𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟝𝟟

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2004

»Das macht 7,38.« , sagte die Verkäuferin des Drogeriemarktes.

Katja steckte das gekaufte Teil fix in eine Einkaufstüte. Sie kam sich vor, als würde sie Drogen darin schmuggeln und sah sich geschwind um. Niemand hatte etwas gesehen.

Sie bezahlte und verließ den Laden auch sofort.

Wie konnte sie nur in so eine Situation geraten?

Alles würde herauskommen. Zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Sollte sie gemeinsam mit Vincent eine Lösung finden? Es war schließlich nicht ihr alleiniges Problem ... oder doch?

Es war ihr Körper. Ihre Verantwortung. Nicht seine. Wenn sie ihm davon erzählen würde, müsste sie ebenso Pierre die komplette Wahrheit erklären und das würde Vincent nur in eine Lage bringen, in der er sich auch seiner Schuld stellen musste ihm die Stirn zu bieten.

Was sie nicht wollte.

Zudem hatte sie Angst davor, wie er reagieren könnte. Er war noch jung. Sie selbst natürlich auch. Trotzdem würde sie seine Zukunft versauen. Das hatte er nicht verdient.

Und wie sollte sie das ihren Eltern erklären?

Das würde nur das Bild, was sie von ihrer Tochter besaßen bestätigen. Sie war unfähig, eine Beziehung zu führen, und hatte sich nebenbei von einem anderen Bauern durchorgeln lassen, der dann direkt seinen Samen in sie eingepflanzt hatte.

Wie dumm und naiv sie doch war. Man sollte nicht ohne Verhütung bumsen. Wie konnte sie glauben, dass dieser Zug an ihr vorbeifahren würde?!

Zudem hatte sie Vincent damit noch einer Gefahr ausgesetzt, wenn man mal Pierres Herumhurerei mit einbezog.

Sie stieg in den Bus ein.

Wenn dieser beschissene Test positiv anzeigen würde, müsste sie so vielen Menschen eine Erklärung abliefern.

Das Leben war unfair.

Trotz Pierres Warnung, sie dürfte nicht mehr ohne seine Erlaubnis weg, war sie vor Kurzem mit Vincent, Dag und Isabelle für drei Tage bei einem Festival gewesen. Die zwei Verliebten hatte man selbstverständlich kaum gesehen, denn die hingen nur in ihrem Schlaflager, während Katja und Vincent sich abwechselten, zwischen feiern und Zweisamkeit in einem engen Zelt.

Wiederholt hatte sie sich zu diesem Zeitpunkt glücklich gefühlt, obwohl ihr ja mittlerweile klar war, dass es nur eine Wunschvorstellung war, die sie gerne glauben wollte. Und doch war sie ebenso nicht in der Lage darauf zu verzichten.

Vincent hatte im gleichen Sinne mehrmals zu ihr gesagt, wie sehr er die Zeit mit ihr genoss und das er hundertmal lieber mit ihr in so einem Zelt nächtigen würde, als in einem teuren Hotel.

Sie hatte sich besonders gefühlt ... für einen kleinen Moment. Bis ihr wie so oft die Wahrheit gewiss wurde, die sie so oft versuchte zu verdrängen.

Sie war nicht besonders. Und erst Recht nicht für ihn. Sie war eine Person, an der er in Zukunft eventuell mal zurückdenken könnte. Eine blasse Erinnerung, die mit der Zeit an einem unbestimmten Zeitpunkt komplett verblassen würde.

Mehr nicht.

Es tat Katja weh, daran zu denken, dass er sie irgendwann vergessen würde.

Sie legte die Tüte auf ihren Schoss. Wenn sie schwanger wäre, würde sie ihn niemals aus dem Gedächtnis löschen können. Bei ihrem Glück würde sie sein Ebenbild bekommen.

Katja sah es in Gedanken vor sich, wie sie ein Riesenkind an der Hand halten würde.

Ein Riesenkind ohne Emotionen.

»Ist hier noch frei?« , fragte eine ältere Dame.

Katja rutschte durch und nickte. »Aber natürlich.«

Sie trug eine goldene Bauchtasche über ihren knallbunten Klamotten und hatte ihre grau-lila Haare immens toupiert. Die Blicke der Menschen um sie herum schien sie nicht zu interessieren.

So sah Katja sich selbst. Im Bezug auf ihre soziale Umgebung ... abgesehen von ihrer Familie.

Sie fragte sich, ob es dieser Frau in ihrer Jugend ähnlich erging. War sie immer mit dieser Fuck-was-ihr-von-mir-haltet-Attitüde herumgesprungen, oder hatte sich das erst mit der Zeit entwickelt.

»Was hast du auf dem Herzchen, Kindchen?« , sprach sie plötzlich.

»Was?« Erschrocken sah sie die ältere Dame an. »Meinen Sie mich?«

»Natürlich meine ich dich. Du starrst mich an, als ob du mich etwas fragen möchtest.«

»Nein.« Sie lächelte. »Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht anstarren und ... das war auch keineswegs abwertend gemeint.«

»Hab's auch nicht so aufgefasst.« Sie lächelte zurück. Ehrlich. Nicht gespielt. »Und du kannst mich gerne per Du anreden. Mag so eine Höflichkeit nicht.« Sie kam ein wenig näher und flüsterte. »Und ich fühle mich dann uralt.«

»Man ist immer nur so alt, wie man sich fühlt.« , antwortete Katja.

»Dann würde ich sagen, ich bin bei Ende zwanzig stehengeblieben, denn meinen Dreißigsten habe ich nie gefeiert. Ab dem Zeitpunkt habe ich aufgehört zu zählen.« , lachte sie.

Katja lachte nasal mit. »Es gibt Wichtigeres im Leben.«

»Ja aber da scheinst du noch nicht angekommen zu sein Kindchen. Dich zerfrisst etwas. Sei großzügig mit dir selbst. Mach dir nicht zu viel Druck. Es gibt keine falschen Entscheidungen.«

Erschrocken sah sie die Frau an. »Wie ... wie kommen Sie ... darauf?«

»Du. Nicht Sie.« , verbesserte sie Katjas Gesagtes. »Du hältst krampfhaft deine Tüte fest, als hättest du die abgetrennten Genitalien deines untreuen Freundes darin versteckt.«

Sie schmunzelte darüber, weil sie das so locker sagte, als würde danach noch folgen, ob sie ihr beim beseitigen helfen könnte.

»Nein. Nein. Da ist nur ... etwas drin ... was ich benötige.«

»Und davon hängt dein Leben ab?«

»Im Grunde schon. Eher meine Zukunft.«

»Wäre diese denn schlechter oder besser als dein Jetzt?«

Auf Katjas Stirn wurden Falten sichtbar. »Ich ... ich weiß es nicht.«

»Und wovor hast du denn Angst?«

»Das ... das würden S- ... das würdest du nicht verstehen.« Sie kam sich irgendwie blöd vor, diese Frau zu duzen.

»Frag dich mal, ob die Spielregeln, nach denen man dich zwingt zu spielen, überhaupt für dich gelten. Ob du je von ihnen profitieren kannst. Mach dir Eigene.«

»So leben Sie ... du?«

Die Frau stand auf, als sie eine Haltestelle anfuhren. »Nimm den Platz ein, der dir zusteht. Nicht deine gesamte Zukunft hängt von einem einzigen Entschluss ab.« Sie lächelte ihr zu, winkte und stieg aus.

Die Frau hatte Recht, aber hatte Katja dennoch nicht mit ihrem Problem geholfen.

Das Leben war voll einfach Mann, als ich Mädchen noch Scheisse fandWhere stories live. Discover now