22. Chancen

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Wir kamen am Bezirk Ehrmich an und betraten die Stadt. Menschenmaßen kamen uns entgegen. Die Flucht aus dem Gebiet schien bereits begonnen zu haben.
"Lauf weiter! Sonst gehst du mir noch verloren..." sagte Levi und trat den Pastor nach vorn. Dieser stand geschockt da und flüsterte:
"Grundgütiger....." Ich sah ihn an und konnte ihm nur zustimmen. Diese Menschen waren alle verzweifelt. Sie schupsten einander oder drückten sich gegenseitig zur Seite, um ihr eigenes Leben zu retten.
"Es ist wie in Trost....." sagte ich, "...was hier passiert, passiert immer dann, wenn die Mauer durchbrochen wird. Ihr habt es noch nie gesehen, nicht wahr? Ihr habt das Leid noch nie mit ansehen müssen....." Meine Stimme stockte. Levi blickte mich an und ging gemeinsam mit dem Pastor vor. Ich folgte ihm durch die Menge und lauschte seinen Worten.
"Die Realität ist wohl nicht so wie die Wahnideen, die ihr in eurer Sekte predigt, was? Sieh dir ihre Gesichter gut an... Sie fühlen sich grade ängstlich aber, wenn euer Wunsch sich erfüllt und das Gebiet von Titanen überrannt wird, werden ihre Gesichter noch ganz anders aussehen. Wir werden in den stinkenden Maul eines Titanen unser Leben aushauchen. In schönster Gleichheit und Brüderlichkeit." Ich schluckte. Seine Worte brachten in mir Erinnerungen hervor. Die Bilder meiner Kameraden, die vor meinen Augen starben. Der Schmerz überkam mich. Es brannte in meiner Brust.
"Wir opfern unsere Herzen, nicht wahr?" dachte ich und sah Petra, Eld und Gunther vor mir.
"Uns läuft die Zeit davon. Das verstehen sie doch, oder? Also bitte entscheiden sie sich, ob sie reden oder schweigen wollen!" schrie Hanji den Prediger an und riss mich damit aus meinen Gedanken.
"Ich kann nicht." antwortete dieser. Ein Schweigen ging durch den Stall, in dem wir nun angekommen waren. "Doch ich kann euch jemanden nennen, der selbst entscheiden kann, ob dieses Geheimnis gelüftet werden soll. Sie ist durch eine Blutlinie in dieser Verantwortung. Sie weiß selbst nichts davon, aber sie hat das Recht zu sprechen. Wie ich höre, ist sie in diesem Jahr dem Aufklärungstrupp beigetreten. Ihr Name ist Christa." Die Jugendlichen schraken auf. Sie kannten das Mädchen. Ich sah verdutzt zu Levi. Auch er schien nicht zu wissen, wer sie war.
"Das ist das Mädchen, was immer bei Ymir ist." sagte Mikasa, während Armin sie als blond und niedlich beschrieb. Mir half keiner dieser Beschreibungen weiter und ich wandte mich an den Pastor:
"Dann werden die Wanzen wohl noch warten müssen, Pastor Nick. Aber glauben sie nicht, dass ich sie vergesse. Menschen wie sie stehen auf meiner Liste immer ganz oben." Ich sah ihn hasserfüllt an.
"Ich werde mit dem Pastor in dieser Stadt bleiben. Ihr solltet euch auf die Suche nach dieser Christa machen." meinte Levi nun zu mir und Hanji. Die Braunhaarige stimmte zu:
"Gut, dann sicherst du die Lage hier, Levi. -dN-, ich denke, auch du solltest zur Sicherung der Stadt hierbleiben. Wir werden mit einem großen Trupp die Gegend absuchen. Armin hat bereits eine Idee, wo diese Christa und das restliche Team sein könnten."
"In Ordnung. Wir werden uns oben auf der Mauer positionieren und Ausschau halten. Falls etwas ist, sendet eine Leuchtrakete aus!" wandte ich ein. Hanji nickte und ging gemeinsam mit den Jugendlichen  los. Ich sah zu Levi und dem Pastor.
"Setz dich in Bewegung!" ,meinte der Gefreite und schob den Sektenprediger vor sich her in Richtung der Mauer.

Da standen wir nun weit oben auf der Mauer und sahen dem beginnenden Sonnenuntergang entgegen. Der Wind wehte durch mein Haar und ich blickte leicht genervt über die Ebene. Es war kein Titan weit und breit zu sehen.
"Wo sind die bloß eingedrungen?" fragte ich und ging auf Levi und dem Pastor zu. Die Beiden saßen auf einer Holzbank, welche neben einigen Kisten der Mauergarnison stand. Levi verschränkte seine Arme und schlug ein Bein über das Andere.
"Bisher haben wir kein Loch in der Mauer entdeckt." sagte er skeptisch. "Mmmh...." Ich überlegte. Es stimmte etwas nicht.
"Was, wenn irgendwer die Menschen hinter der Mauer zu Titanen verwandelt, Levi? Vielleicht ist jemand mit diesen besagten Spritzen eingedrungen und nutzt diese, um Menschen in Titanen zu verwandeln und Choas zu verbreiten......" Der Pastor sah erschrocken auf.
"Woher wisst ihr?...."
"Halt deine Klappe, Nick!" ,unterbrach ihn der Gefreite und wandte sich dann an mich: "Das was du sagst, kann durchaus sein......" Levi stand auf und ging zum Rand der Mauer. Er strich sich durch sein Haar und blickte in die Ferne. "Scheiße...." sagte er leise. Wahrscheinlich verspürte er genauso wie ich ein Unbehagen. Die ganze Situation geriet außer Kontrolle. "Weißt du von irgendwelchen Plänen, die unsere Feinde haben könnten?" fragte er nun und kam auf mich zu.
"Nicht wirklich...... Spionage war ein wichtiger Punkt und die Schwächung eures Volkes. Über eine Eroberung oder ähnlichem habe ich nie etwas gehört, aber ich kann es nicht ausschließen...." Wir schwiegen. Der Himmel rötete sich. Die Dämmerung würde jeden Moment über uns hereinbrechen. Ich musterte Levis Gesicht. Beschienen vom Sonnenuntergang wirkten seine Gesichtszüge fein. Seine Augen waren müde und trotzdem glänzten sie. Ich wollte ihn immer noch - und ich wollte ihn Ganz. Weder ein Moment noch eine Nacht mit ihm würde mir reichen. Ich wollte ihn besitzen. Ihn berühren, wann immer ich den Drang danach verspürte.
"Du solltest aufhören darüber nachzudenken, -dN-." meinte Levi und drehte sich weg, "Auf dem Weg, den wir gehen, gibt es nur Verluste." Der Schmerz, der tief in ihm versteckt war - er zeigte sich. Jahrelang musste er bereits unter Smith gedient haben. Wie viele Kameraden hatte er sterben gesehen? Wie viele Verluste ertragen? Levi senkte seinen Kopf. Er biss die Zähne zusammen.
"Also ist es besser, alles zu verdrängen? Statt die Momente zu genießen, soll man vor allem Schönen weglaufen, nur weil es einem entrissen werden kann? Lebst du so dein Leben, Levi? Als loyaler Soldat......." Wenn wir nicht schaffen, dass zu verdrängen, was uns zerstört, verliert unser Leben sein Glück. Denn nichts wiegt schwerer als die dauerhafte Erkenntnis, dass das Schöne eine reine Illussion ist. Ich hatte mich entschieden, mich dieser Illussion mit ihm hinzugeben, bis mich mein Tod aus dieser herausreißt. Doch er lebte lieber glücklos. Welche Verschwendung er damit bagann, war ihm wohl kaum bewusst. Es schmerzte mich, es mitansehen zu müssen. Es kränkte mich sogar. Doch ich beschloss, weiter zu hoffen. Vielleicht würde er uns doch irgendwann diese eine Chance geben. Vielleicht sich dieser Verschwendung bewusst werden. Bis dahin blieb mir wohl nichts anderes übrig, als meinen Blick von ihm abzuwenden und voranzuschreiten.

Einige Soldaten kamen in der Stadt Ehrmich an. Wir entdeckten sie und verließen die Mauer gemeinsam mit Pastor Nick, um uns mit ihnen auszutauschen.
"Gibt es hier echt keine Titanen? Sag mal, Levi. Wo ist denn nun unsere Beute?" fragte ein Mann aufgebracht. Wir blieben stehen.
"Das klingt ja als wärt ihr enttäuscht. Sorry, dass ich euch kein Date mit einem Titan bieten kann. Diesmal hattet ihr Pech, aber ihr könnt jederzeit euch einer unserer Expeditionen anschließen. Wir können ja ab jetzt gemeinsam Seite an Seite gegen die Titanen kämpfen." spottete der Gefreite. Die Soldaten der Mauergarnision sahen nervös um sich.
"Na ja, eigentlich haben wir ja genug zu tun...." sagte einer von ihnen unsicher und stieß seinem vorlauten Kamerad in die Seite. Ich blickte die Männer an. Viele von ihnen waren bisher wohl kaum einen Titanen begegnet. Sie konnten nicht erahnen, was dieser Kampf bedeuten konnte. Wie viel Leid man in diesen Sekunden erlebte und wie viel Kraft es kostetete, dies alles zu verdrängen.
"Die Scouts sind zurückgekehrt!" rief plötzlich jemand von Richtung des Marktplatzes. Wir drückten uns durch die Menge und entdeckten Smith und Pixels, welche bereits bei den Boten standen.
"Ah, -dNN-. Schön euch wiederzusehen." begrüßte mich der Kommandant der Mauergarnison. Ich nickte ihm lächelnd zu. "Wir sind der Einheit von Hanji Zoe begegnet. Sie hatten einige Mitglieder der 104. Einheit bei sich und von diesen haben sich drei als Titanen entpuppt." erklärte der Mann verzweifelt.
"Was sagst du da? Unter uns waren noch drei Titanen...." schrie nun ein junger Mann auf. Er schien im gleichen Alter wie Eren zu sein. Erwin packte den Jugendlichen am Arm.
"Halt Jean. Was ist passiert nachdem sie identifiziert wurden?" Der Bote erklärte uns die Situation. Die Titanenwandler hatten die Überhand gewonnen und Eren am Ende mit sich nehmen können.
"Wir müssen ihn zurückholen." sagte Erwin und wandte sich dann an seinen Trupp:
"Soldaten, sammelt euch! Wir werden an der Mauer entlang reiten und unsere Kamaraden unterstützen! Nehmt eure Ausrüstung und eure Pferde und reitet los!" Ich sah mich um. Aus der Ferne wank mir jemand zu. Es war Auruo. Er saß auf einem Pferd und war in Begleitung von Jens und Bastian.
"Ich werde mich mit meinem Trupp ebenfalls der Mission anschließen." sagte ich zu Erwin. Dieser nickte. Ich rannte auf mein Team zu. Die Männer begrüßten mich freudig. Geschwind setzte ich mich zu Auruo hinten aufs Pferd.
"Los, wir müssen mithalten! Jede Hilfe ist jetzt wichtig!" Wir ritten los. Ich sah zurück. Levi stand noch immer mit dem Pastor zusammen am Marktplatz. Anscheint hatte sich sein Befehl nicht verändert. Er musste sicherstellen, dass wir in Not auf das Wissen dieses Mannes zurückgreifen konnten. Der Gefreite sah uns nach. Wer von uns, würde zu ihm zruückkehren? Er konnte es nur erahnen.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt