94. Eine neue Herausforderung

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Das Leben eines Menschen beginnt immer mit dem Schmerz und Leid eines Anderen. Es ist die Art und Weise der Natur uns unmissverständlich zu zeigen, dass wir grausame Egoisten sind. Wesen, die auf ihren eigenen Vorteil bedacht, selbst denjenigen verletzten, der uns am nächsten ist.

Mein Kind zeigte mir dies in dieser lauwarmen Frühlingsnacht, in welcher ich es herauspressen musste und dabei das gesamte Krankenhaus zusammenschrie, um den Vorgang zu ertragen. Die Schmerzen dabei - sie waren das bisher körperlich Schlimmste, was ich je erlebt hatte. Stechend, reißen und nicht enden wollend - es war wahrlich die Folter des Lebens.

Wie mit Levi vorher abgesprochen, saß er an meinem Kopf und hielt meine Hand. Kein Wort ging in dieser Nacht über seine Lippen und ich war froh darüber, denn er hätte niemals die Richtigen finden können - es gab sie einfach nicht.

Die ersten Sonnenstrahlen erhellten den Raum. Mit dem letzten Pressen kam der erste Schrei, der mich zerriss. Er sagte mir, dass es endlich vorbei sei – das ich es überstanden hatte. Erleichtert lehnte ich mich zurück und atmete tief ein. Der Raum war erfüllt vom Duft meines Blutes und Schweißes, doch es war bedeutungslos.

Ich beobachtete die Hebamme, wie sie das Kind säuberte und fühlte die Hand, die durch mein verschwitztes Haar stich. Unsicher sah ich in Levis Augen, die mir entgegen glänzten. Auch er ignorierte all diese Unannehmlichkeiten oder nahm sie erst gar nicht wahr. Immerhin standen wir beide auf eine gewisse Art und Weise unter Schock, denn solch eine Geburt war etwas ganz anderes als das, was wir bisher erlebt hatten. Machtlosigkeit, Unwissenheit und Angst – alles vereinte sie und dennoch war es ein Erlebnis, welches wir wahrscheinlich niemals vergessen wollen würden.

"Nimm du es ruhig an dich!" flüsterte ich ihm zu und versuchte mich dabei aufzusetzen. Mein Körper zitterte. Meine Beine erweichen. Alles in mir flehte nach Erholung. Ich stöhnte kurz auf und erblickte es - die Krankenschwester hielt es uns hin.

"Gesund und munter - die Kleine" sagte sie und reichte uns unsere Tochter. Levi nahm das kleine Etwas an sich. Der Anblick ließ mein Herz klopfen. Ich schniefte.

"Kuchel." hörte ichihn leise sagen. Sein Ton war so unglaublich zurückhaltend und trotzdem konnteich die Erleichterung darin erkennen – es war vorbei und gleichzeitig begann eszu sein.

Wir hatten es geschafft. Dieses Kind war gesund auf diese doch so grausame Weltgekommen. Ich blickte in seine Augen und er in meine. Wir würden alles tun, umdiese Welt für dieses kleine Mädchen ertragbar zu machen. Alles, um ihr einlebenswertes Leben zu bieten, denn sie war unser gemeinsames Fleisch und Blut.Zur Hälfte er und zur Hälfte ich. Flieder und Sandelholz. Ackermann und - dNN-.

Ihre Haut war weiß wie Schnee. Ihr Gesicht ganz zart und doch etwas knautschig.Levi schob seinen kleinen Finger in ihren Mund und ließ sie daran nuckeln, umihren Schrei zu unterbrechen.
„Ich liebe dich." flüsterte er mir währenddessen ins Ohr. Ein müdes Lächelnbreitete sich in meinem Gesicht aus. Er wusste zu gut, dass ich diesen Satznötig hatte, um diese bittere Erinnerung an die Geburt zu ignorieren und dasErlebte zu etwas Positivem zu verarbeiten.

„Ich dich auch." meinte ich nur und strich über seinen Arm zu unserem Kind.Hier und jetzt waren wir Eltern geworden, doch es würde nichts an den Pflichtenund Aufgaben ändern, die bereits auf unseren Schultern lagen. Ich seufzte undblickte zum Fenster, um in diesem kurzen Moment meine Gedanken zu sortieren.

Es war fast Sommer und die Zeit würde kommen, dass wir die Mauern verlassen undzum Meer reiten würden. Erst dann sollten unsere weiteren Pläne umgesetztwerden. Erst dann begann der Wettlauf mit der Zeit und damit ein Rennen gegenunsere Feinde. Ich hatte viel vor und wollte gleichzeitig für Levi und unsereTochter da sein. Etwas, was mir sicherlich einiges abverlangen würde. Doch trotzallem schaute ich hoffnungsvoll in die Zukunft. Ich würde mich zurück in meinDasein als Soldatin kämpfen und einige Zügel in die Hand nehmen, um Paradiesvorzubereiten. Immerhin hatte ich nun zwei Gründe, alles zu geben undvoranzuschreiten.

„Niemand wird mich daran hindern, euch zu schützen" dachte ich und stöhnteerleichtert auf, als die Hebamme uns Kuchel abnahm und mir anbot, mir das Stillenzu zeigen. Eine Sache, die ich ebenfalls lernen musste.
„Es wird einige Zeit dauern, bis sie die erste Milch bekommt. Sie müssen siegeduldig anlegen und sie einfach machen lassen!" erklärte die ältere Dame.
Ich tat das, was sie mir zeigte und bemühte mich, mir alles so gut es ging zumerken. Sie zeigte uns Wickeltechniken und das richtige Halten eines Säuglings.Schon jetzt fühlte ich mich etwas überfordert. Schon jetzt ein wenig eigenartig– so als Mutter. Ein Gefühl, welches Levi nicht zu haben schien. Er bliebkonzentriert, übte die gezeigten Griffe ein und verstand relativ schnell, aufwas es ankam. Ich seufzte erleichtert, denn er hielt sein Wort. Wir würdendiese neue Aufgabe in unserem Leben gemeinsam angehen – sie gemeinsam genießenund erleiden. Ab jetzt und für die nächsten Monate hieß diese HerausforderungKuchel und wir erkannten recht schnell, dass wir sie vollkommen unterschätzthatten.

Grenzen vergessen Levi x ReaderTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon