39. Ein Hinweis

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Levi und ich wurden freudig von den Wachen begrüßt. Die zwei Frauen standen wie jeden Tag vor der Treppe zur Unterwelt und hielten ihren Dienst ab. Wahrscheinlich war die Langeweile kaum erträglich und so freuten sie sich über die willkommene Abwechslung, die wir ihnen boten.
"Stellt sicher, dass niemand die Unterwelt verlässt, solange wir dort sind!" befahl Levi und ging vor. Ich folgte ihm schweigend und überprüfte meine Waffen. Meine Ausrüstung war bereit, doch mein Geist war immer noch leicht benebelt. Nervös fummelte ich am Verband meiner Hand. Natürlich hatte ich gehofft, dass wir es bald tun würden. Wie oft hatte ich bereits daran gedacht? Wie oft es mir vorgestellt? Doch nun fühlte ich mich nicht nur berauscht sondern empfand eine eindringliche Sehnsucht. Er hatte meinen Hunger nach ihm gestillt und ihn gleichzeitig geweckt. Ich liebte diesen Mann und ich wollte, nein, ich konnte ihn nicht mehr loslassen. Doch ich wusste auch, dass Levi kein Mann war, der sich vereinnehmen lassen würde. Dafür war er seiner Pflicht und seiner Rolle in diesem Krieg viel zu bewusst. Ich seufzte. Würde ich mich zügeln können?  
"Wir werden die Tavernen und Herbergen durchsuchen müssen. Kenny muss sich irgendwo einquartiert haben." erklärte der Gefreite und blieb stehen. Gemeinsam blickten wir die Hauptstraße entlang und damit dem Leid dieser Stadt entgegen. Wie in Mitras war auch hier in Stohess die Unterwelt von Ruinen, verfallenen Fachwerkhäusern und Schuppen gekennzeichnet. Und auch hier sah man an jeder Ecke das Leid der Armut. Alte, Kranke und Kinder - die Schwachen dieser Welt führten hier ihr vegetierendes Dasein. In solch einem Leben konnte nur die Hoffnung oder der Tod den nötigen Trost bieten. Ich sah zu Levi. Er hatte sich damals diese Hoffnung erkämpft. Doch vielen fehlte dazu einfach die Kraft.
"Wo fangen wir an?" fragte ich nun.
"Folge mir! Die meisten Dinge werden sich hier seit meinem Beitritt beim Aufklärungstrupp nicht verändert haben." Levi ging ein Stück Richtung Marktplatz, bog dann jedoch in eine Seitengasse ab und blieb vor einer Bar stehen. Diese war also unser erstes Ziel.
Es vergingen Stunden, in denen wir immer gleich vorgingen: Umschauen, Befragung des Hausherren und Kontrolle auf Auffälligkeiten. Eine Taverne nach der Anderen prüften wir auf dieser Weise und dennoch hatten wir noch keinen einzigen Hinweis auf Levis Onkel entdeckt. Es war deprimierend.
"Das Glück ist wohl nicht auf unserer Seite." seufzte ich. Levi nickte. Er lehnte an einer Hauswand und nahm einen Schluck Wasser. "Wo hast du eigentlich gewohnt?" Der Gefreite blickte mich skeptisch an.
"Kommt drauf an. Zuletzt hatte ich mit Freunden ein Haus in der Nähe des zentralen Marktplatzes besetzt. Wir überfielen damals Händler und teilten die Beute unter uns auf. Daher wechselten wir häufig unsere Unterkunft." erklärte er und steckte die Flasche zurück in den Rucksack. Ich lächelte. "Warum grinst du so?"
"Weil es schön ist, dass du mir das erzählst. Viele Menschen nerven mich mit ihren Geschichten aus der Vergangenheit - besonders die, die es einem förmlich entgegenschmeißen. Die prunkvollen Geschichten ihres Lebens, die  als sie als Erhebung über Andere nutzen. Doch wenn du etwas über dich offenbarst, bin ich schon fast aufgeregt."
"Da gibt es nichts, was aufregend ist, -dN-" Der Gefreite verschränkte seine Arme und lehnte seinen Kopf an die Wand. Er starrte hinauf zur Decke. Allein das Fehlen des Himmels machte diesen Ort trostlos.
"Für mich schon." Ich grinste und drückte mich gegen ihn.
"Hat dir schon mal wer gesagt, dass du aufdringlich bist?" Ich nickte. Levi blickte weg.
"Da bist du selbst Schuld dran." sagte ich und griff nach dem Rucksack. Vorsichtig kramte ich darin, während Levi mich beobachtete. "Haben wir nichts zu essen mit?"
"Keine Sorge, du wirst schon nicht verhungern."
"Aber ich bin grade dabei!" Levi verdrehte die Augen.
"Dann gehen wir eben etwas essen....."

Am zentralen Marktplatz, dort wo die Fachwerkhäuser noch relativ intakt waren, befand sich eine große Taverne, zu welcher Levi uns führte. Wir betraten die Stube. Es war ein geräumiger Saal, der Platz für mindestens fünfzig Leute bot. Alte Holzmöbel und ein Karmin gestalteten das Ambiente urig. Levi setzte sich an einem Tisch recht mittig im Saal. Unsere Augen prüften die Gäste. Niemand schien uns auffällig zu betachten.
"Was darf es sein?" fragte ein stattlicher Herr. Es war ein bärtiger, korpulenter Typ, der sicherlich schon einige Jahre auf dem Buckel hatte.
"Ein Wasser und Bratkartoffeln." rief ich aus. Mein Hunger klopfte bereits an der Magenwand an. Wenn ich nicht bald etwas essen würde, würde sich mein Bauch lautstark bemerkbar machen.
"Für die Dame Wasser und Bratkartoffeln - sehr gerne. Und für den Herren?"
"Das Gleiche." antwortete Levi kurz und folgte dem Mann mit seinem Blick, als dieser zum Tresen ging. Ich stützte meinen Kopf mit meiner Hand und sah ebenfalls herüber. Der Mann lief zunächst zu einem seiner Angestellten und quatschte nervös mit diesem. Daraufhin verließ dieser das Lokal, was zunächst nicht auffällig gewesen wäre. Vielleicht waren nur die Kartoffeln ausgegangen und er auf dem Weg zum Markt, doch sein Blick verriet es: Der junge Mann sah ängstlich zu uns herüber und bewegte sich fast schon panisch Richtung Ausgang. Ja, es war eine gewisse Nervösität im Raum. Ernst blickte ich zu Levi und er sah zu mir. Es brauchte keine Worte. Wir wussten beide, was hier vor sich ging. Fast gleichzeitig standen wir auf und gingen zum Tresen. Es war nur ein kurzer Blickaustausch, doch alles war geklärt: Ich sollte reden. Er würde mir den Rücken freihalten. So war der Plan. Ich setzte mich gelassen auf einen Hocker, während sich Levi an einem Tisch neben mir anlehnte und die Gäste im Auge behielt. Unser Kellner kam hastig zu mir. Mit einem Tuch wischte er über seine Stirn. Er schwitzte bereits.
"Kann ich Ihnen noch helfen?" fragte er. Ich lächelte.
"Ja, unbedingt. Wir suchen einen Freund." flüsterte ich.
"Wie bitte?" Der Mann kam mit seinem Kopf etwas näher an mich heran. Eine typische Art und Weise bei älteren Menschen, da sie meist den Fehler des Nichtverstehens bei sich selbst suchen. Blitzschnell packte ich seinen Nacken mit meiner rechten Hand und griff mich an ihm fest. Mit einem kräftigen Ruck zog ich heran und flüsterte es ihm ins Ohr:
"Wir suchen einen Freund und wir sind uns ziemlich sicher, dass du ihn kennst." Der Mann wurde unsicher. Er sah zu Levi, der jedoch kaum reagierte.
"Ihr müsst euch täuschen." sagte er verlegen und ruderte mit seinen Armen. Körperspannung schien nicht seine Stärke zu sein. Wie ein nasser Sack klebte er auf der Holzplatte und atmete schwer.
"Schade....." Es war ein Knall, der die Gäste der Taverne aufschrecken ließ. Mit einem Ruck hatte ich den Kopf des Mannes gegen den Tresen gestoßen und ihn danach wieder hochgezogen. Seine Nase blutete. Seine Brausebacken waren leicht aufgeplatzt und schienen mir prall entgegen. Er blickte mich ängstlich an. Wahrscheinlich hatte er sich das Ganze etwas anders vorgestellt.
"Was ist hier los?" schrie jemand aus einem Raum gleich neben der Bar. Ein muskulöser Mann trampelte herbei und imitierte dabei ungewollt die Geräusche eines Wildschweines. Er schien in meinem Alter zu sein und trug eine weiße Schürze.
"Wahrscheinlich der Koch oder Beikoch - was für eine Lachnummer" dachte ich und lächelte ihm zu. "Keine Sorge, wir unterhalten uns nur." rief ich freundlich. Sein Blick verfinsterte sich. Ich spührte einen leichten Ruck an meinem Körper. Levi entriss mir das Gewehr und zielte mit diesem auf den Fremden.
"Halt dich da raus!" zischte er. Der Mann hob langsam seine Arme und starrte zu mir. Seine Chancen standen schlecht. Eine falsche Bewegung konnte ihm nun den Kopf kosten. Unauffällig beobachtete ich Levis Schritte. Er hatte unsere Deckung zum Gastraum geöffnet. Jedes Geräusch hinter mir, konnte nun eine Gefahr darstellen. Ich musste diesen Mann so schnell wie möglich zum Reden bringen.
"So, nun weiter zu dir. Hast du vielleicht einige Erinnerungen zurückerlangt?" fragte ich und kniff noch fester in den speckigen Nacken. Dort in seinen Hautfalten spürte ich eine leichte Feuchtigkeit. Der Schweiß lief ihm wahrscheinlich bereits den Rücken hinunter und befeuchtete seinen Arsch.  Vorsichtig schüttelte er den Kopf und sah dabei zu seinem Kumpel, der uns beoachtete. "Tja, dann machen wir es anders." erklärte ich und holte eine Münze aus meinem Beutel. Geschickt stellte ich sie hochkant auf. "Schon mal ein Stück Gold im Auge gehabt?" fragte ich eindringlich. Seine Augen weiteten sich. Unsicher blickte er durch den Raum, als könnte er noch irgendwen um Hilfe bitten. Doch niemand war hier, der bereit zu solch einem Risiko war. Resigniert saugte er  plötzlich seine Lippen ein und biss auf sie. Es war das Zeichen: Er war bereit diesen Schmerz zu akzeptieren. Wie viel hatte man ihm wohl für sein Schweigen geboten? Oder wie viel ihm für den Bruch dessen angedroht? Dieser Mann war kein geübter Schwindler - noch viel weniger ein Kämpfer und dennoch entschied er sich für den Verlust seines Auges. Vielleicht hatte ich ihn unterschätzt.
"Hört auf. Ich kann euch sagen, wo ihr Informationen über euren Freund bekommt." mischte sich der Koch ein und ging einige Schritte auf seinen Angestellten zu, um ihn zu trösten: "Hör auf, Hans! Das ist es nicht Wert." Der Mann nickte und brach zusammen. Er weinte und hielt sich die Hände vors Gesicht. Da war sie also: Seine Schwäche. Sie platzte förmlich aus ihm heraus und überschwamm ihn mit Emotionen. "Wir wissen nicht, wo er ist, aber wir sollen euch bei jemanden melden. Sein Name ist Peter Trommler. Nur der junge Mann, der soeben gegangen ist, weiß wo er sich befindet. Er gehört zu ihm." erklärte der Koch. Levi nahm das Gewehr runter und reichte es mir.
"Eine Ahnung, wo er stecken könnte?" fragte der Gefreite. Er griff in seine Hosentasche, nahm ein Tuch heraus und hielt mir seine Hand hin. Unsicher befestigte ich die Waffe auf meinem Rücken und legte meine rechte Hand in seine. Konzentriert wischte Levi mit dem Tuch über meine Handfläche. "Widerlich...." flüsterte er und klang dabei sichtlich genervt. Ich wurde rot.
"Du kannst mir das Tuch auch einfach geben!" äußerte ich mich, während er es zurücksteckte.
Die beiden Männer beobachteten uns verwundert, schüttelten dann aber den Kopf, als ich sie ansah. Ich seufzte. Dieser Hinweis war wie ein Fingerzeig in eine Richtung - nicht mehr und nicht weniger. Es war nicht viel, aber es war besser als nichts.

Mit diesem kleinen Hinweis verließen wir das Lokal. Ein lautes Grummeln machte sich bemerkbar. Ich blickte traurig auf meinen Bauch. Er war immernoch leer.
"Ich kenne jemanden, der uns vielleicht weiterhelfen kann. Sie führt eine Bar auf der anderen Seite der Stadt. Wer hier einen Namen hat, den kennt sie. Wenn wir Glück haben, kann sie uns sagen, wo dieser Trommler ist." erklärte Levi und strich über meinen Kopf. "Keine Sorge, etwas zu essen hat sie sicherlich auch."

Grenzen vergessen Levi x ReaderWhere stories live. Discover now