64. Wenn der Tod anklopft

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Zähneknirschend landete Levi bei uns und wandte sich an seinen Kommandanten:
„Erwin, was sollen wir jetzt tun?"
Viele der Soldaten kamen ebenfalls zu uns – sie alle brauchten nun Anweisungen, einen Plan oder gar Hoffnung. Unsicher versammelten sie sich auf der Mauer und blickten ängstlich zu dem Gepanzerten hinunter.
„Da sind noch mehr!" schrie plötzlich eine Stimme. Ich blickte zurück. Am nördlichen Horizont gruppierten sich die Titanen. Sie fielen uns in den Rücken.
„Mehrere normale Titanen. Zudem der Tier-Titan und der Karren-Titan." sagte ich zu Erwin.
„Weißt du mehr?" fragte dieser. Ich schüttelte den Kopf.
„Nicht viel.... Der Tier-Titan ist nicht sehr hoch angesehen. Er scheint aber die anderen Titanen kontrollieren zu können, so wie die mit ihm rumlaufen." Ich zeigte zu unseren Feinden. „Von dem Karren-Titan brauchen wir kaum etwas zu befürchten. Er dient eher dem Transport und kann höchstens Soldaten zertrampeln oder beißen. Jedoch ist er nicht sehr schnell...."
„Gut, also ist der Tier-Titan das Problem...." meinte Smith und starrte zu dem besagten Gegner.
„Ja, das denke ich auch." stimmte ich zu und blickte zu Levi, der immer wieder zum Gepanzerten sah.
„Erwin! Der Gepanzerte kommt hoch!" äußerte der Gefreite nun. Ich sah zu Rainer. Er nahm Anlauf und sprang mit einem großen Sprung an die Stadtmauer. Dort festgekrallt, verharrte er kurz und begann dann heraufzuklettern. Jede Bewegung, die uns näher an ihn heranbrachte, ließ die Mauer erbeben. Der Trupp wurde unruhig. Einige sahen immer wieder zu Erwin und hofften auf den Befehl, der alles ändern würde. Doch wie sollte dieser lauten?
„Wir sind in der Zwickmühle..." seufzte ich. Levi blickte zu mir. Auch in seinen Augen spiegelte sich eine gewisse Unsicherheit wider. Auch er wartete auf den Befehl zum weiteren Vorgehen.
Doch plötzlich ging ein Schrei durch unseren Körper. Der Tier-Titan grölte uns entgegen und schlug kräftig auf den Boden. Einige Titanen – die meisten zugehörig zu der 2- oder 3-Meter-Klasse rannten auf uns zu. Ich schnappte nach Luft.
„Sie schneiden uns den Rückzug ab..." flüsterte Erwin nun fast. Skeptisch sah ich zu ihm. Dies war den meisten hier Anwesenden bereits längst bewusst. Wir brauchten keine Erklärung der Situation, sondern Anweisungen. Genervt biss ich meine Zähne zusammen. Levi seufzte.
„Erwin, willst du endlich was sagen? Hätte ich mal früher gefrühstückt..." kritisierte er seinen Kommandanten. Doch Erwins Blick blieb unverändert. Er reagierte kaum. Anscheint war sein Geist tief in seinen Gedanken versunken und analysierte dort die Situation. So gut dies war, die Zeit rannte uns davon. Von beiden Seiten näherte sich der Feind. Ich griff zu meinen Schwertern und zog diese. Für mich war es genug.
„Erwin, sag was! Sonst werde ich mit meinem Team eigenmächtig handeln!" meinte ich zu ihm. Meine Augen waren starr auf ihn gerichtet. Meine Brauen zogen sich zusammen.
„Das ist nicht nötig, -dN-!" meinte Erwin leise zu mir und rief dann durch die Reihen:

„Team Dirk und Team -dN-! Trefft euch mit dem Team Marlene am Inneren Tor und beschützt unsere Pferde mit eurem Leben. Team Levi und Team Hanji erledigt den gepanzerten Titan! Alle Teams nutzt auf Kommando die Donnerspeere und setzt alles daran unsere Mission zu erfüllen. Es geht um das Ganze, um den Fortbestand unseres Volkes. Jetzt ist die Zeit, euch mit ganzem Herzen für die Zukunft einzusetzen!"

„Jawohl Sir!" schrien die Soldaten. Eine große Erleichterung ging durch ihre Reihen. Sie atmeten auf und setzten sich in Bewegung.
„Jens, Bastian, Auruo – folgt mir!" rief ich meinem Team zu und ging zum Rand der Mauer.
„Levi, du bleibst hier!" äußerte Erwin plötzlich, als der Gefreite mit seinem Trupp den Angriff auf Rainer starten wollte.
„Ich soll statt Eren die Pferde beschützen?" fragte Levi nun. Ich blickte zu ihm zurück.
„Genau, und wenn du eine Chance siehst, erledige den da. Du bist der Einzige, dem ich den Tier-Titan überlassen kann." Erwin zeigte auf das Monstrum, zu dem auch ich nun sah. Wahrscheinlich hatte der Kommandant Recht – nur eine geübte Gruppe oder ein starker Einzelkämpfer könnte das Vieh erledigen. Da wir bereits jetzt in die Enge getrieben wurden, wäre somit die erste Option kaum mehr möglich, da mehrere Kämpfer nicht zu entbehren waren. Es blieb also nur noch die zweite Vorgehensweise und damit nur ein Kämpfer, der dies allein schaffen konnte. Ich seufzte. Wieder trug Levi eine enorme Bürde auf seinen Schultern.
„Verstanden, ich hole mir seinen Kopf, um mein Versagen gegen den Gepanzerten wieder gut zu machen." bestätigte Levi Erwins Befehl. Ich bekam Gänsehaut, doch ich sprang unseren Gegnern entgegen. Es war keine Zeit dafür diese Worte als richtig oder falsch einzuteilen. Keine Zeit dafür, zu hinterfragen, ob Levi diese Last verdient hatte. Es war keine Zeit dafür, ihn zu unterstützen, denn Andere hatten diese Hilfe nun viel nötiger.
Genervt blickte ich zu den Rekruten - den Soldaten, die heute zum ersten Mal einen Titanen sahen. Für viele würde es auch das letzte Mal werden. Dies war so sicher, wie der nächste Regenfall der die Spuren ihres Todes aus dem Land herauswaschen würde.
„Rekruten, bringt die restlichen Pferde zur Westseite!" hörte ich jemand schreien. Ich war unsicher, wer es war, doch es war egal. Mein Ziel war das Töten unserer Feinde. Wir waren nicht umsonst der Offensivtrupp. Gekonnt schwangen Jens, Bastian, Auruo und ich uns über die Häuser hinweg und näherten uns den Titanen. Diese rannten auf uns zu, doch schienen sie nicht ziellos umherzulaufen. Viel mehr strategisch bewegten sie sich durch die Straßen, um unseren Trupp einzuengen. Es deutete auf ein Bewusstsein hin. Ich sah zu Levi. Er stand auf einem Häuserdach. Seine Klingen waren mit Blut befleckt. Wahrscheinlich hatte er bereits in dieser kurzen Zeit eines dieser Monster erledigt.
„Macht schon, räumt die Riesenbabys aus dem Weg, bevor der Tier-Titan sich in Bewegung setzt! Ich dulde keine Verluste! Keiner stirbt, verstanden?!" schrie er von dort oben aus. Ich nickte. Jeder Verlust könnte in diesem entscheidenden Moment das Ende des gesamten Trupps bedeuten. Einer zu wenig und wir waren alle an dieses Schicksal gebunden. Wir mussten also vorsichtig aber bestimmend agieren. Ich stöhnte laut auf – es war nicht grade meine Stärke.
„Gut. Jens, Bastian – ihr übernehmt die rechte Seite. Auruo und ich werden die zwei weiter links angreifen. Los! Ihr habt den Gefreiten gehört! Keine Verluste!"
Geschwind schoss ich meinen Haken in eine Häuserwand links von mir und flog einen Bogen. Auruo machte es mir gleich. Angestrengt hielt ich mein Schwert in der verletzten Hand. Obwohl ich es geübt hatte, konnte ich meine Griffweise kaum ausbessern. Ich musste anders agieren.
„Auruo, übernimm den Rechten!" schrie ich und schoss meinen Haken in den Hals des 3-Meter-Titanes. Ich zog mich heran. Bedacht griff mein Feind nach mir und schien es plötzlich eilig zu haben. Er wollte mich anlocken, gleichwohl aber sein eigenes Leben retten.
„Was für eine Ironie." dachte ich mir und wich aus. Mit Schwung zog ich mich an das Monster heran und glitt an ihm entlang. Mein rechtes Schwert öffnete seinen Nacken. Es knackte, doch er war nicht erlegt – noch nicht. Alles, was ich nun brauchte, war Geschwindigkeit. Wirbelnd umkreiste ich ihn und zog dann ein weiteres Mal an seinen Nacken vorbei. Präzise setzte ich den zweiten Schnitt an und gab ihm damit den Todesstoß. Qualm stieg auf und das Monster brach zusammen. Ich landete auf einem Dach und schnaufte. Bereits jetzt blieb mir die Luft fast weg.
„Ah...." hörte ich plötzlich einen unserer Kameraden. Es war ein mir unbekannter junger Mann. Wahrscheinlich einer derjenigen, die seit dem guten Ansehen des Aufklärungstrupps zu uns gestoßen waren und nun das erste Mal mit uns in die Schlacht zogen. Ich seufzte. Erwin nahm jeden auf, der sich unserem Trupp anschließen wollte. Es war egal, ob man das nötige Können besaß oder einfach mitrannte. Zu Not diente man eben als Titanenfutter – als lebendiger Schild. Ich rannte auf den Jugendlichen zu und sprang vom Dach. Kurz bevor ich den Boden berührte, schoss ich meinen Haken in eine Häuserwand und flog an den Fersen des angreifenden Titans entlang. Es zischte. Das Monster verlor das Gleichgewicht und kippte nach Vorn. Mit einem lauten Knall fiel es in eine Häuserreihe. Der junge Mann sah verdutzt zu mir.
„Los, erledige ihn!" schrie ich ihn an. Es war seine Chance, den ersten Erfolg zu erleben. Gewiss, dieser war geschenkt, doch die Hoffnung bestand, dass es ihm Mut geben würde, sich auch weiteren Titanen zu stellen. Etwas steif sprang er hoch zu dem sich wendenden Titan und schlitzte ihm den Nacken auf. Das Monstrum erschlaffte und begann zu qualmen. Ich räusperte mich. Ein unangenehmer Geruch breitete sich langsam zwischen den Häuserreihen aus. Der Gestank war unerträglich. Konzentriert versuchte ich ruhig zu atmen und bewegte mich von der Leiche weg, doch es half nichts. Dieser Duft hatte sich bereits in meiner Nase abgesetzt und stach in mein Hirn. Ein Würgen überfiel mich.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?" fragte mich der Schwarzhaarige, dem ich grade geholfen hatte. Ich nickte und hielt mir die Hand vorm Mund. Doch die Magensäure kam bereits in mir hoch. In eine Ecke rennend, übergab ich mich. Ich hustete wild.
„Kann ich euch helfen?" Immer noch stand der mir fremde Soldat neben mir. Ich errötete. Warum konnte er nicht einfach abhauen und mich allein lassen? Ich brauchte niemanden, der mir beim Erbrechen zusah. Und ich brauchte auch niemanden, der mir dabei auf die Schulter klopfte. Ich brachte nur Ruhe.
„Scheiße..."
„Gefreiter Levi, Sir. Truppenführerin -dN-, sie...." Levi seufzte laut.
