133. Schritte - vor und zurück

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Hanji, Onyancopon und ich saßen gemeinsam in einer Kutsche, die auf direktem Wege nach Stohess war. Wir hatten Marley und das Zeppelin hinter uns gelassen, bevor wir nun in die jubelnden Gesichter des Volkes sahen. Es feierte den Sieg, den wir wie eine Trophäe mit nach Hause brachten, obwohl keiner von uns wirklich das Gefühl hatte, diesen Kampf oder gar den gesamten Krieg gewonnen zu haben. Vielmehr hatten wir ihn begonnen und damit den Blick der Welt an uns gefesselt. Ich bekam Gänsehaut, wenn ich daran dachte, dass wir nun als Aggressor gesehen werden konnten. Und trotzdem lobte man das Militär in hohen Tönen, so als hätten wir die richtige Entscheidung getroffen.

„Alles ist wie geplant gelaufen, auch wenn Eren uns wirklich vor einer Herausforderung gestellt hatte..." ,seufzte Hanji. Sie blickte mich und Onyancopon kurz an, um daraufhin wieder aus dem Fenster zu starren. Ihr Kopf schien auf Hochtouren zu laufen. „Die Frage ist, wie wir jetzt mit Sieg umgehen. Levi sitzt gerade mit ihm in einer weiteren Kutsche, die extra einen kleinen Umweg macht, um uns Zeit zu verschaffen..." ,fügte sie hinzu.

Ich fummelte an meinem Fingernagel, knibbelte sogar energisch daran. Das alles gefiel mir überhaupt nicht.
„Was ist dein Vorschlag, Hanji?" ,fragte Onyancopon, als er bemerkte, dass ich nicht wirklich etwas zu sagen hatte.
„Nun ja... Da ich Erens genauen Absichten noch nicht kenne, würde ich Sieg gern verstecken. Am besten irgendwo außerhalb. Levi könnte das sicherlich mit einer kleinen Gruppe übernehmen..." ,meinte meine Kommandantin. Ich nickte.

„Am besten in irgendeinem Wald... da wo die Soldaten gut mit ihren 3D-Manöver-Geräten arggieren können..." ,flüsterte ich.
Es klatschte plötzlich, sodass ich aufschrak. Hanji hatte ihre Faust in ihre linke Hand geschlagen, so als wäre meine Idee die Lösung für alle Probleme.
„Das ist es, -dN-. Der Wald, in welchem wir auch den Weiblichen Titan gelockt hatten. Er wäre perfekt." ,meinte sie. „Wir werden gleich schon an der Kaserne ankommen. Levi wird sicherlich auch nicht mehr ewig brauchen... Warte du auf seine Kutsche und erzähle ihm von unserem Plan! Ich werde in der Zeit die nötigen Soldaten mit Proviant zum Tor schicken und alles weitere vorbereiten."

Ich schluckte schwerfällig, während ich kurz zu Onyancopon und dann zu meiner Kommandantin sah. Hanji blickte mich verwundert an.
„Es muss dir egal sein, dass ihr kein Paar mehr seid, -dN-. Ihr seid immer noch Kameraden. Ich muss mich auf euch verlassen können Auf jeden Einzelnen von euch aber auch auf eure Zusammenarbeit, sonst sind wir bald noch wirklich angeschissen..."

Diese Worte - sie klangen ernst und vorwurfsvoll. Meine Augen wichen dem Blick meiner Kommandantin aus, während ich nur zögerlich nickte.
„Jawohl..." ,sagte ich noch, als die Kutsche hielt, bevor wir nacheinander ausstiegen.
„Wenn du das erledigt hast, erstatte Bericht!" ,rief Hanji mir noch zu. Sie winkte kurz und verschwand dann mit Onyancopon ins Gebäude.

Fast schon verlassen stand ich nun auf der Straße und sah der Kutsche hinterher, die mich hierhergebracht hatte. Ich zupfte kurz an meinem Militärmantel, seufzte, um daraufhin meinen Zigarillos hervorzuholen.
„Nur noch vier Stück..." ,beschwerte ich mich bei mir selbst, während ich eine davon ergriff und vorsichtig zwischen meinen Lippen positionierte, um sie anzuzünden. Der Qualm hinterließ einen angenehmen Geruch von Nikotin und Vanille. Mittlerweile war er für mich ein Zeichen zum Entspannen oder die Ankündigung, um endlich all die Probleme vergessen zu können. Doch obwohl ich bereits ein zweites Mal mit voller Kraft an der Stange zog, bebte mein Körper noch immer. Der Gedanke mit ihm allein vollkommen zu sein, selbst nur für einen kurzen Moment, ließ mein Herz nervös pulsieren.

Es dauerte gefühlt eine Ewigkeit bis ich am Horizont die Kutsche entdeckte, in der Levi und Sieg sein mussten. Sie näherte sich ganz langsam, so als wollte sie meine Geduld auf die Probe stellen. Wie angewurzelt stand ich da, wobei ich mir eine zweite Zigarillo ansteckte – wartend, um dem Hauptgefreiten das nächste Vorgehen zu erklären. Es war mehr als nur zermürbend.

Ich wischte meine Hände zum hundertsten Mal an meiner Hose ab. Sie blieben klebrig und feucht, was sehr wahrscheinlich an der Hitze lag, die sich, so näher die Kutsche kam, immer mehr in mir ausbreitete. Mich quasi eroberte, so als wollte sie mich bloßstellen. Das alles brachte einfach nichts. Fast schon erzürnt warf ich meine Kippe zum Boden, dort wo auch der andere Stummel bereits lag, und trat sie aus. Selbst das Nikotin vermochte mir keine Hilfe zu sein. Meine Gedanken tanzten weiter wie wild um mich herum, während ich doch genau wusste, wessen Schuld das war.

Die Kutsche hielt quietschend an. Ich atmete tief ein, bevor ich den Türgriff packte, um ihn kräftig herunterzudrücken. Es war mein Glück, dass er von recht guter Qualität war, denn er hielt meinem Frust stand.

Levi stand auf, als sich die Tür öffnete und kam mir entgegen. Seine Augen waren ernst. Sein Gesicht emotionslos. Er war anscheint genauso begeistert, mich zu sehen, wie umgekehrt. In den letzten Tagen wollten wir einfach nichts sehnlicher als Abstand – am besten kilometerweit – doch dieser Wunsch wurde nur selten erfüllt.

Doch trotz allen Hasses, trotz aller Wut blieben meine Augen für einen kurzen Augenblick auf ihm fixiert. Ich würdigte Sieg keines Blickes. Es war weder meine Aufgabe, noch hatte ich das Verlangen, diesen Mann anzusehen. Im Gegenteil: Den, den ich anstarrte war mein Ex. Dieser eine Mann, der in mir ein leichtes Kribbeln hervorrief, welches ich zu verdrängen versuchte, um ihm ernsthaft entgegenzutreten.

Es war vergeblich.

Warum fiel sein Haar heute besonders schön? Warum glänzte es dabei in der Herbstsonne leicht rötlich, so wie es meine Wangen wahrscheinlich ebenfalls taten? Warum konnte ich meinen Blick davon nicht abwenden?

Sie berührte mich – diese Erscheinung, die mir so viele Erinnerungen durch den Kopf drückte. Sie berührte mich in meinem Herzen, vielleicht sogar in meinem Schoss auf diese eine Weise, die mich innerlich seinen Namen schreien ließ. Unsere Trennung konnte es nicht verhindern, dass sein Aussehen, seine Bewegungen und seine Art mich in diesen besonderen Momenten noch immer ansprachen – vor allem dann, wenn sein Blick konzentriert auf mir lag, so als würde er mich damit einfangen wollen.

„Wer hatte denn die Scheißidee dich zu schicken?" ,begrüßte er mich. Seine Stimme untermauerte seine Körpersprache. Ich ging zwei Schritte zurück, um ihn aussteigen zu lassen und gab ihm ein Zeichen, die Tür zu schließen. Ein wenig skeptisch leistete er dieser Bitte Folge.
„Na wer wohl..." ,gab ich dabei von mir, nur um daraufhin den Ernst der Lage zu erklären:
„Hier wird umgestiegen!"
„Was?"
„Dir wird ein Team zur Verfügung gestellt mit dem du mit Sieg auf Reise gehen wirst. Hanji sucht gerade die nötigen Leute zusammen." Ich schluckte einmal schwerfällig. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mich die ganze Situation etwas überforderte „Levi, wir sind uns immer noch unsicher, ob wir Eren vertrauen können" ,fügte ich noch hinzu, um ihm zumindest den Grund für das ganze Vorgehen zu nennen.

Levi verschanzte seine Arme und blickte auf den Boden, bevor er nur zustimmte.
„In Ordnung. Gibt es weitere Anweisungen?"
„Du sollst dort ein Lager aufschlagen, wo wir damals gegen den Weiblichen Titanen gekämpft hatten... Dein Trupp wartet am Tor. Außer Hanji, Onyancopon und mir weiß keine weitere Person von dem Standort eures Lagers. Ich denke, dass wird auch so bleiben."
Levi nickte. Er sah zu mir. Ernst und dennoch spiegelten seine Augen etwas anderes wider.

„Was?" ,zischte ich genervt. Ich ertrug diesen Blick nicht. Er erinnerte mich an so viele Momente, in denen ich mir geschworen hatte, ihn niemals loszulassen. So viele Momente, in denen ich niemals geglaubt hatte, dass es einmal so schwierig zwischen uns sein könnte.

Meine Muskeln zogen sich zusammen, so als wollten sie sich gegen meine Sturheit währen, um das zu tun, was mein Körper bereits so lange verlangte. Was mein Herz sich wünschte, während es aufgeregt daraufhin fieberte. Doch statt meiner Hand war es die seine, die plötzlich das Eis zu brechen versuchte, indem sie sich auf meine Schulter zubewegte und sie berührte – ganz plötzlich und dennoch zögerlich. Ich zuckte zusammen, hatte ich doch weder mit einer netten Geste noch mit einer Berührung gerechnet.

„Pass auf dich auf, -dN-..." ,flüsterte er schon fast. Sein Blick wandte sich ab. In die Leere starrend hielt er kurz inne, nur um in mir dieses eine Gefühl hervorzurufen, irgendetwas sagen zu müssen. Irgendetwas, was dem gleichkam oder ihm zeigte, dass ich mir tief hinter meiner Wut verborgen, ein Wiedersehen genauso gewünscht hatte. Das ich seine Lippen ersehnte, mir seine Wärme erhoffte, wenn nicht gleichzeitig der Hass in mir toben würde. Doch ich schwieg. Ich schwieg und ließ ihn gehen, ohne mich wirklich zu verabschieden.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt