ℙ𝕣𝕠𝕝𝕠𝕘

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2004

Sie sah aus dem Fenster des Flugzeuges und beobachtete einen kleinen Wagen, der Koffer transportierte.

Eigentlich war sie nie so schweigsam, in diesen Minuten jedoch umso mehr. Sie verließ nicht nur die Stadt, in der sie für immer leben wollte, nein ... Katja verließ auch ihre Freunde, ihre beste Freundin und ... ihn.

Dass sie mit ihr im Streit auseinandergegangen war, schmerzte sie. Doch irgendwie hatte sie auch damit gerechnet. Isabelle war nie gut darin, wenn es um Verlust oder Veränderung ging, was Leute betraf, die einen Platz in ihrem Herzen hatten.

Mit ihm hatte sie keinen Streit gehabt. Zumindest keinen öffentlichen. Sie hatte sich distanziert, nachdem was er gesagt hatte.

Wie konnte Vincent auch nur so etwas von sich geben?

Ja, er war leicht angetrunken ... oder sogar mehr, aber sie wusste, dass er nicht gelogen hatte, als er diese drei Worte lallte.

Worte, die ihr Angst machten.

Worte, die sie dazu gebracht hatten nun in diesem Flugzeug zu sitzen.

... Nicht alleine ... sondern mit dem Kerl, den sie verabscheute.

Ihre Familie war im Grunde froh, dass Katja – in ihren Augen - einen Schritt in die richtige Richtung tat, was die Beziehung zu einem jungen Mann betraf. Sie war eigentlich schon immer eine starke Persönlichkeit und ließ sich nicht viel vorschreiben, wenn es um Entscheidungen in ihrem Leben ging. Nur bei ihrer Familie sah sie es ein wenig anders. Sie passte sich an ... was sie keineswegs glücklich machte.

Dieses unbeschwerte, freie Gefühl besaß sie einzig und allein ... bei ihm.

Doch Vincent war nicht hier.

Dieser eine Moment hatte sie schwach gemacht. Diese paar Sekunden, als er es ausgesprochen hatte, da fühlte sie sich wie ein kleines verängstigtes Mädchen.

Katja war es schlecht zumute. Sie hatte diesen elendigen Druck in der Magengegend und das lag nicht daran, dass sie generell nicht gerne flog.

Sie hatte einfach das Empfinden etwas Falsches zu tun. Das ungute Gefühl, irgendetwas nicht richtig gemacht zu haben. Dieser Kloß im Bauch, als wenn jeden Moment Unheil droht.

Ihr blonder Begleiter zwirbelte eine ebenso blonde Strähne von ihr auf seinem Zeigefinger.

Sie hätte so viele Möglichkeiten gehabt, aber saß nun doch bei der Person, mit der sie im Grunde am wenigsten zu tun haben wollte.

Und das lag nicht nur daran, dass sie Pierre vor zwei Tagen wieder mal mit einer anderen erwischt hatte ... wovon er gar nicht im Bilde war, was ihm wohl auch egal wäre. Sie war eigentlich hier, um sich selbst beweisen zu müssen, dass diese drei Worte die Vincent gesagt hatte, nichts zu bedeuten hatten.

Das sie ihr nichts bedeuteten.

Sie waren Freunde. Mehr nicht.

Freunde, die zwar gelegentlich in die Kiste sprangen und sich auf irgendeine Weise guttaten, aber ... mehr war da nicht. Oder doch?

Bei ihm konnte sie anders sein. Mehr sie selbst. Vincent nahm sie so, wie sie war. Sie musste sich nie verstellen. Und selbst, als er sie vor Kurzem am Boden gesehen hatte, war er für sie da, statt mit dem Finger auf sie zu zeigen.

Er war anders, als all die Jungs, die sie bisher gedatet hatte.

Doch es war nur Freundschaft ... plus Sex.

Wieso konnte sie dann trotzdem nicht aufhören, sich über ihn Gedanken zu machen?

Alles war doch okay, solange beide wussten, was sie wollten und worauf sie sich eingelassen hatten.

Aber wusste Katja es überhaupt?

Nur Sex ... Es war nur Sex ... mehr nicht.

Immer wieder sagte sie sich das gedanklich selber zu.

... doch irgendwie gab er ihr ein Gefühl von Sicherheit. Ein Gefühl, das sie vorher nicht kannte.

Sie hätten darüber sprechen sollen.

Sie hätte nicht einfach abhauen sollen. So ein Mensch war sie gar nicht. Wenn etwas war, wurde Tacheles geredet und keine Flucht in Betracht gezogen.

Katja sah sich um.

Doch genau das hatte sie getan. Sie war geflüchtet.

... vor seinen Worten.

... vor der möglichen Konsequenz selber zu ihren Gefühlen zu stehen.

... vor ihm.

Katja schlug Pierres Hand weg, als er weiter an ihren Haaren fummelte. »Nimm deine Wichsgriffel da weg!«

»Wow. Werden ja tolle Stunden mit deiner Laune. Ich nehme es mal so hin, aber denk dran dich sonst richtig zu verhalten.« , stöhnte er auf und sah zeitgleich einer Stewardess hinterher, als sie vorbei dackelte.

Katja ignorierte es wie so oft.

Sie bereute es von Mal zu Mal mehr, hier bei ihm zu sitzen.

»Wenn du willst, können wir gleich ein Nümmerchen in der Toilette schieben. Vielleicht benötigst du nur ein paar Stöße, um wieder eine freundlichere Art von dir selbst zeigen zu können.« , grinste er.

In der Toilette ...

Sie hatte auf der Zunge liegen, ob sie sich in die Schüssel stellen sollen, oder wie seine Aussage sonst in die Wirklichkeit umgesetzt werden sollte. Doch sie hatte keine Lust, ihn zu verbessern, geschweige denn auf eine Diskussion mit ihm, weshalb sie ihn nur dümmlich angrinste und wieder aus dem Fenster blickte.

Für einen winzigen Moment kam ihr der Gedanke auf, ob da in der Tat mehr mit Vincent war. Wenn das, was er gesagt hatte, auch auf sie zutraf.

Doch was dann?

Eine Beziehung anstreben und gucken, was draus wird?

Sie war doch gar nicht richtig beziehungsfähig, was der Typ neben ihr und das, was sie führten, mal wieder bewies.

... jedoch war die Sache, so locker sie auch begonnen hatte, mit Vincent, anders.

Das Flugzeug setzte sich in Bewegung.

Egal, was sie jetzt nachrangig darüber dachte ... es war zu spät.

Oder nicht?

Das Leben war voll einfach Mann, als ich Mädchen noch Scheisse fandOnde histórias criam vida. Descubra agora