„Ich weiß... Los, helfe deinen Kameraden! Sie kann sich selbst versorgen."
„Jawohl!" rief der Mann aus und rannte los. Unsicher wischte ich meinen Mund an meinem Ärmel ab und hustete erneuert.
„Kannst du überhaupt noch so weitermachen?" Levi stand neben mir und blickte sich um. Ich nickte nur.
„Ja, alles gut. Mein Magen macht das Ganze nur einfach hin und wieder nicht mit. Ansonsten ist alles in Ordnung."
„Das glaubst du doch selbst nicht!" Levi kam mir näher. Er hielt seine Hand an meine Stirn. „Fieber hast du keines... Vielleicht solltest du mal darüber nachdenken, warum dir die ganze Zeit so kotzübel ist?" Ich drückte Levi von mir weg und blickte ihn ernst an. Die unsicheren Kampfschreie unserer Kameraden hallten durch die Straßen. Einige von ihnen waren ängstlich, einige bereits verzweifelt. Unsere Situation sah nicht sehr gut aus. Die Gegner schienen uns zu zermalmen.
„Was sollen wir jetzt tun?" fragte ich Levi. Ich ignorierte seinen Hinweis, überhörte ihn bewusst. Was brachte uns dieses ganze Gerede jetzt, wo wir dem Tod ins Auge blickten?
„Scheiße..." sagte Levi und strich sich durchs Haar. Er blickte hoch zu den Dächern. „Ich werde die Übersicht behalten. Geh du zu deinem Trupp und erledige so viele Titanen wie möglich!" Seine Augen waren unsicher, doch ich lächelte nur.
„Vertrau mir!" meinte ich und begab mich zurück in die Lüfte.
Der Offensivtrupp und die anderen Einheiten erledigten ein Titan nach dem Anderen. Die meisten von ihnen stellten kaum ein Problem dar. Immerhin handelte es sich nur um die kleineren Viecher. Das weitaus größere Problem stand immer noch seelenruhig am Horizont und beobachtete das Szenario. Ich landete bei Levi auf dem Dach, um Bericht zu erstatten.
„Der Großteil ist erledigt, Levi." meinte ich. Er nickte.
„Gut, dann...." Ein Schrei unterbrach den Gefreiten. Er brachte unseren Körper zum Vibrieren und holte ein Schaudern in mir hervor. Was war das?
„Scheiße..." Levi blickte zur Stadtmauer zurück. Es kam von Innen – vom Gepanzerten Titan. Was wollte er damit erreichen? Ich überlegte und meinte dann unsicher:
„Wahrscheinlich ein Zeichen...." Mein Blick wanderte zum Tier-Titan und tatsächlich: Er griff nach einem Fass und warf es über uns hinweg. Kurz war es still. Weder Levi, noch ich oder irgendein anderer Soldat traute sich ein Laut zu machen. Wir alle waren überrascht von dieser Wendung. Doch dann gab es eine Explosion in Shiganshina, die ein Beben hervorrief. Eine große Wolke überstieg die Mauer und zeigte uns das Grauen: Der Kolossale Titan. Die nächste Spielfigur auf dem Spielfeld, welches immer enger für uns wurde.
„Wie sollen wir den Tier-Titan erledigen? Der sitzt da wie angewachsen und tut nichts." fragte Dirk, welcher nun an uns herantrat.
„Jep, scheint ne'kleine Memme zu sein. Keine Eier, würde ich sagen." meinte Levi und sah zu dem Titan am Horizont. Er blickte ebenfalls zu uns. Vielleicht genoss er diesen Anblick der Aussichtslosigkeit. Vielleicht freute er sich auch nur auf seinen nächsten Spielzug – immerhin schien dies sein Spiel zu sein und er war am Zug.
„Irgendwas stimmt nicht...." äußerte ich, doch es war bereits zu spät. Viele kleine und feine Steine flogen plötzlich an uns vorbei, so als würde Schnee um uns herumwirbeln. Levis und mein Blick trafen sich. Wir spiegelten uns in den Augen des Anderen und sahen die pure Angst, die durch unsere Körper floss. Schreie ertönten und verstummten im gleichen Moment. Es krachte – einige Häuser gaben nach. Geschockt blickte ich zu unseren Soldaten. Einzelne Körperteile lagen auf den Straßen verteilt. Wer diesen Steinschlag des Tier-Titans abbekommen hatte, wurde zerstückelt. Es war der Tod, den er uns zuwarf.
„Beschuss! Alle Mann ducken!" schrie Erwin von der Mauer aus, auf welcher er den Überblick über uns alle behielt. Levi starrte mich an. Er gab mir ein Zeichen mich in Sicherheit zu bringen und stürmte vor.
„Verdammt, Leute!" schrie er. Ich hörte die Verzweiflung in seiner Stimme und sprang selbst in eine Gasse, um von dort aus zu meinem Trupp zu rennen. Sie standen auf der Hauptstraße und sahen mich ängstlich an.
„Was passiert da?" fragte mich Jens.
„Der Tier-Titan wirft Steine nach uns. Wir müssen alle weiter zur Stadtmauer, um uns vor seinen nächsten Würfen zu schützen!" erklärte ich und schob dabei Auruo vor mir her.
„Los, alle Mann zu der Mauer!" schrie ich zu weiteren Teams. Wir mussten den vorderen Bereich der Häuserreihen schnellstmöglich räumen.
„"Hey, steh auf oder willst du krepieren!" schimpfte Levi mit einem Soldaten, der knieend am Boden lag. Er hielt sich die Ohren zu. In seinem Gesicht stand die pure Angst. Ich biss meine Zähne zusammen und lief meinem Trupp nach. Levi würde den Mann schon zur Vernunft bringen, dem war ich mir sicher.
Resigniert versammelte sich der restliche Aufklärungstrupp bei seinem Kommandanten. Erwin stand ernst da und blickte in die Reihen.
„Wie sieht es aus?" fragte Levi.
„Übel. Die Häuser vor uns wurden von den Steinen größtenteils zerstört. Wenn der Beschuss weitergeht, stehen wir bald im Freien und haben nichts mehr, um uns zu verstecken." erklärte Erwin. Ich seufzte. Anscheint hatten wir bereits jetzt das Spiel verloren, doch der Trupp blickte hoffnungsvoll zu Smith. Er sollte nun ein Wunder verkünden. Ein Wunder, welches nicht möglich war.
„Wir haben schwere Verluste eingefahren. Der Tier-Titan hat die kleinen Titanen losgeschickt, um die Soldaten vorne zu binden. Die Teams Dirk und Marlene scheinen während des Beschusses getötet worden zu sein. Die einzigen Soldaten, die auf dieser Seite der Mauer übrig sind, seid ihr - die neuen Rekruten des Aufklärungstrupps, der Offensivtrupp unter -dN-, der Hauptgefreite Levi und ich."
Ein weiterer Steinschlag unterbrach den Kommandanten.
„Und wenn es so weiter geht, ist es bald niemand mehr...." warf ich ein und blickte mich wütend um. Sollte das jetzt wirklich alles gewesen sein?
„Wir sind erledigt...."
„Ich will nicht sterben!"
Zweifel begannen unsere Soldaten zu plagen. Einige von ihnen zeigten erste Symptome einer Angststarre. Sie kauerten sich zusammen. Ich sah zu Levi. Auch wenn ich in ihm die Angst sehen konnte, erkannte ich einen Funken seiner Hoffnung. Ruhig blickte er auf Erwin. In seinem Gesicht stand das vollkommene Vertrauen.
„Erwin, hast du irgendeinen Plan?" Doch der Kommandant schwieg.
