81. Einkehr des Winters

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Vor der Tür des Turmes, welche ich vorsichtig hinter mir schloss, seufzte Levi genervt. Er strich sich durchs Haar, schüttelte dieses etwas nach vorn gebeugt aus und begann sich abzuklopfen.
„So schlimm?" warf ich ein.
„Widerlich." schimpfte er nur.
Ich stellte mich zu ihm und wartete ab. Er sah mich unsicher an. „Am besten reite ich allein nach Mitras und bringe die Dokumente so schnell wie möglich hin... Das Ganze verzögert sich und wir müssen morgen bereits in Trost sein."
„Woran das wohl liegt?" Ich grinste ihn an. Noch immer spürte ich das Ziehen in meinen Beinen und die Entspannung in meinem Schoss.
„Daran, dass du so aufdringlich bist." meinte er und lächelte. Wir gingen schweigend zu unseren Pferden. Ich blickte in das Grau des Himmels. Die Wolken wurden dichter - wahrscheinlich würde es bald beginnen zu regnen, vielleicht sogar zu schneien. Ein Schauer durchlief mich. Immer noch konnte ich dem Winter nichts abgewinnen. Immer noch hoffte ich darauf, dass er so schnell wie möglich vorbeigehen würde, um uns mit der Wärme des Frühlings aufzutauen.
Doch plötzlich entdeckte ich sie: Die erste Schneeflocke dieses Winters. Sie schwebte an mir vorbei zum Boden und landete auf meinem Stiefel.
„Es schneit." stöhnte ich und sah zu Levi. Im Gegensatz zu mir schien er fast schon verträumt auf die Flocken zu warten, so wie er in den Himmel starrte und eine Hand vor sich hielt. Seine Augen leuchteten förmlich. Seine Lippen öffneten sich leicht. Er hauchte seine Wärme hinaus in den Wind, der mit seinem Haar zu spielen schien. Ich atmete tief ein. So oft starrte er in den Himmel und erkannte dabei wohl schmerzlich, dass er sich nach dieser Weite sehnte. Es war diese Freiheit, die nach ihm rief. Diese Freiheit, die ihm so lange verwehrt gewesen war. Ich schluckte schwerfällig. Wie würde sein Leben sich erstmal verändern, wenn die Grenzen von dieser Welt vergessen werden? Wohin würde er sich treiben lassen? Meine Hände wurden feucht. Würde ich wirklich diejenige sein, die ihm diese Welt zeigen würde oder würde er viel zu schnell hinfort treiben? So schnell, dass ich ihn niemals einholen könnte. Langsam sank mein Blick nach unten, sodass ich das Schmelzen dieser einzelnen Flocke mit ansah. Mein Herz wurde enorm schwer. Es war dieses Gefühl, dass er irgendwas zu suchen schien. Irgendwas, was ihn vervollständigen würde und immer wieder musste ich feststellen, dass nicht ich es war, die dies tat.
„Was?" zischte Levi, als er meinen Blick sah. Ich schüttelte den Kopf.
„Nichts.... Wann treffen wir uns in Stohess?"
„Ich werde gegen Abend eintreffen." Levi stieg auf sein Pferd. Er sah zu mir hinunter und seufzte. „Sprich, wenn dich etwas bedrückt!"
„Werde ich... Irgendwann." Ich lächelte gezwungen. Sein Blick – er blieb an mir hängen.
„Pass auf dich auf!" sagte er fast schon zu leise und ritt los. Deprimiert sah ich ihm und seiner Stute nach bis sie ganz langsam am Horizont verschwanden, um mich dann meinem eigenen Pferd zuzuwenden.
„Lass uns los, Wolke!" sagte ich und streichelte den Schimmel. Es wurde auch Zeit für uns aufzubrechen.


In Stohess angekommen, erledigte ich einige Besorgungen und widmete mich dann voll und ganz dem Essen. Mittlerweile war mein Appetit ungewöhnlich groß. Dementsprechend musste ich mir eingestehen, dass langsam meine Hose zu kneifen begann. Ich stöhnte – der Grund für diese Enge war nicht die Schwangerschaft, sondern meine neuen Essgewohnheiten – dessen war ich mir bewusst. Aber in letzter Zeit war alles einfach doppelt so lecker.
„Mmh, ich hätte gern die Pilzsuppe, eine Backkartoffel und sie können auch schon mal Pudding zum Nachtisch kochen!" meinte ich zum Kellner in der Militärkantine. Da sich zurzeit nur wenige Soldaten in Stohess aufhielten, wurde alles frisch zubereitet – mein Glück.
„Erwarten Sie noch jemanden?" fragte der Kellner lächelnd. Ich schüttelte den Kopf.
„Erstmal nicht.... Und falls doch, bestellt derjenige selbst." erklärte ich grinsend. Der junge Mann nickte unsicher und verschwand in der Küche. Seufzend starrte ich ihm hinterher.
„Wenn jetzt bloß Auruo, Jens oder Bastian hier wären." dachte ich plötzlich. Sobald ich mich einsam fühlte und meine eigenen Gedanken hören konnte, begann ich an meine gefallenen Kameraden zu denken. Es war die Stille, die sie aus ihren Löchern hervorkommen ließ. Die Ruhe, die es ihnen ermöglichte, sich in mein Hirn zu drücken. Ich atmete tief durch und fragte mich, wann Levi zurück sei. Wie eine Abhängige hoffte ich darauf, ihn schnellstmöglich wiederzusehen, um mich von dem Leid dieser Welt abzulenken. Er war wie ein Schild geworden, der mich vor der Grausamkeit unseres Daseins schützte, doch gleichzeitig trug er selbst die Narben unserer Missionen in seiner Seele. „Was schaust du schon wieder so trübselig rum?" Ich blickte strahlend auf. Meine Laune stieg im hohen Bogen empor.
„Du bist zurück! Hast du Cook gefunden?" rief ich aus. Levi nickte.
„Die Alte ist so bekannt wie ein bunter Gaul."
„Und wie hat sie reagiert?"
„Auf Schnulzen stehst du jetzt auch noch?" Ich wurde rot.
„Levi..."
„Sie hat mir das Siegel gegeben, auch wenn sie nicht wirklich verstanden hat, warum ich plötzlich über sie und Reiss Bescheid wusste. Das kam wohl alles etwas spät."
Levi beobachtete den Kellner, der meine Bestellung servierte.
„Ah, sie sind ja doch nicht allein..." warf dieser ein und stellte uns den Teller Suppe sowie die Kartoffel hin. „Der Pudding kommt auch gleich." stöhnte er noch.
„Mittlerweile isst du wenigstens vernünftig..." seufzte Levi und wuschelte mir durchs Haar. Ich kicherte.
„Ich habe natürlich gleich etwas für dich mitbestellt."
„Natürlich." Seine Augen sahen mich eindringlich an. Ich schob ihm die Kartoffel zu.
„Die Pilzsuppe kann ich nicht teilen." faselte ich und schob mir erwartungsvoll den Löffel in den Mund. Levi lächelte und schwieg. Langsam zerteilte er seine Kartoffel und ließ sie abkühlen. Er machte keinen Anschein zu Pusten oder sie frühzeitig zu essen – er wartete einfach. Mich machte das schon beim Zuschauen nervös.
„Was?" fragte er, als er meinen Blick entdeckte.
„Gehen wir gleich zu Kenny?" Levi nickte. Sein Blick wurde ernst – beinah düster – und ganz tief in ihm sah ich wieder diese Angst. Ich seufzte.
„Du bist immer noch ein gebrochener Mann..." dachte ich mir und nahm einen weiteren Löffel Suppe.
Immer noch.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now