41. Menschsein

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"Aber was wollt ihr von Peter?" fragte sie nun und zupfte an ihrer Lippe.
"Er soll wohl wissen, wo sich Kenny aufhält." erklärte Levi. Auch er nahm nun eine Scheibe Brot und brach sie auseinander. Genervt sammelte er die entstandenen Krümel ein und legte sie auf den Teller zurück.
"Der Kenny?"
"Ja, er ist mein Onkel."
"Dein Onkel?" rief die Alte aus und hustete. Hastig lehnte ich mich über den Tresen und klopfte auf ihren Rücken. "Ach, du bist ja ein Engel." Sie zwinkerte mir zu.
"Er ist der Bruder meiner Mutter. Wahrscheinlich hat er wichtige Informationen für uns."
"Verstehe. Nun, Levi. Peter war für mich niemals ein Problem. Daher habe ich keinen Vorteil davon, euch Informationen über ihn zu geben. Je nachdem, was du genau wissen willst, wird dich das Ganze also etwas kosten. Du weißt, nichts ist umsonst." Der Blick der Frau verfinsterte sich. So freundlich und fröhlich sie auch grade eben noch gewesen war, jetzt sprach aus ihr die Informatin und diese wusste, was ihr Wissen wert war. Levi nickte. Auch dieses Verhalten überraschte ihn nicht.
"Ich muss wissen, wo genau wir Trommler finden können, Mona. Nenn mir deinen Preis und ich zahle ihn!" Wir konnten uns keine Kompromisse erlauben, das wusste Levi und er sprach es offen aus. Wahrscheinlich war dies die Art, wie man mit dieser Frau handeln musste. Sie duldete keine Heimlichkeiten und keine Tricks. Entspannt lehnte sie sich vor und blickte an mir herunter.
"Der Dolch." sagte sie und zeigte auf meinen Gürtel. Ich blickte herab und entdeckte ihn: Meinen Begleiter. Das Geschenk des einsamen Mannes, der damals mein Herz berührt hatte. Meine Erinnerung an Gunther. Unsicher sah ich zu Levi. Er biss seine Zähne zusammen und überlegte. Ihm war bewusst, was mir diese Waffe bedeutete. Eine Zusage zu diesem Deal würde er nicht aussprechen - egal wie wichtig diese für uns war. Er würde die Entscheidung mir überlassen und sie hinnehmen. Doch auch mir war bewusst, was auf dem Spiel stand und wie viel ihm diese Mission bedeutete. Wir jagten nicht nur Informationen über den Titanen oder der Königsfamilie hinterher sondern seiner eigenen Vergangenheit.  Wie viele Geheimnisse der Familie Ackerman trug Kenny noch mit sich herrum? Was alles konnte Levi wohl noch von diesem Mann über sich erfahren? Für Levi war das alles von enormen Wert. Egal wie gut gefertigt oder fein verarbeitet mein Dolch auch war. Er war für mich niemals mehr Wert als das Schicksal dieses Mannes - niemals.
"Es ist in Ordnung." meinte ich und seufzte kurz. Eine ausgezeichnete Waffe gegen eine wertvolle Information - der Tausch war fair. Ich nahm den Dolch ab und holte ihn aus seinem Ledertäschchen. Mona grinste und nahm ihn an sich.
"Was für eine wundervolle Fertigung." staunte sie und hielt ihn hoch. Ich nickte.
"Er ist von einem ganz besonderen Schmied gefertigt, der ihn für seinen Geliebten hergestellt hatte. Ich gebe ihn dir gern, Mona. Aber ich benötige dein Versprechen, dass du ihn nicht verkaufst." äußerte ich nervös.
"Dem kannst du dir sicher sein, Liebstes. So ein gutes Stück gibt man nicht einfach aus den Händen. Dann ist der Tausch abgemacht. Ich werde euch morgen früh die geforderten Informationen geben. Heute Nacht seid ihr meine Gäste." Ich lächelte. Es war ein wehmutiges Lächeln. Noch immer hielt ich meine verletzte Hand fest und fummelte nervös daran. Levi berührte meine Schulter, dann meinen Arm und meine Hände. Er strich an ihnen entlang und blickte mich besorgt an.
"Bist du dir sicher?" fragte er und ich nickte.
"Dann stoßen wir auf diesen Abend an. Auf deine Rückkehr, Levi, und auf dein kluges Mädchen!"Die alte Frau schenkte uns nach und die Gläser wurden gehoben. Der Wein kühlte meinen durch den Alkohol erhitzten Körper. Es war eine angenehme Wonne in meinem Bauch. Die Nacht begann und Mona erzählte die ein oder andere Anekdote aus ihrem Leben. So mehr Wein ich trank, desto lauter lachte ich bei ihren Scherzen und genoss diese Unbeschwerlichkeit, die sie ausstrahlte. "So, jetzt muss aber auch eine alte Frau mal ins Bett." schloss sie den Abend ab und ging mit uns hinauf in den Wohnbereich. Am Ende des Flures zeigte sie uns ein Gästezimmer und verabschiedete sich grinsend.
"Die wird sich nie mehr ändern." stöhnte Levi. Er kontrollierte das Bett und nickte kurz. Es schien seinen Ansprüchen zu genügen. Leicht wankend riss ich mir die Kleidung vom Leib und ließ mich fallen.
"Ich bin vollkommen fertig." dachte ich und zog die Decke über meinen Körper. Verwirrt sah ich zu Levi. Er setzte sich auf einen Stuhl und verschränkte die Arme. "Willst du nicht auch schlafen?" fragte ich.
"Werde ich."
"Dann legt dich zu mir!" forderte ich genervt. Levi seufzte. Im Gegenteil zu mir war er anscheint vollkommen nüchtern oder zumindest in der Lage, seinen Zustand vor einer Betrunkenen zu verstecken. Auch Letzteres wäre nicht unbedingt eine Leistung gewesen.
"Ich schlafe immer so..."
"Du warst auch immer allein."
"Woher willst du das wissen?" fragte er. Er strich sich durchs Haar. Ich vernahm sein Seufzen.
Langsam stand ich auf und ging auf ihn zu.
"Wenn du nicht zu mir kommst, komme ich eben zu dir...." stöhnte ich heraus und stellte mich vor ihm. Ich glitt mit meiner Hand durch sein Haar und bewunderte die tiefschwarze Farbe. Seine einzelnen Strähnen umschlangen meine Finger und glänzten mir entgegen.    
"Du bist vollkommen betrunken." beschwerte sich Levi und stand auf. Er küsste mich auf die Wange. "Wenn du Ruhe gibst, lege ich mich kurz zu dir...." Ich nickte grinsend. Mein Nerven hatte gewirkt. Seine Resignation ließ nicht lange auf sich warten. Schweigend zog er sich aus, während ich es mir bereits im Bett gemütlich machte. Erwartungsvoll ließ ich meinen Blick zu ihm wandern und betrachtete seine nackte Silhouette. Ich biss mir auf die Lippe . Sein Körper war so unglaublich schmal. Er wirkte so zart und dennoch waren die Zeichen des Krieges nicht zu übersehen. In mir stieg eine leichte Hitze auf. Diesem Anblick konnte ich nicht widerstehen. "Du sollst schlafen!" äußerte Levi und legte sich langsam zu mir ins Bett. Vorsichtig zog er meinen Hintern an seine Hüfte und strich mit seiner Hand über meinen Körper. Ich blickte mich um. Konzentriert sah er mich an und küsste mich auf die Stirn. Er schien zu entspannen - unsere Nähe einfach nur zu genießen.
"Schlaf gut." flüsterte ich und nahm seine Hand, die auf meiner Hüfte ruhte. Seine Wärme und sein Duft brachten mich zur Ruhe. Ein Wohlgefühl durchströmte mich. Ich spürte, wie er seine Nase in mein Haar drückte und sein Atem sich beruhigte. Die Müdigkeit überkam auch ihn. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Es war unsere erste gemeinsame Nacht dieser Art. Das erste Mal, dass er so bei mir lag. In mir breitete sich der Wunsch aus, dass es immer so wäre. Das wir immer so zusammen liegen, vielleicht sogar einmal gemeinsam leben würden. Seite an Seite wollte ich mit ihm durchs Leben schreiten. Seite an Seite in den Tod rennen und doch immer wieder dem Moment des Endes entfliehen. Ich wollte ihn schützen, ihn unterstützen, ihn halten, ihn erretten. Jeden Schmerz, jeden Verlust wollte ich für ihn in mich aufsaugen, um ihn von seinen Leiden zu erlösen. Denn am Ende war er auch nur ein Mensch - ein Mensch mit Wünschen, Gefühlen und Hoffnung. Ein Mensch - kein Krieger.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now