53. Kinderaugen

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Stohess schien noch zu schlafen. Kaum ein Mensch war zu sehen mit Ausnahme einiger Händler, die bereits zur frühen Stunde ihre Karren durch die Straßen schoben, um ihren Marktstand befüllen zu können. Schnellen Schrittes bewegte ich mich durch die Stadt. Ich atmete tief durch. Die Luft war klar und frisch, doch trotzdem konnte ich diesen leichten Gestank ausmachen, auf den mich Levi damals aufmerksam gemacht hatte. Eine Übelkeit breitete sich in mir aus. Genervt hielt ich meine Hand ins Gesicht und erschnupperte den Lavendelduft, den ich aufgetragen hatte. Er beruhigte meinen Körper.
"Was wollt ihr hier?" fragte mich ein Soldat der Militärpolizei, als ich beim Gefängnis am Rande der Stadt angekommen war.
"-dN- -dNN-, ich bin Truppenführerin des Offensivtrupps unter Erwin Smith. Ich bin hier, um einen Gefangenen zu befragen."
"Wen?"
"Kenny Ackerman."
"Moment...... Axel! Axel?" Die Wache schrie über den ganzen Hof und spruckte dabei wie wild herum. Ich beobachtete das Auftreten dieses Mannes. Es war kein Wunder, dass er als Türsteher diente. Mehr konnte man sehr wahrscheinlich von ihm nicht verlangen.
"Ja, ja...." keuchte ein alter Mann in Uniform.
"Bring die Truppenführerin -dNN- zu Ackerman." Der Alte nickte seinem Kameraden zu.
"Hier entlang bitte!" wandte er sich an mich und führte mich durch das Gebäude. Wir gingen eine breite Treppe hinunter und kamen in einer Art Kerker, welcher jedoch ungewöhnlich groß erschien. Viele Gefangene lagen noch in ihren Betten. Einige saßen auf einem Holzstuhl und starrten zu mir. Ich kratzte an meinem Verband an der Hand. "Dort drüben!" zeigte Soldat Axel und drehte bereits ab. Er schien nicht in der Laune zu sein, mein Gespräch zu überwachen. Nickend ging ich zu der gezeigten Zelle und starrte hinein. Auf dem Bett liegend entspannte Kenny vor sich hin und kaute auf einem Halm herum. Er sah zu mir.
"Ach was...." zischte er und stand auf. "Wen haben wir denn da?"
"Kenny...... Ich hoffe, du hast dich gut eingelebt." stachelte ich. Doch der Mann ignorierte meine Bemerkung.
"Hat dich der Knirps vorgeschickt, um sich selbst nicht hertrauen zu müssen?" Er grinste mich an.
"Nein, ich bin selbst auf die Idee gekommen, dich zu besuchen."
"Mich zu besuchen?" Der scharfe Ton seiner Stimme verschwand. Kenny kratzte sich am Kopf und blickte mir direkt in die Augen. "Was willst du?"
"Warum hast du mich in der Höhle nicht zurückgelassen?" fragte ich. Ich biss mir auf die Unterlippe. Diese Frage kreiste mir seit unserem letzten Mann-gegen-Frau-Kampf im Kopf herum und ließ mir keine Ruhe. Ich verstand es einfach nicht. Er hatte mich direkt angegriffen, mir einige Finger abgeschlagen und mich entwaffnet. In diesem Moment hatte er mich in seinen Händen. Doch statt mich mit ihnen zu zerquetschen, hatte er sie schützend um mich gehalten und mein Leben gerettet. Warum hatte er das getan?
"Mir war einfach danach...." zischte Kenny nun heraus und lehnte sich an die Wand.
"Das glaube ich dir nicht!"
"Was willst du machen? Mich foltern?"
"Vielleicht..." Kenny lachte laut auf. Ich presste meine Lippen zusammen. So kam ich mit ihm nicht weiter. Seufzend fasste ich an einen der Gitterstäbe.
"Du bist ja noch nerviger als der Knirps.... Ganz ehrlich, Schnecke, verkriech dich zurück zu deinem Typen und lass mich in Ruhe!" Kenny lag sich zurück auf sein Bett und wandte seinen Blick genervt von mir ab.
"Ich werde nicht aufgeben, es aus dir herauszupressen, Kenny" schimpfte ich und ging. Er war eine harte Nuss, doch ich war mir sicher, sie irgendwann knacken zu können. Das Einzige, was ich dafür benötigte, war Zeit.

Wie vorher besprochen, traf ich Jens vor den Treppen, die in die Unterwelt führten, und bewachte mit ihm die Überführung einiger Kinder. Die Sonne beschritt ihren Weg über den Himmel hinweg und ich kontrollierte über den Tag verteilt immer wieder unser Vorankommen. Gegen Nachmittag waren die Arbeiten so gut wie abgeschlossen.
"Wir haben gute Arbeit geleistet. Sag den Anderen, dass ihr euch zurück zur Herberge begeben könnt! Morgen werden wir zurück nach Mitras reiten." erklärte ich Jens, während ich Wolke für unseren Ritt vorbereitete.
"Jawohl. Was hast du nun vor?"
"Ich werde den letzten Karren zum Gehöf begleiten. Ich möchte mir einen Eindruck davon machen." Ich schwang mich auf meine Stute. Sie wieherte freudig auf. Lächelnd streichelte ich sie und klopfte ihr anschließend leicht auf die Brust, um sie zu loben.
"Dann gute Reise und bis morgen." äußerte Jens. Er sah mir zu, wie ich langsam losgaloppierte, um den bereits losgefahrenen Wagen einzuholen. Ich bremste Wolke leicht ab, als ich den Karren erreicht hatte und ließ sie nebenher traben. Drei Kinder saßen in diesem: zwei Mädchen und ein recht kleiner Junge. Sie sahen mich gespannt an.
"Seit ihr auch eine Soldatin?" fragte die Größte von ihnen. Sie hatte fettiges, braunes Haar, welches zu einem Zopf gebunden war. Ihr Kleid musste einmal weiß gewesen sein, doch mittlerweile wirkte es bräunlich. Ich nickte.
"Ja, ich bin auch eine Soldatin wie all diese Leute, die euch helfen."
Die Kinder strahlten.
"Dann besiegt ihr böse Menschen!" rief der Junge aus. Er musste sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein und trug wie das Mädchen stark verschlissene Kleidung. Die beiden ähnelten sich. Sie waren aufgeschlossen und munter - ganz im Gegensatz zu dem zweiten Mädchen, was nur stumm dasaß.
"Manchmal muss ich das, ja. Aber eigentlich sind wir dafür da, andere Menschen zu beschützen." erklärte ich. Doch ich spürte wie meine Hände feucht wurden. Dieser Satz fühlte sich wie eine Lüge an. Eine Lüge, um sich bei diesen Kindern als etwas Besseres darzustellen, als ich wirklich war. "Jedenfalls sollen wir Menschen beschützen und viele meiner Kameraden tun dies, so oft sie können." fügte ich hinzu, um mein Gewissen zu beruhigen.
"Tötet ihr auch Titanen?" fragte die Braunhaarige nun. Auch dies Bejahte ich. "Dann seid ihr super stark." Ich lachte auf.
"Wenn ihr jemanden Starkes kennenlernen wollt, dann müsst ihr den Hauptgefreiten treffen. Er hat bisher die meisten Titanen besiegt."
"Ooooh....." riefen die Kinder gleichzeitig aus. Ihre Augen weiteten sich und glänzten mir entgegen.
"Tja Levi, jetzt hast du einige neue Verehrer..." dachte ich und grinste in mich hinein. Mein Herz und mein Bauch kribbelte. Ich hoffte darauf, dass er diese wunderbaren Kinder treffen würde. Diese Kinder, die seinem Einsatz ein neues Leben verdankten. Sie würden das Leid, was er erlebt hatte, nicht ertragen müssen. Sie könnten ab heute ein unbeschwerliches Darsein führen und vielleicht - aber nur ganz vielleicht - eines Tages glücklich werden. Ich blickte zur untergehenden Sonne. Wann könnte auch Levi endlich glücklich sein? Wann würde dieser Krieg endlich enden? Mein warmer Atem ließ eine Dunstwolke in die Kälte hineingleiten. Wir alle hatten uns etwas Ruhe und Harmonie verdient - etwas Frieden.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now