93. Monate der Ruhe

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Es vergingen die Monate ohne wirklich überraschende Vorkommnisse – ruhig und friedlich. Noch nie hatte ich so eine angenehme Zeit auf Paradies erlebt. Noch nie so sehr entspannt. Hanji, Levi und ich nutzten die Zeit, um so mache Strategie durchzusprechen sowie mit Historia und General Zackley einige Gespräche zu führen, um das Militär auf unsere nächsten Pläne vorzubereiten. Es war von großer Bedeutung, dass jeder über das geplante Vorgehen Bescheid wusste und dabei im vollsten Umfang hinter uns stand. Anders hätte man die umfangreichen Vorbereitungen auf einen möglichen Krieg nicht stemmen können, denn schlussendlich waren wir uns sicher, dass diese Zeit nur die Ruhe vor dem Sturm sein würde.
Marley würde uns nicht vergessen. Sie würden uns auch nicht dauerhaft ignorieren, sondern irgendwann zurückkommen und dann, so befürchtete ich, mit umso moderneren Waffen die Insel stürmen. Die Frage war nur, wann dieser Augenblick kommen würde und wie weit wir dann bereits mit unserem Vorgehen wären.

So unsicher mich diese ganze Situation auch machte – ich hatte das Gefühl, dass das Glück auf unserer Seite war. Immerhin schritt der Winter an uns vorbei und noch immer war kein einziger Soldat der Feinde auf diese Insel gekommen. Täglich blickte ich von der Mauer Mitras aus über das Land und seufzte zufrieden, als ich den Frieden auf den Feldern entdeckte. Die Landschaft begann zu blühen und erinnerte mich daran, dass auch mein Kind in mir heranwuchs. EInGedanke, der mich mittlerweile glücklich machte, auch wenn ich ein wenig Angst vor dieser neuen Situation und der damit verbundenen Herausforderung hatte. Ich wusste, ich war damit nicht allein.

Auch Levi sah diesem Ereignis entgegen. Immer wieder lag er neben mir auf dem Bett und versuchte mit seiner Hand die Tritte unseres Kindes wahrzunehmen. Es war fast schon süß, wie er nur mit seinen Augen darauf reagierte und manchmal sogar ein Lächeln über seine Lippen huschte. Ich genoss es – unsere Zeit des Zusammenseins. Es war eine Zeit, die fast nur uns allein galt. Eine Zeit, die ich niemals vergessen würde, denn sie zeigte mir, wie sehr er mich liebte und wie oft er bei mir war, wenn er nur konnte.

War Levi auf Mission nach Shinganshina - einer Aufgabe, die mir nie übertragen wurde – kümmerte ich mich um eigene Anliegen. Meist ritt ich nach Stohess, um Kenny zu besuchen. Ich redete mit ihm und versuchte ihn zu durchschauen oder wenigstens einige Informationen über seine Schwester aus ihn herauszulocken. Doch häufig erntete ich nur Sprüche über meinen Zustand und ertrug so manches Schimpfwort – von Muttertier bis Matrone war so gut wie alles dabei - um mit diesem Typen überhaupt ein Gespräch führen zu können. Es war deprimierend, obwohl ich manchmal eben doch diesen Blick auf meinen Bauch oder diese eine Frage nach Levi erkannte, die mich hoffen ließen, dass dieser Mann eines Tages Einsicht oder Mitgefühl zeigen würde. Immerhin hatte selbst eine Person wie er irgendwo ein Herz – da ganz tief in ihm drinnen. Die Frage war nur, wann es sich endlich zeigen würde.

Auch Petra und Günther besuchte ich immer wieder – besonders an sonnigen Tagen – und brachte ihnen Blumen. Es waren jene Dinge, die ich gern tat, um meine Einsamkeit zu vergessen. Jene Dinge, die mich glauben ließen, ich täte etwas Wichtiges, und mich dadurch über die Einschränkungen der Schwangerschaft hinwegtrösteten. Immerhin war auch das Joggen mit meinen Kameraden nicht mehr möglich und auch Hanji teilte mir kaum noch Aufgaben zu. Ich fiel also förmlich aus meinen militärischen Verpflichtungen heraus, auch wenn meine Kommandantin es freundlich „eine kleine Pause" nannte und mir versicherte, dass sie mich nach der Geburt wie zuvor in unser Vorgehen einbinden würde. Die Langeweile – sie belastete mich trotzdem.

Am Ende war es mein Glück, dass Levi mich gut genug kannte und irgendwann damit begann, mir immer häufiger das Lesen ihrer Schrift beizubringen, um mit mir die Langeweile zu vertreiben. Durch die viele freie Zeit, die ich nun hatte, lernte ich schnell. Ich begann damit Bücher aus der Bibliothek auszuleihen, um die Tage lesend zu verbringen und mich gleichzeitig zu bilden. Es war gewiss nichts Schlechtes, auch wenn ich lieber meinen Körper als meinen Geist trainieren wollte – immerhin würde mir das Wissen über vorkommende Kräuter auf Paradies oder die ein oder andere Sage im Kampf nicht wirklich weiterhelfen. Doch ich erfreute mich einfach an den Zeitvertreib und staunte über die doch manchmal ähnlichen Geschichten, die genauso hier wie in meiner Heimat erzählt wurden. Es zeigte mir, dass unsere Völker doch nicht so verschieden und die Grenzen zwischen uns doch nicht so breit waren, wie sie uns vielleicht vorkamen.

So zogen die restlichen Monate ins Land. Der Frühling kam in seiner vollen Pracht über die Felder gefegt und erweckte das Land zu neuem Leben. Die Farben dieser Welt kehrten vollkommen zurück. Paradies erwachte. Es zeigte sich mir ein Bild, welches ich bei meiner Ankunft auf dieser Insel bereits einmal erlebt hatte und erinnerte mich daran, dass ich nun ein Jahr auf ihr verbracht hatte. Sie war mein neues Zuhause geworden und hatte mich durch das Geschehene und durch ihre Bewohner verändert. Bei diesem Gedanken musste ich lächeln und dennoch – Wehmut machte sich in mir breit. Eine Wehmut, die mir sagte, dass ich mich niemals als eine von ihnen fühlen würde, auch wenn ich die Menschen dieses Landes schätzte oder gar liebte.

Dann irgendwann kam dieser eine Augenblick, der nach mir griff. Es war ein Tag, an dem die Vögel ihren Küken bereits das Fliegen beibrachten und die Mittagssonne auf der Haut brannte. Ein Tag, an welchem ich am Morgen noch durch die Gassen schritt und beim Bäcker einige Brote für den Abend kaufte, um gemeinsam mit Hanji und Levi zu essen. Doch diese Verabredung fand niemals statt. Der Schmerz holte mich ein und flüsterte mir zu, dass es Zeit war mein Dasein zu verändern, und ich akzeptierte es – so wie auch Levi es akzeptierte. Immerhin hatten wir auf diesen Moment schon so lange gewartet – ihn vielleicht sogar herbeigesehnt und nun war er gekommen. Der Augenblick, der alles veränderte.

Grenzen vergessen Levi x ReaderTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon