32. Der Überfall

759 32 2
                                    

Es war bereits Nachmittag. Wir  waren der letzte Trupp, welcher sich noch in der Taverne befand und sich nun ebenfalls auf den Weg machen musste.
"Wir brechen auf." befahl ich. Auruo, Jens und Bastian salutierten motiviert. Ihre Augen strahlten den Willen zum Sieg aus. "Wahre Soldaten..." dachte ich, "angeführt von einer Frau, die weder loyal noch eine von ihnen ist." Warum folgten sie mir? Was sahen sie in mir? Warum vertrauten sie meinem Können? Diese Fragen belasteten mich. Ich dachte an Erwin. Wie konnte er einen ganzen Trupp anführen, als würde er Dinge kommandieren? Seine Emotionen waren verborgen. Die Verluste seiner Armee schienen an ihm abzupralen - jeder war ersetzbar. Er war das Gegenteil von mir. Ein Mann, der nach Effektivität und Logik handelte, befehligte mich, eine Frau, die nach ihrem Gefühl und ihrem Herzen entschied. Eine schlechtere Kombination konnte es nicht geben und dennoch teilte ich mit ihm die Einschätzungen und Handelte nach seinem Ermessen. Am Ende war wohl Levi das Band zwischen uns, welches seine Entscheidungen auf mich übertrug. Er war durch seine Lolyalität gegenüber seinem Kommandanten die Schlinge, die mich an Erwin fesselte. "Welch Ironie...." dachte ich und verließ mit dem Offensivtrupp Trost zu Pferde in Richtung Norden.

In einem geschützten Gebiet befand sich der Außenstützpunkt der Militärpolizei.
"Warum sollen wir so wenige wie möglich töten, wenn sie doch so viele von uns auf dem Gewissen haben?" fragte Jens genervt, während wir an einigen Feldern vorbeiritten. Einige Bauern pflügten den Boden. Ich sah zu ihnen und winkte einem jungen Mann zu. Unsicher fragte ich mich, wo überall unsere Gegner versteckt sein konnten und wandte mich an meinen Kameraden:
"Wir hoffen auf eine Schlichtung, Jens. Wenn wir jetzt Blutbäder anrichten, können wir das vergessen."
"Außerdem sind sie auch unsere Leute." warf Auruo ein. Ich nickte.
"Ja, sicherlich kennt ihr den ein oder anderen aus eurer Ausbildung....." Die Dunkelheit setzte langsam ein und zeigte uns die Sterne. Ich blickte hinauf, blickte den kleinen Lichtern entgegen und dachte an Levi. Waren sie bereits in einem Kampf verwickelt? War er verletzt? Ein Seufzen verließ meine Lippen. Dachte er an mich?
"-dN-, dahinten ist das Lager!" sagte Auruo nun und zeigte Richtung Westen. Es war ein kleines Gebiet. Umzäunt mit Holzbarrikaden bot es Schutz vor Menschen jedoch niemals vor Titanen.
"Sie wiegen sich in ihrer Sicherheit..." flüsterte ich und sprang von Wolke, die zustimmend wieherte. Ich streichelte sie und band sie an einem Baum fest. "Ab hier gehen wir zu Fuß weiter." erklärte ich. Langsam und vorsichtig bewegten wir uns durch das Dickicht und schlichen uns so an die Mauer des Lagers. Wir hörten leises Singen - eine für uns gute Voraussetzung. Vielleicht war das Glück auf unserer Seite und einige Soldaten unaufmerksam oder gar betrunken. Ich überlegte kurz. Sie zu überfallen und dann zu fesseln, um sie auszufragen, wäre sicherlich das Sinnvollste und zudem freundlichste Vorgehen. "Basti, komm mal her!" befahl ich und schlich mit ihm zur Mauer. "Kannst du mich, Jens und Auruo über die Mauer werfen?" fragte ich und musterte ihn. Als er seine Arme hochhielt, reichte er selbst fast bis zum Ende der Holzwand. Er musste weit über zwei Meter groß sein - ein wahrer Riese. Bastian lächelte und nickte. Er faltete seine Hände zusammen, um mir das Aufsteigen auf die Räuberleiter zu ermöglichen. Ich stieg hinein und mit einem Schwung beförderte er mich hinauf, sodass ich mich leise und unauffällig hinüberziehen konnte. Ich landete hinter einem Zelt im Schatten verborgen.
"Perfekt." dachte ich und wartete auf meine Kameraden. Auch sie wurden nach und nach hinüberbefördert. Mit meiner Hand gab ich ihnen das Zeichen, sich in Richtung des Gesanges zu bewegen, um dort die Personen zu überwältigen. Ich hingegen würde zum Tor schleichen, um Bastian den Weg freizuräumen. Sie nickten und wir teilten uns auf. Selbst ein Trottel würde es sofort erkennen: Die Militärpolizei war Probleme nicht gewohnt und handelte dementsprechend unvorsichtig. Ich schlich mich an das Tor. Die Wache war eine junge Frau, die müde vor sich hinstarrte. Entspannt fummelte sie an ihren Fingernägeln und pfeilte diese. Ich schüttelte den Kopf. Solch ein Handeln würde beim Aufklärungstrupp nicht geduldet werden und dennoch konnte ich froh sein, dass diese Gegnerin mir solch eine Möglichkeit bot. Nach einem kurzen Umschauen rannte ich los und sprang mit einem Satz hinter sie. Sie drehte sich erschrocken um, öffnete noch ihren Mund, um einen Hilferuf von sich zu geben, doch meine Faust prallte mit Schwung in ihr Gesicht. Ich schlug sie bewusstlos. Ein Schmerz durchlief meine Finger. Ich war es nicht gewohnt, meine Fäuste als Waffen zu nutzen und hatte auch nicht das Bedürfnis, dies zu erlernen. "Hey..." flüsterte ich zu Bastian. Er hob die Hand, als würde er "Hallo" sagen, und folgte mir hinein ins Lager. Immer noch war es still. Die Ruhe war fast unerträglich. Doch dann hörten wir einen Schrei:
"Eindringline!" Aurou und Jens wurden entdeckt.
"Angriff!" schrie ich mit voller Kraft. Ich zog meinen Dolch und rannte los. Bastian bewegte sich parallel zu mir, so wie ich es ihm vor einigen Tagen gezeigt hatte - ein vielversprechender Soldat. Ich sprang um eine Ecke, um einen Gegner in die Arme zu laufen. Er schreckte zurück. Geübt drehte ich meinen Dolch in meiner Hand und schlug mit dem Knauf gegen die Stirn des Mannes. Ein kurzes Zucken durchzog den Körper des Mannes, welcher in sich zusammenfiel. Mühevoll fesselte ich mein Opfer. Sehr lange würde er nicht bewusstlos sein, dafür war mein Schlag einfach zu schwach gewesen. Ich blickte zu Bastian. Auch er hatte bereits zwei Soldaten gefesselt und zeigte mit einem Daumen hoch. Ich grinste. Diese Mission war ein Leichtes gewesen. Wir waren erfolgreich.

In der Mitte des Lagers auf eine Art Feuerplatz sammelten wir unsere gefesselten Opfer. Es waren am Ende fünf Männer und drei Frauen, welche sich in diesem Lager aufgehalten hatten - eine überschauliche Gruppe.
"Wer ist euer Anführer?" fragte ich und sah in die Runde.
"Ich...." rief eine etwas ältere Frau. Sie hatte graues Haar, doch ihre Augen strahlten ein jugendliches Feuer aus. Ich stellte mich vor ihr und bückte mich zu ihr hinunter.
"Irgendeine Ahnung, wo sich Eren Jäger oder Historia Reiss befinden?" Sie schüttelte den Kopf. "Mmmh....." gab ich von mir und sah mich um. "Jungs, durchsucht das Lager!" befahl ich und wandte mich wieder an die Soldatin: "Dann schauen wir uns mal um."
In kurzer Zeit hatten Jens und Bastian einige Dokumente ausfindig gemacht, welche sie mir stolz präsentierten. "Was steht da?" fragte ich leise. Die beiden Männer sahen mich geschockt an.
"Kannst du nicht lesen?" rief Jens aus. Ich fasste mir ins Gesicht. So langsam wurde es immer komplizierter, meine Herkunft zu verheimlichen.
"Fass es bitte einfach zusammen, Jens!" stotterte ich unsicher. Ich spührte die Hitze in meinen Wangen. Die ganze Situation war mir mehr als unangenehm. Jens nickte nun und erzählte mir, dass hier in der Nähe eine Höhle sei, in welcher Reiss seine Tochter und Eren gebracht hatte. Die Militärpolizei beobachtete das Vorgehen von hier aus. Eine Untergruppe in ihrem Trupp wäre dabei der Familie Reiss verbunden gewesen.
"Also eine Art Spezialtrupp für die königliche Familie...." gab ich von mir und überlegte. Konnte dieser Typ einer von ihnen gewesen sein? Immerhin hatte er mit seinen Leuten Eren und Historia entführt. Zudem sprach auch die spezielle Ausrüstung der Leute für sich. Wenn dies der Fall war, mussten wir uns auf einen harten Kampf einstellen. Ein Kampf um Leben und Tod. Ich fasste mir an den Kinn und überlegte. Wie sollte ich nun vorgehen?

Plötzlich hörten wir Wagen, die in das Lager hineinfuhren. Erschrocken gab ich das Zeichen in Deckung zu gehen und versteckte mich selbst hinter ein Zelt.
"Die Mission war hier also auch erfolgreich...." hörte ich Levi sagen. Voller Freude sprang ich aus meinem Versteck und erschrack selbst über mein Verhalten. Einige der Soldaten sahen mich überrascht an, doch ich versuchte mich wieder normal zu geben.
"Geheimhaltung ist wohl nicht grade deins....." äußerte Levi und blickte leicht genervt zu mir. Er stand auf und sprang vom Wagen, auf welchem sich Armin und Mikasa ebenfalls befanden. "Irgendwelche Neuigkeiten?" fragte er nun und stellte sich zu mir.
"Hier irgendwo in der Nähe soll eine Höhle sein, wo die Beiden gefangen gehalten werden...." erklärte ich. Levi nickte.
"Wir haben die gleiche Information und sind bereits auf den Weg dorthin. Die Höhle soll sich unter einer Kirche befinden. Hanji hat zudem dafür gesorgt, dass der Aufklärungstrupp wieder sein Ansehen zurück hat. Wir können wieder normal agieren."
"Gut." sagte ich und wandte mich an Bastian: "Basti, hol unsere Pferde! Wir werden den Elitetrupp begleiten!"
"Jawohl." rief der Soldat aus und lief los.
"Wie geht es deiner Verletzung?" fragte Levi nun. Seine Augen verweilten auf mir. Ich fasste mir an die Hüfte. Ich spührte ihn immer noch - diesen stechenden Schmerz. Meine Bewegungen waren leicht eingeschränkt, meine Geschwindigkeit gezügelt. Für diesen Kampf hatte es ausgereicht, doch mein nächster Gegner war kein Anderer als der, der mir diese Verletzung hinzugefügt hatte.
"Alles wunderbar." zischte ich. Ich erinnerte mich an seinen Blick und seine Stimme. Miststück hatte er mich genannt. Meine Muskeln spannten sich an. Ich ballte eine Faust. Levi berührte meine Stirn. Mit seiner Hand strich er zärtlich durch mein Haar und holte mich zurück aus meinen Gedanken. Überrascht sah ich zu ihm.
"Du bist eine schlechte Lügnerin, -dN-." sagte er ernst.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now