100. Neue Gesichter für den Aufklärungstrupp

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„Guten Morgen, Teamführerin -dN- -dNN-. Ich bin Rico Brzenska und bin ab heute Ihnen unterstellt." erklärte sich die streng dreinblickende Frau und richtete dabei ihre Brille. Es waren ihre Augen und ihre Körperhaltung, die mir in der ersten Sekunde, in der sie mir entgegentrat, auffielen. Erstere wirkten kühn und fast schon kühl. Sie sah selbstsicher und entschlossen in diese Welt. Ich konnte bereits jetzt erkennen, dass sie niemals vor einem Feind zurückweichen würde.
„Ich bin Phil Westermeier. Schön euch kennenzulernen." meinte nun der Mann neben ihr. Er wirkte wie der Standardtyp von Mann – der gewöhnliche Soldat, wenn man so wollte und zeigte sich ebenfalls mit erhobenem Haupte. Ich nickte den Beiden zu. Es waren die Soldaten, die Kommandant Pixies mir zur Verfügung stellte. Die Krieger, die seiner Meinung nach im Aufklärungstrupp dienen konnten.

„Vergesst die Förmlichkeiten. Wie ihr sicher wisst, bin ich schon etwas länger Teamführerin und habe bisher all meine Mitglieder mit Vornamen angesprochen. Auch ihr könnt mich gleich beim Vornamen nennen. Ich bin -dN-." Ich lächelte ihnen zu. Im Gegensatz zu ihm verzog Rico keine Mine.
„Freut mich euch kennenzulernen!" rief Phil schon fast aus. Irgendwie erinnerte er mich von seiner Art und Weise an Gunther, was mich plötzlich ein wenig wehmütig werden ließ. Ich atmete tief durch und dachte an meinen früheren Offensivtrupp, bevor ich das Wort ergriff:
„Ich möchte euch darüber aufklären, dass wir ein besonderer Trupp sein werden, denn eines unserer Mitglieder sitzt im Gefängnis und wird uns zunächst nur wenn nötig begleiten. Ihr werdet ihn also zu einem späteren Zeitpunkt erst kennenlernen. Hoffentlich können wir gemeinsam Übungen machen...."

„Wir sollen mit einem Verbrecher zusammenarbeiten?" zischte Rico. Sie kniff ihre Augen zusammen und schien an meiner Aussage zu zweifeln.
„Es hat seine Gründe... Königin Historia persönlich hat dieses Vorgehen erlaubt."
„Das gesamte Militär weiß doch, dass die Königin und der Aufklärungstrupp eine spezielle Verbindung hat..." äußerte mein neues Teammitglied nun. Phil sah uns verdutzt an. Es war unser erstes Treffen und dennoch begannen wir bereits jetzt eine Diskussion. Das mit mir und Rico sollte eine sehr spezielle Kameradschaft werden.
„Ich erwarte vollstes Vertrauen, Rico! Von euch Beiden und ich dulde in dieser einen Sache keine Beschwerden. Ich trage das Risiko. Ich fälle die Entscheidungen." schimpfte ich. Vieles konnte ich ertragen. Vieles erdulden und dennoch - ich musste mich auf diese Zwei verlassen können, besonders so lange ich Kenny nur zum Teil vertrauen konnte. Ich griff mir an die Stirn und überlegte. Doch dann meinte Phil auf einmal:
„Ich vertraue euch, Truppenführerin! Ich habe euch damals in Trost kämpfen gesehen. Ich habe gesehen, wie ihr einen Titanen nach dem Anderen erlegt habt und niemals gewichen wart. Es war unglaublich."
Rico blickte etwas genervt zu ihrem Kameraden.
„Sie hat Talent, mehr nicht." meinte sie, aber ihre Mimik sagte etwas anderes. Ich konnte es in ihrem Gesicht erkennen: Sie respektierte mich zumindest für diese eine Leistung ein wenig. Vielleicht war genau das der Anfang, den ich benötigte, um unser Vertrauen zueinander zu stärken.


Der Bau des Hafens – er ging endlich voran. Der gesamte Aufklärungstrupp verbrachte seine Zeit im Gebiet der neuentstehenden Schutzanlagen oder in der Stadt Shiganshina, in welcher wir Zimmer gemietet hatten, um zumindest hin und wieder ein vernünftiges Bett und ein erholsames Bad zur Verfügung zu haben.

Eren und Armin nutzten ihre Titanenkräfte und verkleinerten mit riesigen Felsbrocken die Meerenge, sodass große Kriegsschiffe nach meiner Einschätzung keinen Einlass mehr zur Insel finden konnten. Zudem transportierten der Attackierende Titan häufig auch Baumaterialien, um auch so ein wenig Zeit zu sparen. Ich war zufrieden mit ihrem Einsatz und half selbst wie alle anderen des Trupps beim Bau der Gebäude. Wir errichteten sie in strandnähe – darunter auch eine Kaserne und ein kleines Gasthaus - und erweiterten daraufhin den bereits vorhandenen Steg. Die Arbeit war schwer, doch der Einsatz lohnte sich. Nach einem halben Jahr konnten die Arbeiter bereits den Bau der Schutztürmen beginnen. Ich war mehr als zufrieden.

Das Militär zog sich in dieser Zeit etwas mehr aus dem Vorhaben zurück und nahm bereits seine Position am Hafen ein, um dauerhaft Soldaten in diesem Bereich stationiert zu haben. Es war der Aufklärungstrupp der hier vorrangig eingesetzt wurde – eine Entscheidung des Generals, die ich sehr begrüßte, denn ich liebte das Meer und fühlte mich mehr als nur wohl.

„-dN-, wach auf!"
Levi weckte mich wie fast jeden Tag und schüttelte mich dabei leicht, um mich endlich aus dem Schlaf zu reißen. Neben ihm stand Kuchel. Sie starrte mich genauso wie ihr Vater an.
„Mama auf!" sagte sie und riss dabei ihre Arme in die Luft. Ihr schwarzes, noch kurzes Haar war bereits feinst säuberlich gekämmt und sie frisch angekleidet.
Ich stöhnte angestrengt und gab den Beiden nach, um mich schnell fertig zu machen. Der Gefreite beobachtete mich dabei und erklärte:
„Wir haben gleich das Treffen mit dieser Carolin. Hast du dir schon überlegt, wie wir sie einbinden wollen?"
„Na ja, sie soll uns, so gut sie kann, unterstützen. Was gibt es da zu überlegen?"

Levi sah zu Kuchel. In den letzten Monaten hatten wir mit der Kleinen so viel Zeit wie möglich verbracht. Sie folgte uns beinah automatisch, indem sie einem von uns den ganzen Tag hinterherlief und dabei meist Bauarbeiterin spielte oder im Sand buddelte. Letzteres versuchte Levi ihr meist auszureden – doch es war vergeblich.

Nun – nachdem Kuchel eineinhalb Jahre alt war, hatte ich mit Hanji besprochen, dass wir ein Kindermädchen auf Kosten des Militärs einstellen könnten. Es wäre die Möglichkeit, die ständige Doppellast ein wenig zu verringern, doch Levi gefiel der Gedanke trotz allem nicht. Er sorgte sich um seine Tochter – immerhin hütete er sie wie einen Schatz. Ich musste bei diesem Gedanken ein wenig schmunzeln. Freiwillig jemanden loszulassen, gehörte nicht unbedingt zu seinen Stärken.

„Lass uns gehen!" meinte ich zu ihm und strich ihm dabei über den Rücken. Sein Blick traf auf meinen. Er offenbarte mir seine Unsicherheit – ein Gefühl, welches ganz normal war. Kuchel war unser erstes Kind und wir in vielerlei Hinsicht nicht die typischen Eltern. Wir hatten kaum Kontakt zu anderen Soldaten mit Kindern und somit auch keinen Austausch darüber, wann die Zeit für bestimmte Dinge gekommen war. Zudem kannte Levi den Begriff Kindheit fast nur als Wort, da er selbst niemals eine solche erlebt hatte. Woran sollte er sich also orientieren?

„Wir werden sie ja nicht gleich komplett abgeben." beruhigte ich ihn und verließ gemeinsam mit den Beiden unser Zimmer, um uns zum Gasthaus, welches sich nebenan befand, zu begeben.

Da stand sie bereits im Eingangsbereich mit einem kleinen Jungen an der Hand und blickte sich um – Carolin. Ich erkannte sie sofort wieder. Vor einigen Jahren diente sie als Krankenschwester auf der Festung Elend und hatte mich nach einem kleinen Missgeschick versorgt. Damals hatte ich sie um ihre offene und herzliche Art beneidet und mich selbst gefragt, wie man jemanden wie mich überhaupt mögen konnte. Ich hatte Hoffnungen gegenüber Levi gehegt und gespürt, dass ich mich zu ihm hingezogen fühlte, obwohl er mir nur selten sein Interesse gezeigt hatte. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Bei dem Gedanken daran, wie er mich zurück zur Festung gebracht hatte, bekam ich Gänsehaut.

„Guten Morgen Hauptgefreiter Levi und guten Morgen Teamführerin -dN-." sagte sie leicht verbeugend, während sie ihren kleinen Sohn – er musste ein wenig älter als Kuchel sein – anstupste.
„Hallo!" rief dieser aus, was seine Mutter ein wenig verärgerte. Wahrscheinlich hatten sie die Begrüßung einige Male geübt und er es am Ende doch nicht so, wie geplant, umgesetzt. Ich musste grinsen.
„Guten Morgen." meinte ich- Entspannt zeigte ich zu einem Tisch, an welchen wir uns alle begaben, um die Aufgaben, die Carolin übernehmen sollte, zu besprechen.

Levi und ich erzählten ihr von Kuchels Vorlieben und Ängsten, von den Dingen, die sie konnte und nicht beherrschte, und von unseren Vorstellungen, wie unsere Tochter zu erziehen war. Carolin hörte uns zunächst geduldig zu und erklärte daraufhin selbst, dass sie alleinerziehend war – ihr Mann war bei dem Angriff der Titanen ums Leben gekommen – und dass sie die Aufgabe nur im Beisein ihres Kindes erledigen könnte. Wir stimmten diesem zu. Sie war eine sehr sorgfältige Frau – das hatte ich immerhin am eigenen Leibe mitbekommen – und ich war mir sicher, dass der Kontakt zu einem anderen Kind Kuchel guttun würde. Auch wenn sie seit dem Entdecken des Jungen, nur zu ihm starrte und den sturen Blick ihres Vaters aufgesetzt hatte. Ich seufzte. Sie war ihm mittlerweile wie aus dem Gesicht geschnitten.

„Ab wann könnt ihr die Position einnehmen?" fragte Levi nun. Er nippte an seinem Tee, der soeben serviert wurde, während er Kuchel vorsichtig ein Glas Saft reichte.
„Ab jetzt."
„Wunderbar. Dann seid herzlich wollkommen." äußerte ich freudig. „Ich werde euch gleich euer Zimmer in der Kaserne zeigen. Ihr dürft euch an der Nahrung des Militärs bedienen und könnt auch Bescheid geben, wenn ihr Kleidung braucht. Wir versuchen euch, so gut es geht, entgegenzukommen."
„Vielen Dank. Lukas, willst du nicht Kuchel dein Pferd zeigen?" meinte Carolin nun und wühlte dabei ein kleines Holzspielzeug aus ihrem Beutel. Lukas nahm es und nickte.
„Pferd!" rief er Kuchel zu und wedelte damit rum. Unsere Tochter sah ihn kurz an, wandte dann aber ihren Blick ab und zeigte auf Levi.
„Papa, hoch!" befahl sie und ließ sich dabei von ihrem Vater auf den Schoss nehmen. Ich lachte.
„Entschuldigt, sie ist andere Kinder nicht gewohnt. Kommt, ich führe euch ein bisschen herum!"

Ich ging gemeinsam mit Carolin und ihrem Kleinen zur Kaserne, um ihr die Räumlichkeiten zu zeigen und gleichzeitig noch einige Dinge zu klären. Die herzliche Frau war begeistert, wie viel wir ihr boten, um die Kinderbetreuung zu übernehmen, und sprach mit mir über ihre momentane Lage. Ich verstand ihre Situation. Das Leben als alleinerziehende Mutter war sicherlich nicht einfach und dennoch strahlte sie eine unglaublich positive Aura aus. Eine Aura, die unserer Tochter sicher guttun würde.

Lächelnd beugte ich mich zu dem kleinen Lukas hinunter und nahm seine Hand.
„Ab heute gehörst auch du zum Aufklärungstrupp." erklärte ich. Er grinste und zeigte wieder auf sein Spielzeug.
„Pferd!"
„Ja, Pferde haben wir auch." meinte ich. Doch plötzlich hörte ich herbeistürmende Schritte. Ich drehte mich um und erblickte Rico. Sie stöhnte angestrengt – ihre Augen waren starr und ängstlich.
„Was ist los, Rico?" fragte ich und ging sofort auf meine Kameradin zu.
„Ein Schiff..." Meine Augen weiteten sich. Diese Aussage – sie verhieß nichts Gutes.   

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt