45. Unterschiedliche Welten

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Die Krönung war das, was man einen Staatsauftritt nennen konnte. Die Bevölkerung jubelte, als Genral Zackley die neue Königin mit der goldenen Krone schmückte. Stolz präsentierte sich die junge Frau der Menschenmenge und hob ihr Zepter empor zur Sonne. Der Himmel strahlte in dem Blau ihrer Augen. Die Herrscherin dieses Volkes war bereit ihren Platz in der Welt einzunehmen. Es war ein gelungener Auftackt ihrer Amtszeit, der zumindest für eine gewisse Zeit das Volk von den tragischen Ereignissen der letzten Wochen ablenken konnte. Ich beobachtete meine Kameraden. Auch sie waren begeistert und erfreuten sich an diesem Ereignis. War ich die Einzige, die das Ganze kritisch sah? Immerhin war dieses Mädchen ab jetzt die Marionette des Militärs. Natürlich würde sie ihre Ideen einbringen und offiziell die Entscheidungen verkünden und tragen, doch die Fäden lagen nun in den Händen von Erwin Smith und General Zackley, sowie weiteren einflussreichen Männern.
Unauffällig setzte ich mich von meinem Trupp ab und schritt durch das Tor Richtung Marktplatz.  Ich seufzte. Wann standen in meiner Heimat die neuen Wahlen an und wer würde sie für sich entscheiden? Wie würde sich die Politik dann gegenüber Paradies verhalten? Auf welcher Seite würden sie stehen, wenn ein Krieg ausbrechen sollte? Hin und wieder überkam mich die Angst, eines Tages meinen eigenen Leuten im Kampf gegenüberstehen zu müssen. Vielleicht müsste ich meine Schwerter dann gegen frühere Kameraden einsetzen. Vielleicht auf alte Bekannte schießen. Im schlimmsten Fall würde sogar Lina ihre Waffen gegen mich erheben. Wie würde ich darauf reagieren? Könnte ich ihr den Gnadenstoß geben? Ich wusste es nicht.
"Entziehst du dich der Krönung?" Levi stand an der Mauer gelehnt und blickte mich kritisch an. Wahrscheinlich war auch er nicht der, der solchen Staatsakten etwas abgewinnen konnte und hielt zu der Menschenmenge Abstand.
"Das ist alles nicht so meins." gestand ich. "Es ist eben nicht..... nicht meine Königin und nicht mein Land...." Ich stotterte etwas. So sehr ich mich als eine von ihnen fühlte, so sehr erkannte ich in Momenten wie diesen, dass ich keine Frau dieses Volkes war. Ich konnte weder die Begeisterung für die neue Herrscherin noch für das ganze Spektakel nachvollziehen. Für mich sollte die Macht vom Volk ausgehen und nicht vom Blut einer Familie. Levi blickte mich skeptisch an. Er kam einige Schritte auf mich zu und lag seine Hand auf meinen Kopf.
"Aber du kämpfst Seite an Seite mit uns...." Ich nickte.
"Ja, weil ich es für richtig halte." sagte ich, doch meine eigene Antwort schnürrte mir den Hals zu. Ich blickte in Levis Augen und erinnerte mich daran, wie sich damals unsere Blicke das erste Mal trafen. Wie schnell ich mich zu ihm hingezogen gefühlt hatte, wurde mir nun schmerzlich bewusst. Hatte ich am Ende seinetwegen diese ganzen Strapazen geduldet? Plötzlich sah ich Petra und Gunther in meinen Gedanken vor mir. Nein, nicht nur meine Gefühle für ihn waren der ausschlaggebende Punkt gewesen. Sie alle hatten mich mit ihrer eigenen Art begeistert. Es war ihr Kampfgeist und ihre Hoffnung in solch einer aussichtslosen Situation gewesen, die mich angestachelt hatten. Es waren die Gespräche und ihre Geschichten, die mich berührt hatten. Es war sein Wesen, welches mich gefesselt hatte. Die Menschen dieses Landes hatten mich für sich gewonnen. Daher stand ich nun hier - einerseits glücklich und andererseits ängstlich und unsicher.
"Bereust du es?" fragte Levi plötzlich. Seine Hand glitt durch mein Haar. Ich schüttelte den Kopf.
"Nein...."
"Solange du so entschieden hast, dass du nichts bereuen musst, solltest du dir keine Gedanken machen. Wichtig ist, dass du das tust, was du für richtig hälst." Er sah an mir vorbei zum Tor. "Wo willst du eigentlich hin?" warf er nun ein.
"Jemanden besuchen, aber erst muss ich zu einem Blumenladen" sagte ich und lächelte.
"Dann komm." Levi schloss sich mir an. Wir liefen nebeneinander am Kanal der Stadt entlang und schwiegen. Die Sonne erwärmte den doch kühlen Nachmittag und ließ das Wasser glänzen. Ein paar Gänse flogen über uns hinweg. Ihr Quarken ließ mich gen Himmel blicken. Die Tiere machten sich auf den Weg in den Süden. Traurig sah ich ihnen nach. Würden sie auf ihren Weg auch über meine Heimat hinwegfliegen? "Dein Anblick ist heute kaum ertragbar." Ich blieb stehen und senkte meinen Kopf.
"Zur Zeit geht mir einfach viel durch den Kopf."
"Selbst, wenn du Gänse siehst?" Ich nickte.
"Ja.... Da wo ich herkommme, fliegen sie ebenfalls." Levis Augen weiteten sich. Fast schon unsicher sah er den Vögeln nach.
"Also zeigst du mir später die Orte, wo diese Viehcher jedes Jahr hinfliegen können? Wie absurd...." Er sah mich enttäuscht an. Der Gedanke daran, etwas nicht zu können, obwohl es für andere Wesen so einfach zu sein schien, bedrückte ihn. Doch mein Herz klopfte durch seine Bemerkung. Er hatte es nicht vergessen - das Versprechen, was ich ihm in jener Nacht gegeben hatte, als der Mond uns entgegenschien und ihn mit diesem hellen Schleier bedeckte hatte. An jenem Abend war er mir noch so fern und dieser Wunsch noch so unwirklich gewesen, doch jetzt war es anders. Jetzt standen wir hier und immer mehr erkannte ich, dass er mich suchte, mich fand und mir folgte. Er sah in eine Zukunft, die uns Hoffnung geben konnte. Hoffnung auf eine Freiheit, die wir zusammen erkunden wollten. Das Einzige, was wir tun mussten, war zu überleben. Egal wie - nur überleben. Ich griff seine Hand.
"Ja, als erstes zeige ich dir, wo ich geboren wurde. Dort sind die Städte viel größer als eure. Sie sind teilweise aus Stahl gebaut, sodass die Häuser in den Himmel ragen. Die Felder werden von Fahrzeugen bewirtschaftet und die Menschen arbeiten in großen Fabriken, um mehr Dinge produzieren zu können. Unsere Straßen sind breiter und die Kutschen, die wir haben, brauchen keine Pferde. Sie fahren durch die Kraft der Maschinen..." Ich merkte es nicht, doch ich schwärmte von meiner Heimat. Aufgeregt reihte ich alles aneinander, was mir in den Sinn kam. Es war, als konnte ich endlich nach so langer Zeit meine Wirlichkeit mit jemanden teilen. Levis Blicke wurde immer unsicherer. Ich überforderte ihn. Er konnte sich die Sachen, die ich nannte, weder vorstellen noch irgendwie nachvollziehen. Seine Wirklichkeit fand bisher nur hinter diesen Mauern statt - wie sollte er auch verstehen, wie meine Welt war? Doch er hörte mir zu und hin und wieder sah ich dieses Funkeln in seinen Augen. Er wollte sich diese andere Wirklichkeit nicht nur anhören. Er wollte sie erfahren - diese Welt, die ich ihm versprochen hatte.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now