„Erwin, wenn du meinst, dass wir keine Gegenmaßnahme mehr haben, dann solltet ihr eure Flucht vorbereiten. Hold diesen Faulpelz Eren da runter, steigt mit möglichst vielen auf ihn und haut ab! So retten wir wenigstens ein paar Leben." ergriff Levi das Wort. Er zeigte auf die Mauer. Ich sah herüber und schluckte schwerfällig. Natürlich war sein Vorschlag das einzig sinnvolle. Es war besser eine Handvoll Leute zu retten, als alle ihrem Tod zu überlassen. Doch wen würden wir wählen und wer müsste zurückbleiben? Mein Herz bebte. Wen aus meinem Trupp würde ich wählen und rüberschicken? Mein Blick wanderte zu Levi. Es stach in meinem Bauch.
„Levi, was hast du vor?" fragte Erwin.
„Ich stelle mich dem Tier-Titanen. Ich lenke ihn ab."
„Du kommst noch nicht mal in seine Nähe...."
„Fürchte ich auch. Aber wenn du und Eren noch lebend zurückkehrt, besteht noch Hoffnung." Ein Seufzen entglitt mir. Meine Brust schnürte sich zu.
„Lasst mich durch!" schimpfte ich und drückte mich durch die Menge, um mich direkt zu Erwin zu stellen. „Was soll der Mist? Glaubt ihr, dass das Opfern des stärksten Kämpfers, das richtige Vorgehen ist? Wenn dann müssen wir die opfern, die entbehrlich sind..... so leid mir das tut." meinte ich nun. Ich ballte meine Fäuste und schluckte schwerfällig. Erwin sah mich skeptisch an.
„Auch wenn du wahrscheinlich aus anderen Motiven Levi schützen willst, muss ich dir Recht geben....." sagte er. Unsere Blicke trafen sich. Es war eine unglaubliche Kälte zwischen uns. „Wir müssen nach einem solchen Plan handeln...."
„Gibt es einen?" fragte Levi nun und Erwin nickte. „Wieso sagst du das nicht gleich? Wieso starrst du mich mit diesen Totengräbermienen an und schweigst?" Levi schien genervt.
„Wenn dieser Plan funktioniert, kannst du den Tier-Titanen vielleicht töten. Aber dann müssen alle Anderen außer dir sterben: Die neuen Rekruten, der Offensivtrupp und ich. Wir werden unser Leben dafür opfern." Levi sah erschrocken zu mir. Das gleiche Gefühl, welches ich grade empfunden hatte, herrschte nun in ihm. Ich blickte weg, blickte zu Jens, Bastian und Auruo, die hinter mir standen, und lächelte gezwungen.
„Wir machen das schon." sagte ich zu ihnen. Sie nickten zurückhaltend.
„Ich muss sie alle anführen. Ich muss sie wie ein Betrüger mit schönen Worten verführen, doch ohne mich an der Spitze wird sich wohl außer der Offensivtrupp keiner darauf einlassen. Also werde ich an vorderster Front sterben. Ohne jemals zu erfahren, was in diesem Keller ist." erklärte Erwin.
Erschrocken sah ich zu ihm. Dieser Keller - in diesem verdammten Moment sprach er von dem Keller? Wir alle hörten den Tod anklopfen. Wir alle sahen ihm bereits entgegen und ihm fiel nichts Besseres ein als der Keller? Ich schluckte schwerfällig und sah zu Levi. Seine Augen waren geweitet. Auch er war mehr als überrascht.
„Ich würde am liebsten jetzt in diesen Kellerraum gehen. Nur der Glaube daran, dadurch noch mehr erfahren zu können, hat mich durchhalten lassen. Wie oft dachte ich, es wäre leichter zu sterben, doch dieser Traum ließ mich nicht los und jetzt ist es so greifbar nah." sagte der Kommandant, während er sich auf eine Kiste saß. Unsicher schob ich meinen Trupp von ihnen weg. Ich wollte nicht, dass sie diese Worte hörten. Ich wollte nicht, dass sie erkannten, dass er nicht ihren Tod, sondern nur das Verpassen des Kellers betrauerte. Ich wollte nicht, dass sie den Schmerz spürten, den ich grade fühlte. Mein Herz war zerrissen. Ich würde diesem Mann folgen und innerlich darüber weinen, niemals wieder mit Levi durch die Stadt wandern zu können. Ihn niemals mehr küssen, niemals mehr fühlen zu können und gleichzeitig ihn verlassen zu müssen. Und Erwin? Er würde gleichzeitig einem Keller nachtrauern - was war er bloß für ein armer Mann?
Unsicher blickte ich zurück. Levi kniete vor Erwin. Er starrte seinen Kommandanten ernst an. Es war vielleicht das letzte Mal, doch ich sah Erwin lächeln. Dann stand Levi auf und blickte traurig zu mir herüber. Es war entschieden: Der Kommandant würde die Armee zur Ablenkung dem Tier-Titanen entgegenreiten lassen. Die Armee - das hieß, auch ich war bei diesem Ritt in den Tod dabei. Levis Augen verrieten mir, dass er sich dessen bewusst war und auch Erwin sah zu mir herüber. Er überlegte nicht. Er und ich wussten, was das Richtige war:
"Das involviert auch dich, -dN-" rief er mir zu. Levi nickte. Er würde nicht widersprechen. Jede Entscheidung Erwins hatte er mitgetragen, jeden Plan unterstützt. Auch wenn ich heute sterben würde, würde er dieses Handeln nicht bereuen. Doch was machte es mit ihm? Er sah mich resigniert an. Den Glanz, den ich seit einigen Wochen immer wieder in seinen Augen entdecken konnte, er war fort. Ein tiefer Schatten legte sich in sein Gesicht ab. Es war der Schatten des Vergessens. Sein Anblick schmerzte mich. So sehr ich es mir auch wünschte, ich konnte nicht um mein Leben betteln – nein, ich wollte es nicht. Auch ich musste mich opfern, so wie all diese Soldaten um mich herum. So wie sie hatte ich Angst. So wie sie erfüllte mich die Panik. Doch es war egal. Am Ende hatte ich keinen Grund mich zu weigern - keinen als meinen puren Egoismus. Langsam ging ich auf Levi zu. Diesen einen Moment wollte ich mir noch nehmen. Sein Blick veränderte sich nicht. Sein Wunsch, sein Verlangen - es war bereits verdrängt und dennoch umarmte ich ihn ohne zu zögern. Was die Anderen nun von uns dachten, war nicht mehr von Bedeutung. Sie würden wie ich dieses Wissen über seine Gefühle mit in den Tod nehmen.
"Erinnere dich nicht an diesen Moment, Levi. Erinnere dich an all jene, die uns glücklich gemacht haben. Ich habe sie alle genossen. Diese einzelnen Minuten, in denen ich an deiner Seite war." flüsterte ich und atmete tief durch. Sein Duft umwarb mich. Sandelholz - es tröstete mich. Ich wollte diesen Geruch in meiner Erinnerung behalten – so lange, bis auch mich ein Stein in den Tod reißen würde. In den Tod, der immer lauter klopfte. Levi umschlang mich mit seinen Armen und drückte sein Gesicht in meinen Hals. Wahrscheinlich wünschte er sich, dass dieser Augenblick nie enden würde. Doch ich spürte Erwins Blicke und löste mich langsam aus den Armen, die mich so oft liebkost hatten. Ich lächelte gezwungen, sah zu seiner Nase, um nicht seinen Blick auf mir zu erkennen. Doch Levi griff vorsichtig mein Kinn und führte seine Stirn an meine. Er sah mir tief in die Augen – sah in meine Seele hinein. Ganz tief in mir entdeckte er meine Angst und meine Traurigkeit. Wahrscheinlich wollte er sie auslöschen. Vielleicht wollte er auch einfach nicht bereuen, es nie getan zu haben. Also flüsterte er es mir entgegen und blickte dabei in ein Gesicht voller Tränen:
"Ich liebe dich."

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now