62. Die Rückeroberung der Mauer Rose beginnt

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Levi und ich schritten geschwind durch die Gassen Trosts und stellten uns zu einigen anderen Soldaten auf einen Aufzug, der uns auf die Stadtmauer transportieren sollte. Wir schwiegen. Einige Kameraden sahen uns verwundert an. Sicherlich waren sie überrascht, dass grade die Truppenführer, die in ihrer Funktion auch als Vorbilder dienten, deutlich zu spät kamen. Ich räusperte mich und grinste den Gefreiten an, als er bereits zum dritten Mal sein Tuch richtete. Selten war er so unsicher wie jetzt. Selten wegen solch einer Kleinigkeit angespannt. Was wohl in seinem Kopf vorging? Er blickte verwundert zu mir. Doch dann lächelte er. Wahrscheinlich erinnerte er sich an das Versprechen, was ich ihm gegeben hatte, als wir uns angezogen hatten.
„Dann versuche ich eben nicht mehr vorzurennen, sondern neben dir zu bleiben."
Hatte ich zu ihm gesagt. Mein Herz hatte sich dabei schwer angefühlt und ein innerer Druck sich seinen Weg in meinen Bauch gebahnt. Ich war unsicher, ob ich dieses Versprechen wirklich halten konnte. Mir war bewusst, dass es nur eine Floskel war, um ihm ein gutes Gefühl zu geben. Das wirkliche Handeln würde deutlich schwerer werden, als diesen einen kurze Satz zu äußern. Aber ich wollte es wenigstens versuchen, an meinen Gewohnheiten zu arbeiten und diese zu verändern - für ihn.
„Ah, Levi. Seit wann kommst du zu spät?" kritisierte Erwin den Gefreiten, der an ihn herantrat, während ich mich zu meinem Trupp gesellte. Jens schmunzelte.
„Perfekt, ihr seid alle schon da. Dann kann es ja losgehen." äußerte ich und sah mich um. Der gesamte Aufklärungstrupp schien nun beisammen zu sein. Aufgereiht standen die Soldaten auf der Stadtmauer und sahen hinunter zu den Menschen, die ihnen zuwanken oder hier und da etwas hochriefen.

„Erobert die Mauer Maria zurück!"
„Kommt alle wohlbehalten wieder nach Hause!"
„Danke, dass ihr unsere Stadt gerettet habt"

Es waren aufbauende Sätze, die uns diese Menschen zuriefen. Es waren Sätze, die uns anspornen oder Hoffnung machen sollten. Es war Dankbarkeit, die sie für uns empfanden. Ich lächelte und erinnerte mich an den Kampf, den ich hier in Trost geführt hatte. Er war grausam und aufzerrend gewesen, doch am Ende hatten wir diese Stadt gerettet, wobei das Eintreffen des Aufklärungstrupp eine enorm große Rolle gespielt hatte. Ich war damals unglaublich erleichtert über ihre Ankunft gewesen und ich war es bis heute noch.
„Diese grölenden Egoisten...." beschwerte sich Levi nun. Er blickte genervt zu Erwin, der lächelte.
Einige Soldaten jubelten den Menschen entgegen - unter ihnen auch die Mitglieder des Elitetrupps, die ihre Begeisterung lauthals kundtaten.
"Ihr könnt euch auf uns verlassen." schrien sie. Ich lachte. Diese Freude und Motivation waren ansteckend. Mein Herz begann zu klopfen. Obwohl ich zuvor so viel Angst vor dieser Mission hatte, fühlte ich mich nun beinah kribbelig. Ich konnte es nicht abwarten, loszureiten und den Wind in meinem Haaren zu spüren. Ich konnte es nicht abwarten, mich den Gefahren zu stellen und alles zu geben, um den Menschen neue Hoffnung zu schenken.
„Soweit ich weiß, war das noch nie da." meinte Erwin plötzlich zu Levi. Er hob seinen Arm und jubelt ebenfalls, sodass die gesamte Armee damit begann. Levi blickte sich verwundert um. Unsere Blicke trafen sich. Ich grinste ihm entgegen. Was er wohl jetzt in diesem Moment dachte? – das fragte ich mich. Doch Erwins Befehl riss mich aus meinen Gedanken:

„Die endgültige Eroberung der Mauer Maria kann beginnen!"

Die Soldaten begaben sich mit ihren Pferden auf die Aufzüge und ließen sich herunter in die Ebene fahren. Jens übergab mir Wolke, die ich mit einigen Streicheleinheiten begrüßte. Sie sah mich eindringlich an und stupste mich an meinem Bauch an.
„Wolke, wie ungezogen du heute bist." Ich lachte und umarmte ihren Kopf. Diese Mission war nicht nur für uns Menschen gefährlich. Auch unsere Tiere würden verletzt werden können oder gar sterben – so wie Sturm es damals widerfahren war.
„-dN-, wir sind jetzt dran!" sagte Auruo zu mir. Ich nickte ihm zu und betrat mit meinem Trupp den Aufzug. Langsam wurden wir heruntergelassen und stiegen, unten angekommen, auf unsere Pferde auf, um uns unserem Kommandanten anzuschließen.
„Opfert eure Herzen!" schrie Erwin, nachdem unser gesamter Trupp vor der Mauer versammelt stand. Er zeigte mit gezogenem Schwert zur Sonne und ritt los. Die Menge tat es ihm gleich. Motiviert galoppierten wir dem Sonnenuntergang entgegen.
Unsere Reise war beschwerlich. Im Dunkeln ritten wir zunächst über die Ebene, dann durch einige Waldgebiete. Hier und da sahen wir Titanen, doch sie alle schliefen und stellten zumindest für diese Moment keine Gefahr da. Die, die es uns leicht machten, erlegten wir. Die, bei denen der Nacken nicht erreichbar war, verschonten wir, um selbst nicht ein unnötiges Risiko auszulösen. Ich seufzte beschwerlich. Sobald ich ein Titan sah – nein roch – krümmte sich mein Magen. War ich mittlerweile so aufgeregt, dass mich selbst ein schlafendes Monster unruhig machte?
Hanji und ihr gesamter Trupp schloss sich uns an. Wir ritten gemeinsam und unterhielten uns.
„Du siehst blass aus. Geht es dir nicht gut?" erkundigte sich die Braunhaarige nach meinem Befinden. Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, alles in Ordnung. Nur langanhaltende Magenprobleme."
„Vielleicht solltest du damit zum Arzt...."
„Werde ich nach dieser Mission wohl...Um ehrlich zu sein, gehe ich davon aus, dass mein Magen einfach nur gereizt ist. Da wird auch ein Arzt kaum etwas tun können." Ich presste meine Lippen zusammen.
„Mmmh, vielleicht solltest du dich einfach in der nächsten Zeit etwas zurückhalten..."
„Warum?"
„Nur so ein Gefühl..." Hanji grinste mich an. Ich blickte verdutzt zu ihr und schüttelte den Kopf.
„Als könne ich das...."
„Aber Levi ist besorgt, -dN-." Mein Atem stockte. Ein Druck breitete sich in meinem Bauch aus. Ich strich mit meiner Hand über meinen Leib und stöhnte leise.
„Wie willst du das wissen?" schnaubte ich schon fast.
„Na ja, er redet ja nicht viel.... Aber in letzter Zeit eben doch mehr als sonst." Hanji seufzte. „Ich sollte dir das gar nicht sagen, -dN-. Er muss selbst mit dir darüber sprechen....."
Die Braunhaarige spornte ihr Pferd an und ritt den Hügel, der nun vor uns lag, hinauf. Begeistert blickte sie zum Horizont. Die Sonne beschien ihren Rücken und betonte dabei das Symbol des Aufklärungstrupps: Die Flügel der Freiheit. Der Morgen traf ein und würde nun zeigen, ob sich diese Flügel ausbreiten oder ob sie, gestutzt von dem Schicksal, versagen würden. Ich nickte. Alles in meiner Macht Stehende würde ich tun, um meinen Kameraden das Fliegen zu ermöglichen - alles. Motiviert ritt ich zu Hanji hinauf und sah mit ihr der Stadt Shiganshina entgegen. Sie lag im Schatten der Hügel und schien beinah auf uns zu warten.
„Alle so vorgehen, wie geplant!" schrie Erwin nun, der bereits etwas weiter unten gemeinsam mit Levi stand und der Stadt entgegenblickte. Die Soldaten galoppierten los. Unser Ziel war zunächst das Sichern der Stadtmauer.
„Dann mal los!" wandte sich Hanji nun an mich. Ich nickte. Die Rückeroberung der Mauer Rose begann.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now