128. Gezwungen

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Während der Elitetrupp mit Ausnahme von Levi Eren suchte, machte sich mein Trupp sowie Hanji und Onyancopon auf den Weg nach Hause. Unsere Kommandantin verließ sich darauf, dass die jungen Mitglieder des Teams sich um den Titanenwandler kümmern würde, denn sie waren es, die ihn am besten kannten und einschätzen konnten.

Ich ging mit Levi und Kuchel einen kleinen Umweg, bis es bereits dunkel wurde. Mir war so unglaublich schwer ums Herz. Angesteckt von der Stimmung meiner Kameraden sog mich mein eigener Geist in die Dunkelheit, um mir Angst zu machen. Um in mir ein ungutes Gefühl aufkommen zu lassen, so als würde ich spüren, dass die nächste Zeit schwer sein würde.
Viel zu schwer.

„Du bist verdammt still..." ,warf Levi plötzlich ein, als wir bereits am Meer standen, um zum Pier herüberzuschauen.
„Ich würde am liebsten hier bleiben... Hier mit dir leben, das Lokal dort wieder besuchen und einfach nur..."
„Ich weiß..."

Unsere Blicke trafen sich. Wir beide hatten dieses Leben, welches in unseren Augen wie ein Film flackerte, genossen. Wir steigerten uns förmlich in diesen einen Wunsch hinein, nur um uns gegenseitig zu versprechen, dass es irgendwann einmal so sein würde. Und um den Verlust dieser wunderbaren Zeit zu verkraften.

Ich seufzte, während ich meine Hand zu Kuchel ausstreckte, die auf Levis Arm schlief. Dieses kleine Mädchen sollte nicht so ein Leben wie ihr Vater führen müssen. Sie sollte die Freiheit spüren, die Welt erkunden und letztendlich ihren eigenen Träumen nachgehen. Welche dies auch immer sein würden, es ging allein um ihr Glück.

Es war ein lauter Knall, der mich und Levi plötzlich aufschrecken ließ. Wir starrten zum Pier und entdeckten es: Das Feuerwerk.

Rot. Gelb. Grün.
Ein Meer aus Farben breitete sich über den Himmel aus. Das Feuerwerk wirkte dabei wie Pusteblumen, die eine schöner als die andere ihre Blüten fallen ließen. Levi starrte ihnen entgegen. Er fragte nicht nach dem Begriff dieses Spektakels, so sehr hatte er sich bereits daran gewöhnt, immer wieder etwas Neues in dieser Welt zu entdecken. Seine Augen reflektierten einfach nur die Farben, wobei seine helle Haut plötzlich wie Seidenpapier wirkte. Fein und mit Farbflecken betupft schien sie seinen wahren Zauber preiszugeben, während seine Haare die Lichter in sich verschluckten.

Ich konnte meinen Blick nicht nach oben richten. War ich doch nicht im Stande, dafür seinen Anblick loszulassen. Mein Herz klopfte im Takt des Feuerwerks. Ich genoss ihn – diesen letzten Moment unseres gemeinsamen Glückes. Auch wenn ich mir dessen gar nicht bewusst war.

Hätte ich es damals gewusst. Hätte ich es damals erahnen können. Ich hätte Levi in jener Nacht nicht schlafen lassen. Aufzwingend. Dominant. Vielleicht sogar fordernd, hätte ich nach ihm gegriffen und den letzten Tropfen seiner Leidenschaft aus ihn herausgepresst, um ihn mir anzueignen.

Doch wir beide ließen die bunten Farben uns hinfort tragen und vergaßen dabei die Zeit. Mit jedem Knall schritt sie fort. Mit jeder weiteren Pusteblume am Himmel flog sie davon, um den Moment anzusteuern, der alles verändern würde.

Es war der Moment unseres Scheiterns.


Alles ging so unglaublich schnell. Das Forum für die Rechte der Eldian war eine vollkommene Enttäuschung. Keiner der Teilnehmer hatte nur den Hauch von Mitgefühl für die Menschen aus Paradies. Es ging ihnen ausschließlich um sich selbst – um den Schutz ihres eigenen Standes und Lebens. Egoistisch und ekelerregend stellten sie sich als Opfer dar, um ihren eigenen Reichtum zu beschützen, und erhofften sich einen Vorteil aus dem Hass gegen ihre eignen Vorfahren.

Wie wir alle schien auch Eren enttäuscht und verließ an jenem Tag den Saal, ohne ein Wort zu sagen. Wir wunderten uns nicht, immerhin war er in der letzten Zeit oft in sich gekehrt gewesen, sodass wir erst nach der Veranstaltung nach ihm suchten. Doch er war nicht mehr auffindbar. Wochen vergingen, in denen wir uns Sorgen machten. Wochen, in welchen er uns Briefe schrieb, um uns mitzuteilen, dass er etwas plane. Bis eines Tages Levi einen Brief in der Hand hielt, der uns vor einer schweren Entscheidung stellte.

„Er schreibt, dass er übermorgen bei der Rede von Fürst Tybur angreifen wird. Ob mit oder ohne unsere Unterstützung... Was für ein Rotzlöffel..."
Der Elite- und Offensivtrupp saß gemeinsam an einem Tisch. Auch Hanji, Onyancopon und Lina waren im Raum verteilt und hörten gespannt zu, als Levi den Sachstand nannte. Ich biss meine Zähne zusammen, während ich in meinen kleinen Finger kniff. Das alles konnte – nein, durfte nicht wahr sein.

„Jetzt gibt es wohl kein Zurück mehr" ,warf Lina ein. Sie saß auf einer Fensterbank, wobei sie sich ein wenig an die Glasscheibe lehnte.
„Verdammt..." ,rief ich nur aus. In mir brodelte es. Auch wenn ich mir vorstellen konnte, dass Eren einen Plan verfolgte und nicht einfach in die Gefahr hineinsprang. Er drückte uns allen seine Entscheidung auf. Keiner, der hier im Raum anwesenden, schien begeistert. Jeder von ihnen sah erschrocken oder ängstlich zu Boden, um irgendwie die Situation zu verstehen und einen Vorschlag machen zu können. Doch das Schweigen im Raum drückte uns immer weiter zusammen, quetschte uns förmlich ein, um uns die Luft zum Atmen zu nehmen und uns immer mehr in Zweifel zu hüllen. Diese Zweifel, die mein Hirn brennen ließen.

Es war Armin, der plötzlich das Wort ergriff. Er saß neben Mikasa am Tisch, während er ernst in jedes einzelne Gesicht blickte.
„Ich hätte eine Idee, wie wir ihn unterstützen können..."

„Wenn wir das überhaupt wollen..." ,meinte ich. Mein Blick wanderte zu Hanji. Auch sie schien noch in ihren Gedanken vertieft, nickte jedoch.
„Er ist einer von uns..." ,meinte sie leise, um dann lauter hinzuzufügen: „Armin, erklär was du machen würdest!"


Die Diskussion über das weitere Vorgehen verlief über den ganzen Tag. Teilweise hitzig, teilweise überlegend bauten wir einen Plan aus, um den von Eren angekündigten Überfall zu unterstützen.
Viele von uns – auch ich – verließen immer mal wieder das Zimmer, um frische Luft zu schnappen oder einfach nur einen klaren Kopf zu bekommen. Noch nie hatte ich einen solchen Druck im Trupp gespürt. Noch nie diese Uneinigkeit bei uns gesehen. Doch wir alle versuchten mit Bedacht uns einzubringen, indem wir unsere Wut hinunterschluckten und fast schon sachlich an Armins Plan feilten. Ob wir nun das Eingreifen befürworteten oder nicht, spielte dabei keine Rolle.

„Gut, dann ist es entschieden. Onyancopon reist heute noch mit einem Schiff nach Paradies und holt Unterstützung. Ich werde mich mit ihm um das Luftschiff kümmern. Ihr kennt eure Aufgaben. Wir werden das gemeinsam schaffen" ,meinte Hanji am Abend.
Wir nickten.
„Ich werde da nicht mitmachen"
Es war Lina, die sich plötzlich einmischte. Sie trat an mich heran.
„Ich werde heute Nacht abreisen. Du kannst mich begleiten, -dN-..."

Meine Augen weiteten sich. Ich spürte die Blicke meiner Kameraden. Wie feine Nadeln stachen sie auf meiner Haut, so als wollten sie mir ihre Angst kundtun. Ich atmete tief ein, um mich zu beruhigen. Auch wenn es schmerzte, dass Lina uns wieder im Stich lassen würde. Auch wenn es mich kränkte, dass sie mir die Mitreise anbot. Ich wusste, dass sie es für sich als das Richtige ansah. Dennoch schüttelte ich langsam und zaghaft meinen Kopf.
„Du weißt, dass ich nicht gehen werde..." ,meinte ich nur.
„Überlege es dir! Du hast genug erlebt und ertragen! Glaubst du, am Ende wird dir irgendwer zum Dank ein Monument widmen? Das ist doch alles aussichtlos..."

Ich zog die Schultern zusammen. Linas Worte waren harsch – nicht nur gegenüber mir. Sie stellte uns alle kalt vor der Tatsache, dass wir nur geringe Chancen hatten, diesen Kampf zu überstehen. Diesen Krieg zu überleben.

Mein Puls pochte in meinem Hirn. Ich spürte, wie mein Augenlid zu zucken begann, und sah zu Levi. Sein Gesicht zeigte keine einzige Emotion. Auch er war in den letzten Tagen still geworden, um die Wut in sich aufzustauen.
„Was ist mit Kuchel?" ,flüsterte ich plötzlich. Es kam mir auf einmal in den Sinn. Wie sollte ich dieses kleine Mädchen in den nächsten Tagen beschützen können? Wie könnte ich sicherstellen, dass ihr nichts passiert?

„Würdest du sie mit dir nehmen?" ,fragte ich Lina bereits, als ich eine bedrückende Präsenz neben mir spürte. Levi trat an mich heran. Die Arme verschränkt. Seine Augen waren ernst – fast schon erzürnt.
„Darüber sollten wir erstmal sprechen!" ,zischte er, als sei es eine Warnung.  

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now