste Wache diesen Raum betrat. Ich sprang ihr in den Rücken, stach ihr die Klinge ins Genick und riss ihr dabei das Leben heraus. Ihr Blut spritze mir ins Gesicht und verdunkelte meine Sicht. Eilig drehte ich mich um, hörte die Schüsse, die Rico auf unsere Feinde niederregnen ließ und sah Levis Silhouette, die plötzlich an mir vorbeirauschte. Auch sein Dolch fand die Körper seiner Opfer. Auch er tötete seine Gegner.

Mit einem großen Satz sprang ich zur Seite, um dem Schuss einer Wache auszuweichen. Es pochte in meinen Ohren. Ein Schmerz fuhr durch die Haut meines Armes. Auch mein Blut begann zu fließen – ganz leicht.

Ich stürzte mich den Gegnern an Levis Seite entgegen und hielt ihm den Rücken frei. Meine Klinge – sie tanzte durch die Feinde hindurch und hinterließ ein Spiel des Blutes. Schreie und Fluche schallten durch den Raum. Sie alle galten uns.

Die Wärme übergoss sich über mich. Meine Schritte platschten in den Pfützen dieser Frauen und Männer. Es dauerte nicht lang und ich stand in einem See aus Blut, umgeben von denjenigen, die sich mir entgegengestellt hatten.

Mein Blick starrte in die Röte, nachdem sich das letzte Mal mein Dolch in die Kehle des Feindes gestoßen hatte. Auch er fiel zurück, um zu Boden zu gehen. Auch er grunzte leise vor sich hin, als er die Grenze zum Tod überschritt. Es war das Letzte, was sein erschlaffender Körper von sich gab und ich lauschte ihm.

Eine Hand auf meiner Schulter sagte mit, dass es vorbei war. Levi hielt mir ein Tuch hin. Sein Gesicht war mit dem Blut unserer Gegner geschmückt. Er atmete schwer, denn dieser Kampf war kein leichter und wir in deutlicher Unterzahl gewesen.

Doch meine Gedanken schweiften bereits ab. Ich sah nur ihn.

Wie sehr wollte ich ihn in diesem Moment küssen und dabei vom Tod kosten. Wie sehr mich an ihn drücken, um die Wärme unserer Opfer an unseren Körpern zu spüren. Ich seufzte und griff nach dem Tuch, um zunächst meine Augen zu säubern. Diese Gedanken waren nicht richtig und dennoch empfand ich sie. Mein Herz raste.

„Rico, schieß draußen die Leuchtrakete ab!" befahl Levi, wobei er das Taschentuch wieder an sich nahm.
„Danke." flüsterte ich.
Ich berührte seinen Arm an einer dieser Stellen, an der er einen Streifschuss abbekommen hatte. Es war nur ein kleiner Riss und dennoch spürte ich die Reue in meinem Nacken.

„Ist bei dir alles in Ordnung?" fragte er mich. Mein Blick musterte sein Gesicht und erblickte diese Wärme in seinen Augen. Immer häufiger konnte ich sie dort entdecken. Immer mehr davon strahlte mir entgegen. Es war sein Vertrauen mir gegenüber. Diese Decke, die ihn genauso wie mich einhüllte und vor der Angst schützte. Ein leichtes Lächeln huschte über mein Gesicht.

„Ja." hauchte ich und tat es dann doch, weil mein Herz so sehr danach verlangte: Ich küsste ihn und schmeckte sie – diese Süße des Todes, der nach uns griff. 

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt