70. Eine Erkenntnis

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Auch ich trocknete mich nach unserem Gespräch ab und lief eilig ins Schlafzimmer. Levi lag bereits im Bett. Er starrte an die Decke, seinen Kopf auf seinen Arm gelegt, und blickte mich verunsichert an.
„Du brauchst dich nicht zu beeilen!" meinte er. Doch ich drückte mich bereits zwischen ihm und die Bettdecke, um auf seiner Brust zu liegen. Er seufzte. „Daran werde ich mich nie gewöhnen..."
„Versuchst du es wenigstens?" warf ich ein und strich durch sein Haar, welches noch ein wenig feucht war. Vorsichtig glitt ich mit meinen Fingern durch die einzelnen Strähnen und starrte in das tiefe Schwarz, was mich so faszinierte. Eine Stille kehrte plötzlich zwischen uns ein. Eine Stille, die nur durch unseren Atem gebrochen wurde. Meine Augen wurden schwer. Die Wärme seines Körpers und sein Duft umhüllten mich. Meine Muskeln entspannten. Sie schmerzten ein wenig, doch hier und da spürte ich bereits eine Erleichterung durch das Liegen und Erschlaffen meiner Glieder. Levis Blick lag auf meinem Gesicht. Er musterte mich kurz und berührte dann meine Wange. Vorsichtig zog er mich an sich heran, bis wir uns küssten. Ganz langsam strichen unsere Lippen aneinander. Beinah zurückhaltend ließ er seine Zunge an meine stoßen, um sie ein wenig später tiefer in meinen Mund zu führen. Ich griff in sein Haar und drückte meine Lippen an seine. Seufzend verlangte ich nach mehr, nur um zu spüren, dass er noch lebte. Dann fasste er in meinen Nacken, um den Druck auf unsere Lippen zu erhören und seine Zunge noch weiter in meinen Mund zu führen. Wir atmeten ineinander. Er in mich und ich in ihn, bis unser Atem zu stocken begann. Dieses Verlangen nach Luft – es zeigte uns, wie lebendig wir waren. Ich löste mich von ihm, blickte in sein leicht gerötetes Gesicht und berührte seine Wange mit meiner Hand. Meine Augen starrten in seine. Sie suchten nach dieser Seele, die dort verborgen war. Ich wollte sie entdecken, vielleicht sogar verschlingen - ganz und gar.
„Lass uns ein wenig schlafen!" stöhnte Levi schon fast. Er drückte seinen Daumen auf meine Stirn und strich mit seinen Fingern durch mein Haar. Ich nickte ruhig. Langsam ließ ich meinen Kopf auf seine Brust nieder und hörte seinem Herzen dabei zu, wie es das Leben durch seinen Körper drückte. Es war der Takt seines Daseins. Der Rhythmus seines Selbst, der immer langsamer wurde und sich der Entspannung ergab. Auch ich ließ es nun endlich zu. Ich ließ die Müdigkeit über mich einbrechen und entschwand damit aus dieser Welt, nur um die Grausamkeit in meinen Träumen wiederzusehen und ertragen zu müssen. Doch auch wenn sie mich bis in meine Träume verfolgten, war da diese gewisse Wärme, die mich es aushalten ließ, um meinem Körper die Erholung zu geben, die ich so dringend brauchte.
Mit dem Gefühl von Einsamkeit wachte ich auf und blickte schläfrig zum Fenster. Draußen war es noch hell, auch wenn die Sonne bereits tief am Himmel stand. Wahrscheinlich hatte ich den gesamten Mittag geschlafen, nur um festzustellen, dass ich mich genauso müde wie vorher fühlte.
Angestrengt bewegte ich mich aus dem Bett und stand auf. Meine Muskeln streikten. Sie schmerzten und zeigten mir, dass die Erholung nicht genug gewesen sei. Doch ich hatte besseres zu tun, als den gesamten Tag zu verschlafen. Eilig lief ich durch Levis Zimmer und entdeckte dabei auf einem Stuhl meinen Dolch, welcher neben ein paar frischen Kleidungsstücken, die Levi wohlmöglich aus meinem Zimmer geholt hatte, platziert war. Ich lächelte verlegen und zog meine frische Uniform an. Dann rannte ich hinüber zu meinem Raum, um meinen Mantel und etwas Geld zusammenzusammeln und ging los.

Trost war an diesem angenehmen Herbstnachmittag besonders lebendig. Die Menschen schienen gut gelaunt. Viele von ihnen nickten mir, sobald sie die Flügel auf meiner Brust entdeckten, zu und ich grüßte mit einem zurückhaltenden Winken zurück. Eilig holte ich mir bei einem Bäcker ein kleines Brot zum Knabbern und stolzierte essend durch die Straßen, die zum kleinen Krankenhaus der Stadt führten. Ich betrat es. Etwas schüchtern stand ich an einem Tisch, hinter welchem eine ältere Dame saß und las. Sie blickte langsam zu mir auf.
„Ah, sie wollen sicherlich die Soldatin Braun besuchen...." meinte sie, doch ich schüttelte den Kopf. Ein wenig heruntergebeugt flüsterte ich schon fast:
„Ich möchte zu einem Arzt, der für Schwangerschaften zuständig ist..." Die Frau sah mich zunächst verdutzt an, nickte aber dann kurz und gab mir ein Handzeichen ihr zu folgen. An einer Tür auf der linken Seite des Flures blieb sie stehen und klopfte dreimal stark auf das Holz.
„Doktor Morgenstern, eine Patientin für sie." kündigte sie an und öffnete dabei die Tür. Ich trat in einen großen Raum, der mit rustikalen Holzmöbeln eingerichtet und durch eine Trennwand in zwei Bereiche unterteilt war. Unsicher blickte ich zu dem älteren Mann, der hinter seinem Eichentisch hervorlugte und mich lächelnd begrüßte.
„Wie kann ich euch helfen, werte Dame?" fragte er und zeigte auf den Stuhl gegenüber. Ich setzte mich und fummelte am Verband meiner Hand.
„Ähm, können sie sehen, ob ich schwanger bin?" stotterte ich und sah auf meine Hände. Der Mann lachte auf.
„Sehen kann ich es wohl nicht, aber vielleicht kann ich es fühlen. Ziehen sie sich unten rum aus und kommen sie hinter die Trennwand. Dann kann ich gern prüfen, ob ich ihnen helfen kann!" meinte er und stand auf. Ich nickte, lag meinen Mantel und meine Stiefel, sowie meine Hose ab und folgte dem Arzt. Ein nicht grade einladender Stuhl stand dort inmitten des Bereiches. Er war mit Eisenteilen versehen, auf welche man seine Beine ablegen konnte. Ich schluckte schwerfällig.
„Setzen sie sich! Es reicht mir, wenn sie die Beine etwas spreizen." warf er ein, um mich zu beruhigen. Ich nickte. An meinem Hemd zupfend, begab ich mich auf den Stuhl und tat, was er verlangte. Der ältere Herr drückte seine Hand auf meinen Unterbauch. Behutsam sah er etwas versetzt an mir vorbei und sprach im ruhigen Ton mit mir:
„War es geplant?"
„Nein."
„Soll es behalten werden?"
„Ich denke ja...."
„Wäre dies ihre erste Schwangerschaft?"
„Ja."
„Einmal bitte kurz stillhalten!" wies er mich an und führte zwei Finger in mich ein, während er immer kräftiger auf meinen Bauch drückte. Ich zuckte zusammen.
„Gut..." sagte er und ließ von mir ab. „Sie haben Recht. Sie sind schwanger, jedoch befinden sie sich in einem sehr frühen Stadium. Der Muttermund ist grade geschlossen. Ihre Gebärmutter hat noch nicht einmal begonnen, ihre Position zu verändern. Das heißt, dass sie sich, falls sie möchten, freuen dürfen, aber trotzdem immer noch damit rechnen müssen, dass sie doch noch ihre Blutung bekommen. Schonen sie sich und essen sie gut! Das ist zurzeit das Einzige, was sie für das Kind tun können!"
Der Arzt sah in mein Gesicht und zeigte auf meine Wange.
„Wann wurde das genäht?"
„Oh, vor vier Tagen... Denke ich." meinte ich und dachte daran, wie Levis Hände mich dabei berührt hatten – wie wir uns geküsst und daraufhin angefasst hatten. Ich errötete.
„Ziehen sie sich vorne an. Wenn sie möchten, sehen wir uns das Ganze gleich einmal an." Eilig sprang ich auf und ging zu meiner Kleidung, welche ich schnellstmöglich anlegte. Fast schon erleichtert trat ich dem Arzt entgegen und schloss meine Augen. Mit einer kleinen Schere schnitt er den Faden durch und nahm daraufhin eine Pinzette. Er zog mit ihr an dem Garn. Etwas zwickend entfernte er ihn und betrachtete die kleine Schnittwunde.
„Das sieht wunderbar aus. Der Heilungsprozess ist fast abgeschlossen." rief er aus und legte seine Instrumente ab. Ich nickte dem Arzt zu und bedankte mich für seine Dienste. Mit einem Lob für die Rückeroberung der Mauer Maria und einem „Kommen sie bald mal wieder!" verabschiedete mich der alte Herr, indem er mir eine Rechnung in die Hand drückte, welche ich bei der Dame am Ausgang bezahlte. Dann verließ ich das Krankenhaus und blickte der untergehenden Sonne entgegen. Ein Seufzen entglitt mir. Nun gab es kein Vielleicht oder Wahrscheinlich mehr. Mein Körper hatte mich nicht betrogen. Ich war schwanger und das nach so kurzer Zeit unserer Beziehung. Unsicher drückte ich meine Hände in die Taschen meines Mantels und starrte noch immer in das helle Licht, was meine Seele zu wärmen schien. Der Wind wehte durch mein Haar – kalt und stürmisch – so wie diese Erkenntnis, die sich mir nun aufzwang.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now